Amazon startet Online-Supermarkt mit 35 000 Produkten. Verbraucherschützer beurteilen das Angebot aber skeptisch.
Hamburg. Das hat in der schönen neuen Online-Welt längst gefehlt: Lebensmittel vom Sofa aus bestellen oder auf dem Weg nach Hause vom Handy. Wenige Tage später ist der Kühlschrank wieder gut gefüllt. Kein Schlangestehen mehr an der Kasse im Supermarkt, die die wertvolle Zeit des Feierabends verkürzt. Dieses Projekt hat der weltweit größte Onlinehändler Amazon jetzt in Deutschland gestartet. Seit gestern werden auf der Handelsplattform auch Lebensmittel angeboten. Damit ist Deutschland weltweit der dritte Markt, in dem Amazon den Lebensmittelhandel per Mausklick etablieren will. In den USA und Japan praktiziert der Händler das bereits mit Erfolg.
Zur Auswahl stehen rund 35 000 Produkte von verpackten, lange haltbaren Lebensmitteln bis zu Fleisch, Wurst, Früchten und Gemüse. "Das ist die größte Auswahl an Lebensmitteln, die es in Deutschland online gibt", sagt Amazon-Manager Christian Bubenheim. Zum Vergleich: Rewe-Märkte bieten bis zu 20 000 Artikel. Um das umfangreiche Angebot zu stemmen und auch frische Ware anbieten zu können, stützt sich Amazon auf 60 Partner-Unternehmen. Dennoch erhalte der Kunde beim Kauf von Produkten verschiedener Angebote nur eine Rechnung, sagte Bubenheim.
Kunden müssen sich bei einem Einkauf auf mehrere Lieferungen einstellen
Allerdings muss sich der Kunde in einem solchen Fall auf mehrere Sendungen zu verschiedenen Zeitpunkten einstellen. "Der Versand ist der Knackpunkt beim Online-Handel von Lebensmitteln", sagt Handelsexperte Björn Weber vom Informationsdienst Planet Retail. "Für den Versand von Lebensmitteln gibt es eine Reihe von Vorschriften, die das Geschäft kostenintensiv und zu einer logistischen Herausforderung machen." Das werde vor allem zum Problem, wenn der Versender den Kunden nicht antrifft. "Das Paket mit Fisch oder Fleisch einfach beim Nachbarn abzugeben, geht in diesem Fall nicht. Wer im Online-Geschäft wirklich mit dem stationären Handel konkurrieren will, darf sich nicht auf Paketversender verlassen, sondern benötigt einen Heimzustelldienst." Das sind Fahrzeuge mit drei bis vier Temperaturzonen, die allen Erfordernissen des Lebensmitteltransports entsprechen.
Amazon selbst versendet nur jene Lebensmittel per Post oder Hermes, die nicht anders behandelt werden müssen als Bücher, Spiele oder CDs. Die Ware kommt aus den Zentrallagern in Leipzig und Bad Hersfeld. Wer Fleisch will, landet hingegen bei gourmondo.de. Das Unternehmen verschickt das Fleisch in speziellen Kühlverpackungen, die eine Temperatur von vier Grad bis zu 48 Stunden halten sollen. Milch oder Joghurt kommt vom Food-Shop 24. Noch gibt es Lücken im Angebot: Mineralwasser und Bier findet der Kunde noch nicht. Auch das ist zumindest kistenweise schwierig zu versenden. "Wir arbeiten noch am Ausbau unseres Angebots", sagt Amazon-Sprecherin Christine Höger. Auch Getränke würden wahrscheinlich über Partner realisiert.
Amazon verspricht den kostenlosen Versand ab einem Warenwert von 20 Euro. Das gilt allerdings nicht, wenn die Waren wie Fleisch, Obst oder Milchprodukte über Partner versendet werden. Dann kommen schnell Versandkosten von fünf bis sieben Euro hinzu.
Lebensmittelversand übers Internet ist noch eine Ausnahme
Bislang macht der Onlinehandel mit Lebensmitteln weniger als ein Prozent des gesamten Lebensmittelmarktes aus: Nach Zahlen des Bundesverbands des Versandhandels betrug er 2009 erst 300 Millionen Euro, immerhin fast doppelt so viel wie im Vorjahr. "Derzeit werden vor allem Wein, Delikatessen und Schokolade online bestellt", sagt Verbandssprecher Oliver Claas. Und trotzdem: Nach Einschätzung von Experten ist der Markt für Onlinehändler einfach zu attraktiv, um ihn sich entgehen zu lassen. "Lebensmittel sind der letzte Massenmarkt, der noch nicht wirklich im Internet vertreten ist", sagt Handelsexperte Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung. "Erfolgreiche Player brauchen eine ausgewiesene Logistikkompetenz und einen starken Namen, der Vertrauen beim Verbraucher schafft - wie Amazon und Otto also." Für genossenschaftlich organisierte Ketten wie Edeka und Rewe werde es viel schwerer, eine zentrale Plattform zu organisieren. Für die Discounter sieht er hingegen wenig Konkurrenz durch den Onlinehandel: "Eine Lieferung kostet viel Geld, das muss auf die Lebensmittel umgelegt werden. Und der typische Discountkunde wird kaum bereit sein, mehr zu bezahlen."
Die großen Handelsketten reagieren zurückhaltend auf den Vorstoß von Amazon. "Wir beobachten das mit Interesse", sagt eine Sprecherin von Edeka. Rewe sieht die Zukunft unverändert im stationären Handel. "Online-Angebote können nur eine Ergänzung sein", sagt Rewe-Sprecher Andreas Krämer. Auch Experte Weber ist sich sicher, dass der stationäre Handel nicht von den Online-Angeboten bedrängt wird. "Durch Verpackung und Lieferung entstehen zusätzliche Kosten von rund zehn Euro pro Einkauf", sagt Weber. "Die niedrigen Margen im Lebensmittelhandel geben es nicht her, dass die Händler auf Dauer solche Kosten zusätzlich tragen."
Dennoch hält auch der Hamburger Versandhandelskonzern Otto an seinen Plänen fest, Lebensmittel im Internet zu verkaufen. "Unser Angebot wird aber über das von Amazon hinausgehen, weil wir einen zeitnahen Lieferservice für frische Waren planen", sagt Firmensprecher Thomas Voigt. Einen Zeitplan gibt es nicht. Noch ist das Unternehmen auf der Suche nach Partnern.
Verbraucherschützer warnen vor mangelnder Information über Produkte
Die Verbraucherzentrale Hamburg meldet grundsätzliche Bedenken am Onlinehandel mit Lebensmitteln an. So gibt es bislang keine gesetzliche Pflicht, bei Produkten im Internet eine Zutatenliste oder Nährwertangaben anzuführen. "Die Produktinformationen sind oft wenig transparent", kritisiert Lebensmittel-Experte Armin Valet. "Es ist aber zum Beispiel für Allergiker wichtig zu wissen, ob ein Artikel allergene Stoffe enthält." Schwierigkeiten sieht Valet auch bei Reklamation oder Umtausch, der über das Internet deutlich komplizierter sei als in einem stationären Supermarkt. Zudem schließe Amazon die Rückgabe von frischen Produkten mit kurzer Haltbarkeit aus, laut der Verbraucherzentrale sind diese Produktgruppen aber nicht genau definiert.