Seit Anfang Juli liefert der Onlinehändler Amazon auch Lebensmittel - ein Service mit Tücken. Der Selbstversuch mit den Lebensmitteln.

Hamburg. Der Geruch ist überwältigend. Überwältigend unangenehm. Er quillt mir aus der Styroporbox entgegen. Als hätte etwas zu lang in der Sonne gelegen, ranzig, leicht säuerlich. Ich traue mich kaum, den Deckel von der Box abzunehmen. Darin muss das Rumpsteak sein, das ich bei Amazon im Internet bestellt habe. Als ich von der Arbeit kam, fand ich die Nachricht eines Paketversands im Briefkasten. Mein Päckchen stand seit Stunden bei meinem Nachbarn im Flur, wo sich die Hitze bei mindestens 30 Grad staut. Woher sollte er auch wissen, dass er ein Rumpsteak lagert? Es kommt ohnehin zu spät, meine Grillparty ist längst gestiegen.

Amazon will einen noch unerschlossenen Markt erobern

Schließlich ist es bereits gut zehn Tage her, dass ich meinen Kühlschrank per Mausklick füllen wollte. Lebensmittel online einkaufen, das ist ein weitgehend unerschlossener Markt. Von den jährlich 150 Milliarden Euro Umsatz der deutschen Lebensmittelhändler wird bislang nur ein Bruchteil im Internet gemacht. Das will der weltgrößte Onlinehändler Amazon seit Anfang Juli ändern. Deutsche Konzerne sind bereits vor Jahren mit dem Verkauf von Nahrung übers Netz gescheitert. Jetzt aber scheint die Zeit reif: Onlineshopping ist gesellschaftsfähig geworden (32 Millionen Deutsche haben es 2009 getan), dank Breitbandverbindungen ist das Surfen heute eine schnelle Sache. Warum also nicht auch das Abendessen virtuell einkaufen? Der Schlange im Supermarkt entgehen, den Heimweg mit schweren Tüten vermeiden. Toll. Der Lebensmitteleinkauf im Internet erscheint mir logisch, praktisch, bequem.

So setze ich mich am Tag, nachdem Amazon mit seinen fast 50 000 Artikeln online gegangen ist, an meinen Laptop. Eine Woche später will ich für Freunde kochen. Der Internetriese hat also reichlich Zeit, meinen Kühlschrank zu füllen. Meine Einkaufsliste: Fleisch, Gemüse, Käse, Nachtisch. Ich wähle bei Amazon.de die Rubrik "Lebensmittel & Getränke", tippe "Gemüse" in die Suchmaske. Zu ungenau. Innerhalb von Sekunden ist mein Bildschirm voller Whiskas-Produkte, auf der zweiten Seite Konserven und Babybrei. Erst auf Seite 13 finde ich Paprika, Zwiebeln und Salat. Die Biopaprika sieht gut aus, ich klicke sie in meinen virtuellen Einkaufswagen. 6,12 Euro pro Kilo - ist das teuer? Im Supermarkt hätte ich sie in die Hand genommen und geschätzt, wie viele ich brauche. Hier muss ich mich auf Amazon verlassen, der mir die Paprika nur im Kilopack anbietet.

Nein, falsch. Vielmehr bietet Amazon mir an, die Paprika bei der Amorebio GmbH, einem der rund 60 Unterhändler im Lebensmittelbereich, zu kaufen. Frische Waren hat das US-Versandhaus nicht selbst im Angebot.

Die 60 Unterhändler auf Amazon.de nehmen hohe Liefergebühren

Das macht einen bedeutenden Unterschied: Während die Lieferung bei Amazon ab 20 Euro Einkaufswert kostenlos ist, schlagen die Unterhändler bei den Versandkosten kräftig zu. Die Paprika von Amorebio kostet mich also 4,95 Euro zusätzlich. Jetzt zur Zucchini. Ich vergesse das "h" und bekomme nur drei Ergebnisse. Auch mit der korrekten Schreibweise zeigt mir Amazon keine Zucchini von Amorebio an. Wenn ich jetzt aber bei einem anderen Lieferanten bestelle, kommen weitere Versandkosten auf mich zu. Also verzichte ich. Der Lebensmitteleinkauf im Internet hat seine Tücken.

Weiter gehts mit Fleisch. Groß ist die Auswahl ja nicht. Wieder muss ich mich seitenweise durch Tierfutter klicken, erst mit der konkreten Eingabe "Rumpsteak" werde ich fündig. Zwischen fünf und 300 Euro kosten die Produkte. Ich entscheide mich für das Rumpsteak Avignon vom Unterhändler Froodies. 250 Gramm für 5,75 Euro. Wieder fällt es mir schwer, mir vorzustellen, wie groß meine Beute wohl sein wird. Erst recht frage ich mich, wie Froodies mein Fleisch bei 30 Grad zu mir bringen wird, ohne die Kühlkette zu unterbrechen. Angeblich sollen die Lieferanten von Frischware vorher per E-Mail einen Liefertermin ausmachen. Wird nicht ganz einfach bei Berufstätigen wie mir. Der Lebensmitteleinkauf im Internet setzt einen gewissen Vertrauensvorschuss voraus.

