Um 2.30 Uhr erreichte der Alarm von Bord die Zentrale des Unternehmens am Berliner Tor. Ein kurzer Anruf vom Kapitän, dann brach der Kontakt ab. Bilder der somalischen Piraten.

Ein Bürohaus am Berliner Tor, 22 Stockwerke hoch. Zwischen Immobilienfirmen und Rechtsanwälten hat hier die Bernhard Schulte Shipmanagement ihre Räume. Seit gestern wird dort auch nachts gearbeitet. "Wir haben natürlich ein Krisenteam eingerichtet, das jetzt rund um die Uhr im Einsatz ist", sagt eine Mitarbeiterin am Empfang und wiegelt unangemeldete Besucher freundlich, aber bestimmt ab.

In der Nacht zuvor hatte das Management erfahren, dass der rund 100 Meter lange Gastanker "Longchamp" im Golf von Aden von somalischen Piraten gekapert worden ist - das mittlerweile vierte entführte Schiff in dieser Region, das von einer deutschen Reederei betrieben wird.

Ein kurzer Anruf vom Kapitän, dann war der Kontakt abgebrochen. "Wir haben gegen 2.30 Uhr den Alarm empfangen", sagt Geschäftsführer Andre Delau. Seit 3.30 Uhr gebe es keine Informationen mehr von der Besatzung. An Bord sind 13 Mann, bis auf einen Indonesier stammen sie wie der Kapitän von den Philippinen. 13 von 17 000, die laut Firmenwebsite auf den 700 von Schulte Shipmanagement betriebenen Schiffen unterwegs sind. Weltweit hat das Unternehmen Büros, die "Longchamp" wird aber von Hamburg aus bereedert, wie es im Branchenjargon heißt. Das bedeutet, am Berliner Tor wird der technische Betrieb des Schiffs geregelt, werden beispielsweise Treibstoff und Ersatzteile eingekauft. Von hier aus wird auch die Crew betreut: "Wir kennen daher viele Mannschaftsmitglieder gut, waren mit einigen auch schon zusammen in Hamburg unterwegs, der Piratenangriff war für viele von uns daher ein Schock", erzählt ein Schulte-Mitarbeiter, der mit Kollegen vor dem Gebäude eine Zigarette raucht. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Nach etlichen Anfragen aus aller Welt verweist die Reederei nur noch auf ihre Pressemitteilung. "Wir müssen uns jetzt erst einmal um unsere Leute kümmern, zuerst die Menschen, dann das Schiff", sagt der Mann und zieht noch einmal in der kalten Luft an seiner Zigarette. Er weiß, dass dies heute ein langer Tag wird. "Aber nicht mit dem Schicksal unserer Crew dort zu vergleichen", sagt er und verschwindet im Fahrstuhl.


Deutsches Schiff vor Somalia entführt


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Noch vor Dienstbeginn hatten die Schulte-Mitarbeiter von der Entführung erfahren. Schüsse waren gefallen, aber niemand ist wohl verletzt worden, hieß es. "Die näheren Umstände sind noch lange nicht klar", sagt dazu der Geschäftsführer des Deutschen Reederverbands, Hans-Heinrich Nöll. Den ganzen Tag über versucht Nöll jemanden bei der Reederei zu erreichen. Doch das Telefon ist blockiert. Nöll: "Die haben jetzt wohl auch anderes zu tun." Das ausländische Amt sei in einem solchen Fall meist nicht eingeschaltet, so der Schifffahrtsexperte. Die "Longchamp" fuhr unter der Flagge der Bahamas, die Besatzung besitzt keine deutsche Staatsangehörigkeit. In solchen Fällen muss eine Reederei andere Wege versuchen, um ihre Leute zu befreien.

Brancheninsider rechnen damit, dass es wie in vielen Fällen zuvor auch um Lösegeld gehen wird. 90 Millionen Euro haben nach Schätzungen somalische Piraten alleine 2008 erpressen können. Der erste Kontakt vieler betroffener Reedereien gilt daher ihren Schiffsversicherungen, die zum Großteil in London angesiedelt sind und die Forderungen oft übernehmen.

Seit internationale Marine-Einheiten vor Somalia operieren, hatte es die Hoffnung gegeben, dass die Piraten gestoppt werden können. "Doch dass die Überfälle jetzt schlagartig aufhören, damit hat wohl keiner gerechnet", so Nöll. Dazu seien auf diesem wichtigen Handelsweg zwischen Europa und Asien zu viele Handelsschiffe unterwegs. Pro Jahr etwa 20 000. Nöll: "Man kann davon ausgehen, dass dort jeden Tag mindestens ein deutsches Schiff unterwegs ist und in eine solche Lage geraten kann."