Zwei Tage nach seinem Selbstmord ist Adolf Merckles Lebenswerk endgültig zerbrochen. Seine Unternehmensgruppe wird zerschlagen, der Pharmakonzern Ratiopharm verkauft. Merckle hatte dieses Szenario klar vor Augen: Die entscheidenden Verträge unterschrieb er selbst kurz vor seinem Tod, die Folgen wollte er nicht mehr erleben.
Ulm/Hamburg. Der 74-Jährige hatte es nicht verkraftet, die Kontrolle über sein Firmenimperium zu verlieren und sich deshalb nah seinem Wohnhaus vor einen Zug geworfen.
Gestern nun besiegelten die rund 30 Gläubigerbanken und Merckles Vermögensverwaltung VEM die Zerschlagung des Firmengeflechts. Die Banken gewähren der in Finanznot geratenen VEM zwar den dringend benötigten Überbrückungskredit von rund 400 Millionen Euro.
Doch der Preis dafür ist hoch: Ausgerechnet der Ulmer Generikahersteller Ratiopharm, den Merckle selbst aufgebaut hat und an dem er leidenschaftlich hing, soll verkauft werden. Gleichzeitig drängen die Banken die Familie Merckle aus der Gruppe. Sohn Ludwig Merckle verkündete, dass er seine Tätigkeit als VEM-Geschäftsführer nicht fortführen werde.
Genau das wollte der Milliardär offensichtlich nicht mehr miterleben. Zwar stellte er mit seinen letzten Unterschriften noch die Weichen für die Sanierung der Gruppe und bewahrte diese mit den rund 100 000 Mitarbeitern vor der Zahlungsunfähigkeit. Aber sein Motto "Mir ist fremd, etwas aufzugeben", konnte er nicht mehr erfüllen.
Verkauf in wirtschaftlich schwierigem Umfeld
Schon seit Monaten wurde über den Verkauf von Ratiopharm spekuliert. Mit einem Umsatz von etwa 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2007 könnte das Unternehmen mit 5400 Mitarbeitern einen Erlös von drei bis fünf Milliarden Euro einbringen. Aber einen Verkauf in der Wirtschaftskrise wollte Merckle unbedingt verhindern: Die drei bis fünf Milliarden Euro wären nach Überzeugung vieler Analysten in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld kaum zu erreichen.
Auch nachdem VEM gestern den Verkauf angekündigt hatte, blieben die Analysten vorsichtig. Es sei eher kein guter Zeitpunkt zu verkaufen, sagte Carsten Kunold, Pharmaanalyst bei Merck Finck. "Die Generikamärkte sind eher schwierig, vor allem in Deutschland." Es herrsche ein ziemlicher Preisdruck. Allgemein seien die Bewertungen nicht mehr so hoch, wie sie einmal waren.
Für den Münchner Unicredit-Analysten Jochen Schlachter kommt der Verkauf dennoch nicht überraschend. Der Markt habe schon lange darüber spekuliert. "Das ist jetzt nur die offizielle Bestätigung der VEM, dass der Verkauf vorangetrieben wird", sagt er. Das werde den Markt jedoch nicht weiter beeinflussen. Zumal Ratiopharm nicht an der Börse gehandelt werde und relativ konjunkturresistent sei. Trotz allem sind auch seiner Meinung nach die Bewertungen für Ratiopharm nicht mehr so hoch.
Merckles Testament wird nach Beisetzung veröffentlicht
Merckles Gläubigerbanken bestehen trotzdem auf ihrer Forderung. "Der Verkaufsprozess wird voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen", teilte Ratiopharm mit. VEM und die Banken werden nun einen Treuhänder bestimmen, der gemeinsam mit der Ratiopharm-Geschäftsführung den Verkauf organisiert. Aus Bankenkreisen heißt es, der Verkauf soll womöglich erst 2010 über die Bühne gehen.
Mit dem Erlös könnten Finanzlücken in der Gruppe gestopft werden, vor allem beim Baustoffkonzern HeidelbergCement, der mehrheitlich zum Merckle-Imperium gehört. Anschließend soll ein langfristiger Sanierungsplan für die Unternehmen der gesamten Merckle-Gruppe erstellt werden. Dieser soll eine Laufzeit von bis zu eineinhalb Jahren haben und einen umfassenderen Kredit beinhalten.
Für die mehr als 100.000 Mitarbeiter der Gruppe ginge dann eine lange Zeit der Ungewissheit zu Ende. Das Testament Merckles wird nach Angaben eines VEM-Sprechers nach seiner Beisetzung veröffentlicht. Der Termin dafür hänge davon ab, wann die sterblichen Überreste von der Staatsanwaltschaft freigegeben würden.