Wer alle Waren bei einem einzigen Händler kauft, isst günstiger

An der digitalen Käsetheke merke ich, dass ein Einkauf im Netz mindestens so viel Planung erfordert wie im Supermarkt. Dort will man ja auch nicht kreuz und quer durch die Gänge laufen, sondern die Dinge in der Reihenfolge mit dem kürzesten Fußweg in den Wagen packen. Also verzichte ich beim Käse auf Rahmcamembert von Rotkäppchen, den mir nur Foodshop24 anbietet. Stattdessen klicke ich so lange, bis ich einen von Froodies oder Amorebio finde, für die ich ohnehin Liefergebühren zahle. Praktisch: Über einen Klick in der linken Navigationsleiste kann ich mir alle Produkte anzeigen lassen, die ein Unterhändler anbietet. So wähle ich noch Camembert, Chips und Bananen aus. Ebenso könnte ich auch nach speziellen Marken, glutenfreien, veganen oder Bioprodukten suchen.

Fehlt noch der Nachtisch. Ein Händler namens Tiefkühl-Top-Service bietet eine Kiste Eis für 9,95 Euro. Schwarzwälder Kirschbecher - klingt köstlich. Als ich mit meinem Einkauf zur virtuellen Kasse gehe, vergeht mir der Appetit: Zum Warenwert von 26 Euro kommen 32 Euro Versandkosten. Unglaublich: Die Tiefkühlverpackung fürs Eis kostet 20 Euro Liefergebühr. Also statt Eis lieber einen Mandelkuchen anklicken. Der Lebensmitteleinkauf im Internet kann ebenso viel Zeit kosten wie eine Fahrt zum Supermarkt - zumindest, wenn man ungeübt ist.

Wer keine Rentner oder Studenten als Nachbarn hat, bekommt Probleme

Auch das Bezahlen dauert. Wer noch kein Amazon-Kunde ist, muss Namen, Adresse, Kreditkartennummer oder Bankverbindung angeben. Ich kann den Inhalt des Einkaufswagens erneut überprüfen - und stelle fest, dass ich aus Versehen einen Spezialentkalker hinzugefügt habe. Weg damit. Das geht ganz einfach über den "Löschen"-Button. Statt Expressversand wähle ich die Standardlieferung. Auch die ist nicht ganz billig: Meine Waren im Wert von 26 Euro kosten mich 17 Euro zusätzlich fürs Bringen. Aber dafür sollen sie laut Amazon schon in ein bis zwei Werktagen bei mir eintrudeln. Meine anfängliche Begeisterung ist gedämpft, aber noch bin ich optimistisch. Das ändert sich, als zwei Werktage später mein Nachbar (wie gut, dass er als Student tagsüber oft zu Hause ist) das erste Paket von der Post für mich entgegennimmt. Unter Unmengen an Füllmaterial finde ich fünf knackige rote Paprika. War mir gar nicht bewusst, dass ich so viele bestellt habe. Dafür kommt nur eine einzige Banane an. Im Internet waren vier Stück abgebildet. Hätte ich mir für 45 Cent natürlich denken können. Die Chips sind zwar kaum zerkrümelt, die Tüte für 2,40 Euro ist aber winzig - 100 Gramm füllen also nur eine Packung in DIN-A5-Größe. Das war im Netz nicht ersichtlich.

Auf denselben Trick bin ich beim Kuchen reingefallen, den der Student am folgenden Tag für mich annimmt. Die mickrigen 240 Gramm für 9,95 Euro plus 4,95 Liefergebühr reichen höchstens für zwei Personen zum Nachtisch. Beim Bäcker hätte ich für das Geld sechs Stück Torte bekommen. Am Tag meiner Grillparty stehe ich dann im Supermarkt an der Fleischtheke und verwünsche Amazon. Denn von meinem Rumpsteak habe ich noch nichts gehört - bis auf eine Email kurz nach der Bestellung, dass sich die Lieferung wegen des Andrangs verzögert.

Erst zehn Tage nach meinem Online-Einkauf starre ich schließlich auf die Styroporbox. Ich wage kaum, sie zu öffnen. Dieser ranzige Geruch! Das Fleischpaket muss mindestens 24 Stunden unterwegs gewesen sein, bevor es stundenlang im überhitzten Flur meines Nachbarn stand. Ein mutiger Blick offenbart: Das Rumpsteak liegt gut verpackt neben einem überreifen Camembert, der den penetranten Geruch absondert. Das Fleisch ist von Kühlpads umgeben, mit Marinade bedeckt und sieht halbwegs appetitlich aus. Zurückschicken kann ich es ohnehin nicht - Amazon schließt für frische Lebensmittel mit kurzer Haltbarkeit die Rückgabe aus. Beruhigend, dass ich meinen Freunden Fleisch aus der Kühltheke im Supermarkt serviert habe.