Party für Mitarbeiter der Versicherung Hamburg-Mannheimer könnte strafrechtliche Folgen für Ex-Boss haben. Wettbewerber dementiert.

Düsseldorf. Die Budapester Sex-Party für erfolgreiche Versicherungsvertreter könnte teure Folgen haben. Der Düsseldorfer Versicherungskonzern Ergo prüfe derzeit in alle Richtungen mögliche juristische Konsequenzen des Gelages, sagte Unternehmenssprecher Alexander Becker am Montag. Dabei gehe es sowohl um die Frage, ob im Zusammenhang mit der ausschweifenden Vertreter-Gratifikation gegen Strafrecht verstoßen wurde – etwa durch Förderung der Prostitution – als auch um mögliche zivilrechtliche Ansprüche gegen das Unternehmen. „Bislang gibt es dafür allerdings keine Indizien“, sagte Becker.

Die Sex-Party mit mindestens 20 Prostituierten war 2007 in der Budapester Gellert-Therme von der inzwischen zur Ergo-Gruppe gehörenden Hamburg-Mannheimer ausgerichtet worden. Dort wurde für ihre 100 besten Verkäufer der jahrelange Werbeslogan Wirklichkeit: „Hamburg-Mannheimer – Mehr vom Leben“. Die Sex-Party habe 83.000 Euro gekostet, sagte der Chef der Ergo-Versicherungsgruppe, Torsten Oletzky, dem "Spiegel“. Der Vertriebsleiter, der zu der Reise eingeladen hatte, arbeitet ebenso wie das verantwortliche Vorstandsmitglied nicht mehr für das Unternehmen.

Das unanständige Angebot an die Top-Verkäufer bringt auch ihr bekanntes Werbegesicht, den biederen „Herrn Kaiser“, in die Bredouille. „Wir legen Wert auf die Feststellung, dass der Schauspieler, der Herrn Kaiser darstellt, nicht dabei war“, sagte Becker. Auch von den eingeladenen Versicherungsvertretern hätten nicht alle zugesagt, an der Reise teilzunehmen.

Der ehemalige Vertriebschef Kai Lange, der für die Party mit verantwortlich gewesen seien soll, sieht laut "Handelsblatt“ den bevorstehenden Untersuchungen gelassen entgegen. "Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sagte Lange dem Blatt. Er selbst habe den besagten Abend im Bereich der Diskothek verbracht und wisse nicht, was seine Vertreter auf dem Gelände der Gellert-Therme gemacht hätten. Auf die Frage, wer, wenn nicht er, die Prostituierten eingeladen habe, wollte er sich nicht äußern.

Nach der Sex-Affäre der Hamburger-Mannheimer, die im Ergo-Versicherungskonzern aufgegangen ist, hat der Wettbewerber Concordia aus Hannover ähnlich lautende Vorwürfe zurückgewiesen. „Diese Darstellung ist falsch, und wir dementieren nachdrücklich jedweden Zusammenhang zu jedweder Aktivität der Concordia mit dem Thema Prostitution“, erklärte ein Unternehmenssprecher am Montag. Die „Financial Times Deutschland“ hatte unter Berufung auf Branchen-Insider berichtet, es habe auch bei Concordia sogenannte Incentive-Reisen für besonders erfolgreiche Mitarbeiter gegeben. (dapd/dpa)

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Von Jan Haarmeyer

Intern werden sie nur die "Struckis" genannt. Struckis, das sind die Strukturvertriebler bei der Versicherung. Die Struckis bei der Hamburg-Mannheimer - die 1997 Gründungsmitglied der Ergo-Versicherung war, 2010 ihren eigenständigen Namen verlor und für die der seriöse Herr Kaiser bundesweit zur Symbolfigur für anständiges Auftreten und kompetente Kundenberatung wurde - bescheren dem Konzern jetzt ein handfestes Image-Problem. Sie sind nämlich ordentlich über die Stränge geschlagen, als das Unternehmen für seine besten Mitarbeiter eine rauschende Sex-Party in Budapest organisiert hat. Am 5. Juni 2007 verwandelten rund 100 Vertreter die traditionsreiche Gellert-Therme in ein Wasser-Bordell.

