Die Notkredite der EU für Spanien lassen die Börsen aufatmen. Experten bleiben skeptiscn – sie sehen keinen Grund zur Entwarnung.
Brüssel/Frankfurt/Madrid. Aktueller EFSF-Fonds oder künftiger Rettungsschirm ESM? Nach Angaben der EU-Kommission ist noch nicht geklärt, aus welchem der beiden Euro-Krisenfonds die Notkredite für Spanien fließen werden. Die Euro-Finanzminister hätten in ihrer gemeinsamen Erklärung ausdrücklich sowohl den derzeitigen Rettungsfonds EFSF als auch den künftigen permanenten Krisenfonds ESM genannt, sagte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn am Montag in Brüssel. „Ein Grund dafür ist, dass der ESM noch nicht in Kraft ist.“
Der ESM hat eine Kapazität für Notkredite von 500 Milliarden Euro und soll am 1. Juli den EFSF ablösen. Anders als sein Vorgänger verfügt der ESM auch über Bareinlagen der Euroländer. Daher soll Spanien bevorzugterweise aus diesem Topf Hilfe erhalte, verlautete in Brüssel. Allerdings steht in vielen Ländern – darunter auch Deutschland – noch die Ratifizierung des ESM-Vertrages aus. EU-Diplomaten erwarten, dass der ESM ab Mitte Juli einsatzfähig ist.
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Den offiziellen Antrag Spaniens erwartet die EU „in Kürze“, so der Sprecher, der allerdings kein konkretes Datum nannte. Die Euro-Finanzminister hatten Spanien am Sonnabend zugesagt, bis zu 100 Milliarden Euro an Notkrediten für die Sanierung der spanischen Banken bereitzustellen. „Die Eurogruppe wollte alle Szenarien abdecken, selbst die schlechteste Entwicklung“, sagte der Sprecher. „Wir wollten alle Zweifel an den Finanzmärkten zerstreuen, dass die Summe nicht ausreichen könnte.“ Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) benötigt Spanien mindestens 40 Milliarden Euro für seine Bankenbranche – es könnte aber auch wesentlich mehr sein.
Unterdessen haben die Märkte die geplante Hilfe in Milliardenhöhe für Spaniens Banken mit teils kräftigen Kursgewinnen gefeiert. Der Euro profitierte ebenfalls deutlich vom Hilfsangebot an das große Sorgenkind Spanien. Allerdings bezweifeln Beobachter, dass die gute Stimmung anhält. Zu groß sind aus ihrer Sicht die Probleme in der lodernden Euro-Schuldenkrise. Als nächstes könnte Italien Hilfe brauchen, befürchteten erste Experten. Spanien ringt um die Konditionen für die angekündigte Hilfe von bis zu 100 Milliarden Euro aus dem europäischen Rettungsschirm.
An den Finanzmärkten dominierte am Montag zunächst gute Stimmung: Der Dax kletterte bis zum Mittag um gut 1,6 Prozent auf 6230 Zähler. Auch die anderen Börsen Europas lagen klar im grünen Bereich. Vor allem Bank-Aktien legten kräftig zu, allen vor an die spanischen Titel, aber auch Deutsche Bank und Commerzbank profitierten von steigenden Kursen. An den asiatischen Börsen ging es ebenfalls nach oben. So gewann der Nikkei-225-Index in Tokio mehr als zwei Prozent hinzu. Der zuletzt stark unter Druck geratene Euro legte kräftig zu: Er kostete am Mittag knapp 1,26 US-Dollar und damit rund einen Cent mehr als am Freitagabend.
Die Renditen spanischer und auch italienischer Staatsanleihen - ein Gradmesser für das Misstrauen der Investoren gegen die Länder - gaben deutlich nach. Die Kurse der als sicher geltenden deutschen Staatsanleihen gerieten dagegen unter Druck, die Renditen stiegen. Das Renditeniveau in Deutschland bleibt dennoch so niedrig wie selten zuvor.
Experten zufolge dürfte der Jubel allerdings nicht von Dauer sein. Nach den bisherigen Erfahrungen der Schuldenkrise „ist die erste Marktreaktion noch nicht besonders aussagekräftig“, erklärte Volkswirt Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Die Probleme Spaniens dürften mit Milliardenhilfen für die Banken nicht gelöst sein.
Madrid wird zudem durch die Notkredite seine Verschuldung nach oben treiben. Die Auswirkungen auf das spanische Haushaltsdefizit seien noch nicht zu beziffern, sagte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn. „Natürlich wird es Auswirkungen auf die Schulden geben, weil es sich um einen Kredit handelt.“ Die Folgen für das Defizit im Staatshaushalt würden nun vom Europäischen Statistikamt Eurostat geschätzt.
Zu den Problemen in der Euro-Zone kommt: Der Verbleib Griechenlands im gemeinsamen Währungsraum ist ungewiss, und die drastischen Sparprogramme in Euro-Schuldenstaaten schlagen immer starker auf die Konjunktur durch. Dem Euro-Raum droht in diesem Jahr eine Rezession, die italienische Wirtschaft schrumpft bereits das dritte Quartal in Folge. Im ersten Vierteljahr 2012 verringerte sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,8 Prozent zum Vorquartal, wie die italienische Statistikbehörde Istat eine erste Schätzung bestätigte.
Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen schloss nicht aus, dass auch die drittgrößte Euro-Volkswirtschaft demnächst einen Hilfsantrag stellen könnte. „Die Konjunktur ist zu Jahresbeginn eingebrochen, und der Reformwillen der italienischen Politik ist offensichtlich bereits wieder deutlich erlahmt“, erklärte er.
Unterdessen ringt Madrid um die Konditionen für die milliardenschweren Banken-Hilfen. Dabei geht es vor allem um die Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF). So hatte Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos gesagt, dass anders als sonst der IWF nicht an den Krediten beteiligt sei und nur „eine beratende Rolle“ spiele. Dagegen muss sich Spanien nach Worten von EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia auf eine Kontrolle durch die Geldgeber unterziehen.
Auch der IWF werde einbezogen sein, sagte Almunia dem spanischen Radiosender Cadena SER. „Wer Geld gibt, tut dies niemals gratis“, betonte er. „Der Geber stellt Bedingungen und will wissen, was mit seinem Geld geschieht.“ Die „Troika“ von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF werde den Prozess der Restrukturierung im Bankensektor überwachen. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kündigte eine genaue Überwachung für die zugesicherten 100 Milliarden Euro Notkredite an. „Es wird genau so eine Troika geben. Es wird genau so überprüft werden, dass das Programm eingehalten wird“, sagte er im Deutschlandfunk.
Allerdings beziehe sich die Kontrolle ausschließlich auf die Restrukturierung des Bankensektors. Spanien hatte am Wochenende angekündigt, zur Sanierung seines Bankensystems Milliardenhilfen der Europartner zu beantragen. Zuvor hatte das Land internationale Hilfe aus Angst vor einem Spardiktat wochenlang abgelehnt. (dpa/abendblatt.de)