Die Polizisten am Bahnübergang in Weiler sind freundlich, aber bestimmt. “Wir sind hier, damit die ganzen Journalisten nicht auf den Gleisen...
Blaubeuren. Die Polizisten am Bahnübergang in Weiler sind freundlich, aber bestimmt. "Wir sind hier, damit die ganzen Journalisten nicht auf den Gleisen herumlaufen", erklären sie, und damit haben die Beamten jede Menge zu tun, denn seit Bekanntwerden des Freitods von Adolf Merckle ist Blaubeuren im Ausnahmezustand: Zahllose Kamerateams bevölkern die Stadt, und es ist kaum möglich, durch die Fußgängerzone zu laufen, ohne ein Mikrofon vor die Nase gehalten zu bekommen.
Auch unter den Blaubeurern ist die Tragödie um den Milliardär, der sich aus Verzweiflung über die wirtschaftliche Lage seines Firmenimperiums vor einen Zug warf, das beherrschende Thema. Er sei "tief erschüttert und schockiert", erklärt der Blaubeurer Bürgermeister Jörg Seibold, und habe mit Bestürzung zur Kenntnis genommen, "dass die Finanzkrise diesen großen Bürger der Stadt in die Knie gezwungen hat und er sich offenkundig ohne Unterstützung der beteiligten Akteure zurückgelassen sah".
An dem Bahngleis in Weiler stehen ein paar Kerzen im kalten Schnee. Die Menschen, die dort Abschied von Adolf Merckle nehmen, sind untröstlich. "Wir wussten, dass es ihm angesichts der ganzen Berichte im Fernsehen und der Zeitung nicht gut ging. Dass er Selbstmord begehen würde, hätten wir aber nicht gedacht", sagen Reinhold Weiß, Kurt Metzler und Michaela Löffler von der Sigmaringer Firma Zollern, an der Merckle beteiligt war. Noch überwiegen Entsetzen, Fassungslosigkeit und Trauer, doch mehr und mehr weichen diese Gefühle Wut und Zorn. "Adolf Merckle hat niemanden betrogen, er hat die Gewinne immer wieder in die jeweiligen Unternehmen gesteckt", erzählt Weiß. Die ganzen Berichte hätten nichts mit der Realität gemein, in der Merckle ein "fürsorglicher Unternehmer" war, wie Weiß gegenüber der "Südwestpresse" betont. Der menschliche Verlust sei kaum zu ermessen.
"In den Medien wurde in den letzten Wochen das Zerrbild eines Zockers gezeichnet, der er gar nicht war", sagt Seibold. Die Menschen am Bahndamm gehen noch einen Schritt weiter: Presse und Banken hätten ihren Anteil an dem Selbstmord.
Den älteren Leuten laufen die Tränen über die Wangen: "Er hat so viel getan für Blaubeuren." Einer erinnert sich, wie er das Ehepaar Merckle beim Skifahren kennenlernte. Auf Bezirksebene wurde damals ein Rennen vorbereitet, wobei Merckles tüchtig mithalfen: "Er war sympathisch, ist auf dem Boden geblieben." Anders als man es von solch bekannten Leuten erwarten könnte, hat er nicht das große Wort geführt. Eine Nachbarin erzählt, wie Merckles Kinder bei ihnen waren, wenn mal Not am Mann war: "Das war unkompliziert. Wir sind erschüttert", sagt Ingrid Korn, die mit Merckles Frau Ruth in der ökumenischen Hospizgruppe zusammenarbeitet: "Er war ein warmherziger Mensch."
"Sein Tod schmerzt unheimlich", sagt Georg Hiller, der als langjähriger Blaubeurer Bürgermeister viel mit ihm zu tun hatte. Eine Mitarbeiterin berichtet von dem guten Arbeitsklima in seiner Firma, von fairen Löhnen und vorbildlichen Sozialleistungen. Jetzt bangt sie wie die Stadt darum, wie es weitergeht.