Bundesanwaltschaft verdächtigt rechtsextreme Polizistenmörder von Heilbronn auch der Mordserie an neun Imbissbetreibern.

Karlsruhe/Heilbronn/Zwickau/Hamburg. Bundesanwaltschaft und Kriminalpolizei sind offenbar einer bislang beispiellosen Mordserie mit rechtsextremem Hintergrund auf der Spur: Nach Einschätzung der Ermittler gehen sowohl die Tötung einer Polizistin in Heilbronn im April 2007 als auch die sogenannten Döner-Morde, denen in den Jahren 2000 bis 2006 bundesweit acht türkisch- und ein griechischstämmige Männer zum Opfer gefallen waren, auf das Konto einer rechtsextremistischen Gruppierung. Neben Taten in Nürnberg, München, Dortmund und Rostock gab es auch einen Fall in Hamburg. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übernahm am Freitag die Ermittlungen.

Auf den überraschenden Zusammenhang zwischen dem gewaltsamen Tod der Polizistin und der Mordserie an ausländischen Geschäftsleuten waren die Ermittler bei der Durchsuchung einer Zwickauer Wohnung gestoßen. Dort fanden Beamte jene Pistole der tschechischen Marke Ceska, Typ 83, Kaliber 7,65 Millimeter, mit der die neun Männer erschossen worden waren. Entdeckt wurden dort auch mehrere DVDs unter anderem mit einem Propagandafilm, wie ein Sprecher der Bundesanwaltschaft auf dapd-Anfrage sagte. Dieser beziehe sich auf eine Gruppierung mit dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Eine erste Auswertung lasse damit den Schluss zu, dass die Taten rechtsextremistisch motiviert gewesen seien. Die Filme zeigten auch deutliche Bezüge zu der Mordserie an türkisch- und griechischstämmigen Männern.

In der Zwickauer Wohnung hatten die beiden Männer gelebt, deren Leichen vor einer Woche in einem ausgebrannten Wohnmobil bei Eisenach gefunden worden waren. Die 34- und 38-Jährigen sollen zuvor eine Bank in Eisenach überfallen haben. Laut Polizei begingen sie Selbstmord. In dem Wohnmobil lagen auch die Dienstwaffen der getöteten Heilbronner Polizistin und ihres schwer verletzten Kollegen. In Zwickau wurde ebenfalls am 4. November bei einer Detonation das Haus zerstört, in dem die beiden Männer mit der 36 Jahre alten Beate Z. gelebt hatten. Die Frau soll die Explosion ausgelöst haben.

„Wir haben ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie des Mordes und versuchten Mordes gegen die mutmaßliche Brandstifterin von Zwickau eingeleitet“, sagte der kommissarische Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum am Freitag im ZDF. Mit den polizeilichen Ermittlungen beauftragte die Bundesanwaltschaft das Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen.

Nach den bisherigen Erkenntnissen verfügten die gestorbenen Männer und Beate Z. bereits Ende der 1990er Jahre über Verbindungen zu rechtsextremistischen Kreisen. Das Trio gehörte zum rechtsextremen „Thüringer Heimatschutz“ (THS). Die Gruppe tauchte nach Angaben des thüringischen Innenministeriums 1998 unter, nachdem in Jena ihre Bombenwerkstatt ausgehoben worden war.

Bei diesem Einsatz soll es eine gravierende Panne gegeben haben, wie der Berliner „Tagesspiegel“ (Samstagausgabe) unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete. Demnach legte die Polizei der tatverdächtigen Beate Z. einen Durchsuchungsbefehl vor. Obwohl die Polizei in der Garage vier Rohrbomben fand, wurde auf eine Festnahme von Beate Z. dem Bericht zufolge weiter verzichtet.

Indessen prüft die nordrhein-westfälische Polizei mögliche Zusammenhänge mit zwei Bombenanschlägen. Wie die „Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung“ (Samstagausgabe) unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete, stehen die in Eisenach tot aufgefundenen Personen im Verdacht, mit dem Nagelbombenanschlag am 9. Juni 2004 in einem türkischen Viertel von Köln zu tun zu haben. Dabei waren 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden. Auch ein Zusammenhang mit einem Bombenanschlag an der S-Bahn-Station Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000 wird nach „NRZ“-Informationen untersucht. Ein in einer Plastiktüte versteckter Sprengsatz war damals in einer Gruppe jüdischer Aussiedler explodiert, zehn Menschen wurden verletzt.

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) nannte die Morde an der Polizistin und den neun ausländischen Ladenbesitzern Rechtsterrorismus in Deutschland. „Wir müssen Konsequenzen daraus ziehen, dass die Täter sich jahrelang im Untergrund in Deutschland bewegen konnten. Aus Rechtsextremisten sind Terroristen geworden“, sagte Jäger den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe (Samstagausgabe).