"Am Eingang wurden ich und die anderen Teilnehmer durchsucht, wie bei einer Sicherheitskontrolle am Flughafen", schilderte einer der Gäste an Eides statt dem "Handelsblatt", das den Skandal publik gemacht hat. Es sei "bei Strafe verboten, Fotos oder Filme von der Veranstaltung zu machen". Dann, so heißt es in der eidesstattlichen Versicherung eines anderen Teilnehmers, "kamen die Damen und zeigten uns, was sie hatten. Allen Beteiligten war klar, dass es sich um Nutten handelte."

Alexander Becker ist Sprecher der Ergo mit Sitz in Düsseldorf und hat im Moment eine Menge zu tun. "Ja", sagt er dem Abendblatt, "es ist richtig, dass es im Juni 2007 eine Incentive-Reise nach Budapest gegeben hat." Merkmal einer Incentive-Reise, weiß Wikipedia, ist "der freizeitorientierte Charakter der Reise, welcher sie von einer echten Geschäftsreise unterscheidet". Die Reisen seien "eine andere Art der Motivation zur Steigerung des Arbeitseinsatzes, der Loyalität zu einem Unternehmen oder einer Marke oder zur Förderung des Verkaufs von Produkten".

Die Recherchen von Alexander Becker haben ergeben, "dass bei einer Abendveranstaltung im Rahmen dieser Reise zirka 20 Prostituierte anwesend waren". Zu Details kann er keine Angaben machen.

Nach Schilderungen von Teilnehmern hatte das Unternehmen jedoch alles bestens organisiert. "Die Damen trugen rote und gelbe Bändchen", berichtete ein Gast in seiner eidesstattlichen Versicherung. "Die einen waren als Hostessen anwesend, die anderen würden sämtliche Wünsche erfüllen. Es gab auch Damen mit weißen Bändchen. Die waren aber reserviert für die Vorstände und die allerbesten Vertriebler." Zwischen den Heilquellen war laut Augenzeugen eine Bühne aufgebaut, auf der sich zwei professionelle Damen und ein als Pascha auftretender Herr gegenseitig befriedigten.

Alexander Becker sagt dazu: "Von öffentlichen Sexdarbietungen ist uns nichts bekannt." Nicht äußern wollte sich die Versicherung auch zu angeblich rechts und links von den Quellen aufgestellten Himmelbetten, die dem "Handelsblatt" zufolge mit Tüchern verhängt waren. "Jeder konnte mit einer der Damen auf eines der Betten gehen und tun, was er wollte", erklärte ein Teilnehmer demnach. "Die Damen wurden nach jedem solcher Treffen mit einem Stempel auf ihrem Unterarm abgestempelt. So wurde festgehalten, welche Dame wie oft frequentiert wurde."

Es ist eine sehr eigene Welt, die da nun zum Vorschein kommt. In dieser Welt geht es ausschließlich um Macht und Statussymbole. Es geht um den Aufstieg von ganz unten nach ganz oben - und das um jeden Preis. Und es geht um die HMI, die Hamburg-Mannheimer International, die laut Schilderung von Ergo-Mitarbeitern eine Art Eigenleben innerhalb des Konzerns geführt hat. "Das waren so eine Art Schmuddelkinder, die haben bei ihrer Arbeitsweise oft eine hohe Eigendynamik entwickelt, waren vom Konzern manchmal kaum zu kontrollieren, sorgen aber eben auch für große Umsätze", sagt ein Insider.

Während die Ergo-Mitarbeiter mit einem Grundgehalt von rund 1600 Euro anfangen und dann für einzelne Abschlüsse Provision bekommen, verdienen freiberufliche HMI-Vertriebler ausschließlich beim Abschluss von Verträgen. Klar, so der interne Kenner, "dass manche von denen dann auch einer 70-jährigen Oma noch eine Unfall- und eine Lebensversicherung aufschwatzen". Und überall verbrannte Erde hinterlassen. In Dänemark dürfe sich kein HMI-Vertreter mehr blicken lassen, nachdem den Dänen dort Versicherungen angedreht wurden, die wegen der unterschiedlichen Gesetzeslage gar keine Gültigkeit besaßen. Als das bekannt wurde, waren die Struckis mit der Provision längst über alle Berge.

Das einzige Ziel vieler Struckis, die diesen Job eben nicht nur als lukrative Nebentätigkeit sehen, ist es, in der Hierarchie nach oben zu klettern. Und irgendwann General zu sein. Davon gibt es ein bis zwei Dutzend, sie sind mit sechs Sternen ausgezeichnet. Darunter scharren die Generalsanwärter mit fünf Sternen bereits mit den Füßen.

