Haben die drei Neonazis neun türkische und griechische Ladenbesitzer und eine Polizistin ermordet? Es gibt einen schrecklichen Verdacht.
Wenn sich bewahrheitet, was Ermittler der Kripo und die Bundesanwaltschaft seit Freitag vermuten, steht eine in Deutschland bislang beispiellose Mordserie mit rechtsextremem Hintergrund vor der Aufklärung. Drei Neonazis, Uwe M., Uwe B. sowie ihre Mitbewohnerin Beate Z., sollen nicht nur für den Mord an der Heilbronner Polizisten Michèle K. im Jahr 2007 verantwortlich sein. In den Trümmern ihrer ehemaligen Wohnung in Zwickau ist nun auch die Waffe gefunden worden, die bei den sogenannten Döner-Morden benutzt worden war. Zwischen November 2000 und April 2006 waren mit dieser Waffe acht türkische und ein griechischer Ladenbesitzer per Kopfschuss aus nächster Nähe getötet worden. Ermittler sprechen von einer neuen Form des Rechtsterrorismus in Deutschland.
Wegen des vermuteten politischen Hintergrundes der Bluttaten hat die Bundesanwaltschaft den Fall an sich gezogen. Die Ermittler hoffen, nun endlich Licht in die lange als vollkommen rätselhaft geltende Tatserie bringen zu können. Wenn sich bewahrheitet, was sie annehmen, wenn die tödlichen Schüsse auf die Gewerbetreibenden in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel also aus Ausländerhass abgegeben wurden, stehen sie vor der Klärung der folgenreichsten politischen Tatserie in Deutschland seit den Morden der RAF.
Die Verdächtigen sind beileibe keine Unbekannten. In der Eisenacher Innenstadt ging am 4. November ein Wohnmobil in Flammen auf. In dem Wohnwagen hatten sich Uwe M., 38, und Uwe B., 34, erschossen - die Polizei war ihnen auf den Fersen. Zunächst wurden sie nur verdächtigt, kurz zuvor in Eisenach eine Sparkassenfiliale ausgeraubt zu haben. Ihre Bekannte Beate Z. soll das Wohnmobil dann angezündet haben. Danach ist sie zur ehemals gemeinsamen Wohnung nach Zwickau gefahren, so der Verdacht der Ermittler, und hat dort eine gewaltige Explosion herbeigeführt.
+++ Die erste Spur gab es 1998: Eine Chronik der Morde und Überfälle +++
Brand und Sprengung konnten allerdings nicht verhindern, dass Ermittler das Waffenarsenal entdeckten, das das kriminelle Trio gehortet hatte. In dem Wohnmobil fanden die Kripo-Leute die Dienstwaffe von Michèle K., die auf der Heilbronner Theresienwiese erschossen worden war, und die ihres lebensgefährlich verletzten Kollegen. In der Zwickauer Wohnung entdeckten sie neben einem Repetiergewehr und einer Maschinenpistole nun auch jene tschechische Ceska 83, Kaliber 7,65 mit Schalldämpfer - als Tatwaffe die einzige wirkliche Verbindung zwischen den Döner-Morden, die jahrelang Sonderkommissionen beschäftigten. Zuletzt hatte man schon erwogen, die unaufgeklärte Mordserie zu den Akten zu legen.
Beate Z., nach der bereits gefahndet wurde, hatte sich nach der Explosion der Polizei gestellt. Sie sitzt in Haft und schweigt. In ihrer gemeinsamen Wohnung mit Uwe M. und Uwe B. fanden die Ermittler neben den Waffen auch Beweisstücke, die den Verdacht nahelegen, die Taten seien aus politischen Motiven verübt worden. Was für Beweisstücke das sind, wollten die Ermittler zunächst nicht sagen. Klar ist jedoch, dass das Trio schon in den 1990er-Jahren enge Verbindungen zur Neonazi-Szene hatte. Alle drei gehörten damals dem "Thüringer Heimatschutz" an, einer losen Gruppe von Rechtsradikalen, die aus der "Anti-Antifa Ostthüringen" hervorgegangen war. Der "Heimatschutz" soll Verbindungen zur NPD gehabt haben und unter seinen Anhängern ein nationalrevolutionäres Gedankengut verbreitet haben. Der Chef der Gruppe war später vom Verfassungsschutz als V-Mann angeworben worden.
Eine multikulturelle Gesellschaft galt den Thüringer Neonazis als "eines der größten Verbrechen, was an der Menschheit verübt wurde". Ende der 90er-Jahre sprach die Gruppe konkrete Bombendrohungen aus. Unter den damaligen Haupttätern soll auch das Trio sein, dem jetzt die Mordserie angelastet wird. 1997 sollen Uwe M., Uwe B. und Beate Z. Bombenattrappen an die "Thüringische Landeszeitung" und die Polizei in Jena verschickt haben. Bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung wurden Rohrbomben, 1,4 Kilo des Sprengstoffs TNT und rechtsextremistische Flugblätter sichergestellt. Als der Haftbefehl vollstreckt werden sollte, setzten die Verdächtigen sich ab und tauchten unter.
Im Jahr 2003 stellte die Thüringer Kripo die Fahndung nach ihnen ein. Die ihnen damals angelasteten Taten waren verjährt. Dass sie mutmaßlich bereits seit drei Jahren als Serientäter durch Deutschland reisten, ahnte niemand. Der dritte Döner-Mord war in Hamburg schon geschehen: Am 28. Juni 2001 war der türkische Obst- und Gemüsehändler Süleyman T. in seinem Laden in Bahrenfeld hingerichtet worden. Die Täter schossen ihm dreimal in den Kopf. Tatwaffe war die Ceska, die sie zu diesem Zeitpunkt bereits bei zwei Morden in Nürnberg eingesetzt hatten - und mit der sie noch sechs weitere Menschen erschießen sollten. Die Hamburger Staatsanwaltschaft führt in dieser Sache noch ein Verfahren, wie Sprecher Wilhelm Möllers bestätigt.
Während die Ermittler bei den Döner-Morden (zwei der Opfer verkauften Döner) Ausländerhass vermuten, musste die 22-jährige Polizistin Michèle K. wohl sterben, nur weil sie die Ausweise der Verdächtigen kontrollieren wollte. Die Abgetauchten drohten enttarnt zu werden. Sie schossen auf sie und ihren Kollegen und flüchteten mit Handschellen, Reizgas sowie den Dienstwaffen. All diese Gegenstände sind in den Trümmern des Hauses und im ausgebrannten Wohnmobil der Verdächtigen wiedergefunden worden.
Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) kündigte noch gestern an, er werde das Vorleben der Verdächtigen genau prüfen lassen. Für seinen bayerischen Amtskollegen Joachim Herrmann (CSU) ist dies eine "neue Dimension der Brutalität von Neonazis", sollte sich der Verdacht auf rechtsextremistische Motive für die grausamen Morde bestätigen. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, sagte: "Wenn die Hinweise zutreffen, hat in Deutschland erstmals eine rechtsextremistische Terrorzelle eine entsetzliche Blutspur hinterlassen." Bei dem Gedanken, dass Terroristen mit Verbindungen in rechtsextreme Kreise zehn Menschen kaltblütig umgebracht haben könnten, stocke ihm der Atem.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Beate Z. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Mord und versuchtem Mord sowie schwerer Brandstiftung. Neben der Bundesanwaltschaft sollen das BKA und die Landeskriminalämter in Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen die Ermittlungen führen.