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, sollte sich der Verdacht auf rechtsextremistische Motive für die grausamen Morde bestätigen, wäre dies aus seiner Sicht eine neue Dimension in der Brutalität von Neonazis. Diese Hintergründe müssten so schnell wie möglich und restlos aufgeklärt werden.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, rief zum verstärkten Kampf gegen Rechtsextremismus auf. „Wir müssen weiter daran arbeiten, jeder Form von Rechtsextremismus und Fremdenhass den Nährboden zu entziehen“, sagte er der Tageszeitung „Die Welt“ (Samstagausgabe).

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich über die jüngsten Ermittlungsergebnisse schockiert. Wenn die Hinweise aus Eisenach und Zwickau zuträfen, habe „in Deutschland erstmals eine rechtsextremistische Terrorzelle eine entsetzliche Blutspur hinterlassen“, kommentierte der GdP-Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dapd die „überraschende Entwicklung“. Der GdP-Chef sagte, bei dem Gedanken, dass offenbar Terroristen mit Verbindung in rechtsextreme Kreise zehn Menschen kaltblütig umgebracht haben könnten, „stockt einem der Atem“.

Unterdessen rief die Türkische Gemeinde in Deutschland zu Protestaktionen auf. „Das ist Rechtsterrorismus“, sagte ihr Vorsitzender Kenan Kolat der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Samstagausgabe). „Ich bin erschrocken darüber, dass in Deutschland Menschen wegen ihrer Herkunft getötet werden. Ich erwarte schnellstmögliche Aufklärung.“ Die Spitzen seiner Gemeinde wollten am Samstag über Protestaktionen beraten, fügte Kolat hinzu.

Erstes Opfer der mysteriösen Morde war im September 2000 ein türkischer Blumenhändler aus dem hessischen Schlüchtern, der an seinem mobilen Blumenstand in Nürnberg erschossen wurde. 2001 ereignete sich der nächste Anschlag in Nürnberg. Noch im selben Jahr folgten Morde in Hamburg und München. 2004 war Rostock Tatort. Später ereigneten sich Taten in München, Dortmund und Kassel.

Die Döner-Mordserie und der Polizistenmord in Heilbronn

Januar 1998: In Jena (Thüringen) hebt die Polizei eine Bombenwerkstatt der Rechtsextremisten Uwe B., Uwe M. und Beate Z. aus. Das Labor war in einer Garage versteckt. Es werden Rohrbomben mit dem Sprengstoff TNT sichergestellt. Das Trio flieht.

1999: Unbekannte Täter beginnen eine Serie von mindestens 14 Banküberfällen in mehreren ostdeutschen Bundesländern. Später werden die Taten Uwe B. und Uwe M. zugeordnet.

9. September 2000: In Nürnberg wird ein türkischer Blumenhändler erschossen. Bis April 2006 folgen weitere Morde an sieben Türken und einem Griechen, immer mit derselben Waffe und nach dem gleichen Muster. Die Taten werden als sogenannte Döner-Morde bekannt. Die blutige Spur zieht sich quer durch Deutschland: Zwei weitere Morde ereignen sich in Nürnberg (2001, 2005), zwei in München (2001, 2005), jeweils ein Mord geschieht in Kassel (2006), Hamburg (2001), Rostock (2004) und Dortmund (2006).

25. April 2007: In Heilbronn wird eine 22 Jahre alte Polizistin erschossen. Ihr Kollege überlebt schwer verletzt. Am Dienstwagen wird die DNA-Spur einer Unbekannten sichergestellt.

2007 bis 2009: Die Ermittler jagen ein Phantom. Gen-Spuren einer angeblichen „Frau ohne Gesicht“ werden bei mehr als 35 Straftaten gefunden – darunter Morde und Einbrüche.

27. März 2009: Die Staatsanwaltschaft Heilbronn gibt bekannt, dass die Gen-Spuren der „Frau ohne Gesicht“ bereits beim Verpacken auf die Wattestäbchen der Ermittler gelangt sind.

1. November: In Döbeln bei Leipzig wird am Abend ein Dönerbuden-Betreiber erschossen. Der Täter kann fliehen. Ob es eine Verbindung zu den früheren Döner-Morden gibt, ist unklar.

4. November: Nach einem Banküberfall in Eisenach (Thüringen) werden Uwe B. und Uwe M. tot in ihrem ausgebrannten Wohnmobil in einem Vorort von Eisenach gefunden. In Zwickau (Sachsen) geht die Wohnung, in der die beiden mutmaßlichen Bankräuber mit Beate Z. gelebt hatten, ebenfalls in Flammen auf.

7. November 2011: Das Landeskriminalamt teilt mit, dass die Dienstpistolen der Heilbronner Polizistin und ihres Kollegen in dem ausgebrannten Wohnmobil entdeckt wurden.

8. November 2011: Beate Z. stellt sich der Polizei in Jena und wird festgenommen. Sie soll nach Polizeiangaben mehrere Alias-Namen benutzen.

11. November 2011: Die Bundesanwaltschaft gibt bekannt, dass sie Verbindungen zwischen dem Polizistenmord von Heilbronn und der sogenannten Döner-Mordserie sieht.

(dpa/dapd/abendblatt.de)