Am Anfang, auf der untersten Stufen, beginnt es mit Motivationsseminaren. Auf diesen Veranstaltungen wird den Anwärtern erklärt, dass sie bei entsprechenden Abschlüssen ganz schnell nach oben klettern könnten. Mit einem Stern geht es los, in Stufe zwei hat man schon eine kleine Anzahl eigener Mitarbeiter. "Bei drei Sternen verdient man drei- bis viertausend Euro im Monat und hat bereits eine zweistellige Anzahl von Mitarbeitern", so der Insider.

Natürlich gebe es auch unter den Freiberuflern sehr gute Leute, aber die Fluktuation sei sehr groß, manche "sind nach fünf Monaten schon wieder weg", manche seien "unberechenbar", und bei denen falle dann eben ein analyse- und bedarfsgerechter Umgang mit den Kunden weg. "Sie müssen ja abschließen, um überleben zu können."

Schaffen Mitarbeiter den Sprung auf die nächste Stufe, gibt es kollektive Feiern, auf denen einzelne Vertriebler "mit Uhren belohnt werden, die den Wert eines Mittelklassewagens" haben. Die Botschaft lautet: Seht her, es lohnt sich, die nächste Stufe zu erklimmen.

Ulf Redanz, der den Vorstand der Hamburg-Mannheimer im März 2009 verlassen hat, hat in einem Interview, das er im September 2004 zusammen mit dem früheren HMI-Direktor Kai Lange gegeben hat, die Vertriebskraft der HMI-Mitarbeiter einmal fast euphorisch beschrieben: "Für mich ist eine der ganz herausragenden Qualitäten der HMI ihre Einzigartigkeit. Es gibt keinen vergleichbaren Vertrieb - innerhalb der Hamburg-Mannheimer, der Ergo-Gruppe, der Münchener Rück und auch nicht am Markt. (...) Es ist die Schlagkraft, Power, Dynamik und Innovationskraft, die die HMI zur 'Kaiserin der Vertriebe' macht. Unverwechselbar und unvergleichlich. Ich kenne keine Vertriebsorganisation, die eine solche pulsierende Kraft in sich trägt und die sich selbst seit 30 Jahren immer wieder auf Spitze programmiert."

Die Vertriebsorganisation war wohl eine ziemlich geschlossene Gesellschaft. "Etwas überspitzt kann man vielleicht sogar von sektenähnlichen Strukturen sprechen", sagt der Insider. Da wäre es dann eben auch gar nicht möglich gewesen, an solchen Incentive-Reisen nicht teilzunehmen. "Dann wäre man bei den Generälen in Ungnade gefallen und aus dem Kreis ausgeschlossen worden. Wer nicht mitzieht, wird aussortiert."

Heute bedauert Alexander Becker den Vorfall, der "einen gravierenden Verstoß gegen geltende Richtlinien des Unternehmens" darstelle und nicht toleriert werde. "Die verantwortliche Führungskraft und das verantwortliche Vorstandsmitglied sind für uns nicht mehr tätig", sagt Alexander Becker und schließt gleichzeitig aus, dass sich die Vorfälle wiederholen könnten. "Incentive-Reisen für Mitarbeiter wird es weiterhin geben - Reisen mit solchen Programmpunkten wie in Budapest allerdings nie mehr."

Der Bund der Versicherten forderte umfassende Aufklärung vom Ergo-Konzernvorstand. "Das ist einfach dreist und verantwortungslos", sagte der Justiziar des Bundes, Hajo Köster. Teilnehmer der Budapest-Reise berichteten, dass viele der damals anwesenden Generalrepräsentanten und Führungskräfte noch heute für das Unternehmen tätig seien.

Was an dem Abend geschah, das werden sie so schnell nicht vergessen. In der Mitarbeiter-Zeitschrift "Profil" stand im Juli 2007 eindeutig zweideutig: "Wer diesmal seine Badehose vergessen hatte, der hatte selbst Schuld." Und aus einem süffisant geschriebenen Bericht lässt sich erahnen, wie groß das Vergnügen der männlichen Teilnehmer gewesen sein muss. "Sachen gibt's, die gibt's gar nicht", hieß es dort. "Oder aber, sie sind so abgefahren, so sagenhaft und unbeschreiblich, dass es sie beinahe gar nicht geben dürfte." Und weiter heißt es: "Damit kann nichts und niemand mithalten, und genau darum ist es ja auch so wunderbar, ein HMI-Freak zu sein."