Die Schuldenkrise prallte 2011 an Deutschland ab – Berlin konnte erstmals seit drei Jahren wieder den EU-Stabilitätspakt einhalten.
Wiesbaden. Trotz der Finanzkrise in der Euro-Zone ist die Wirtschaft in Deutschland im vergangenen Jahr annähernd so stark gewachsen wie 2010. Ein Plus von 3,0 Prozent beim realen Bruttoinlandsprodukt (BIP), so lautet das vorläufige Ergebnis, dass das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Mittwoch vermeldete. Allerdings schrumpfte die deutsche Wirtschaft zum Ende des Jahres. Aufgrund vorläufiger Zahlen und ersten vorläufigen Schätzungen der Behörde sank das BIP saison- und kalenderbereinigt in den letzten drei Monaten 2011 im Vergleich zum Vorquartal leicht, „schätzungsweise um 0,25 Prozent“.
Im Jahr 2010 hatte die Wirtschaft um 3,7 Prozent zugelegt, das Krisenjahr 2009 hatte Deutschland mit einem Minus von 5,1 Prozent die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg gebracht. Dank der guten Konjunktur konnte Deutschland im vergangenen Jahr seine Kassenlage verbessern. Bund und Länder hätten 2011 Schulden abgebaut, erklärte die Behörde.
+++ Stichwort: Bruttoinlandsproduk +++
Das Staatsdefizit belief sich nach Angaben des Bundesamtes auf 1,0 Prozent des BIP. Damit wird erstmals seit drei Jahren wieder die Obergrenze des EU-Stabilitätspaktes eingehalten. Die europäischen Regeln erlauben höchstens 3,0 Prozent Defizit. In den Jahren 2009 (3,2 Prozent) und 2010 (4,3 Prozent) hatte Deutschland dagegen verstoßen.
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Unter dem Strich stand für das vergangene Jahr ein Fehlbetrag von 26,7 Milliarden Euro. Im Vorjahr belief sich der Finanzierungssaldo von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung auf minus 105,86 Milliarden Euro.
Volkswirte gehen allerdings davon aus, dass sich die Exportnation Deutschland angesichts des weltweiten Konjunkturabschwungs und der anhaltenden Schuldenkrise im Euroraum auf Dämpfer einstellen muss. Für das laufende Jahr wird im Schnitt mit allenfalls 0,5 Prozent Wachstum gerechnet.
+++ Bislang lief es gut – Ausblick jetzt verhaltener +++
+++ BIP: Deutsches Staatsdefizit 2011 deutlich verringert +++
Analysten in ersten Reaktionen:
Andreas Scheuerle, Dekabank
„Angesichts der wieder aufgeflammten massiven Finanzverwerfungen in der zweiten Jahreshälfte ist das ein erstaunliches Ergebnis, das auch vor dem Hintergrund des konjunkturellen Rekordjahres 2010 gesehen werden muss. Von allen Komponenten kamen kräftige Wachstumsbeiträge, am stärksten vom Konsum, gefolgt von den Investitionen und dem Außenbeitrag. Das Wachstum ist somit nicht nur stark, sondern auch ausgewogen und gesund gewesen. Das war nicht immer so in Deutschland. Wir erinnern uns an viele Jahre eines einseitigen exportgetriebenen Aufschwungs.
„Das hohe Jahreswachstum verdeckt allerdings eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung im vierten Quartal. Mit Verspätung hat sich die Finanzkrise auf die deutsche Konjunktur durchgewirkt. Doch anders als in vielen Ländern Europas bleibt die Abschwächung in Deutschland moderat.“
Andreas Rees, Deutschland-Chef Unicredit
„Wir glauben nicht, dass Deutschland in eine Rezession fällt. Wir halten in diesem Jahr ein Wachstum von rund einem Prozent für möglich. Der Ifo-Index ist zuletzt zweimal gestiegen. Das signalisiert: Der Tiefpunkt in der Stimmung in der Unternehmen ist möglicherweise schon überschritten. Das spricht für eine Stabilisierung. Auch der Arbeitsmarkt läuft noch sehr gut. Das sorgt mindestens noch in der ersten Jahreshälfte für Rückenwind beim privaten Konsum.
Hoffnung machen auch die USA: Dort läuft die Konjunktur wieder besser. Das wird uns helfen, denn die weltgrößte Volkswirtschaft strahlt auch auf uns aus. Das ist ein positives Signal für die Exportwirtschaft. Sie profitiert zudem von der Euro-Schwäche. Die Weltkonjunktur schwächt sich zwar ab, aber einen Absturz werden wir nicht sehen.“
Jörg Krämer, Commerzbank-Chefvolkswirt
„Im Euro-Raum wird es wegen der Verunsicherung durch die Staatsschuldenkrise zu einer Rezession kommen. Allerdings hat keiner von uns schon einmal eine Staatsschuldenkrise erlebt. Deshalb wissen wir nicht genau, wie stark sie die Konjunktur dämpfen wird und wie lange. Da haben wir keine historischen Erfahrungen. Deshalb sind alle Konjunkturprognosen noch unsicherer als üblich.
Wir haben keinen Unsicherheitsschock wie nach der Lehman-Pleite. Aber wir haben seit dem gescheiterten EU-Gipfel im Sommer 2011 eine erhöhte Unsicherheit, die sich wie Mehltau auf die Wirtschaft legt. Dem kann sich auch die sehr wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft nicht enziehen.“
Christian Schulz, Berenberg Bank
„Dieses Jahr birgt große Risiken. Die Abwärtsrisiken sind sehr groß. Alles kommt darauf an, ob die Euro-Krise gelöst wird. Wir befürchten, dass sie sich im Februar und März noch mal verschärfen wird, wenn Italien fiel Geld am Kapitalmarkt aufnehmen muss. Auch drohen Rating-Herabstufungen für Frankreich oder eine Staatspleite Griechenlands. Das kann die Krise verschärfen.
Erst danach könnte sie unter Kontrolle – etwa durch ein Eingreifen der EZB. Nach einem schwachen Winter kann die deutsche Wirtschaft dann relativ wieder schnell wachsen. Einmal durch den privaten Konsum, aber auch höheren Investitionen. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte um 0,4 Prozent wachsen.“ (dpa/Reuters/abendblatt.de)