Verseuchtes Wasser im Pazifik und unzählige Fragen zu möglichen Evakuierungen im Umkreis der Atomruine: Japan kommt nicht zur Ruhe.
Tokio. Eine Öko-Stadt nach deutschem Vorbild könnte zur neuen Heimat der Menschen aus der Evakuierungszone rund um die japanische Atomruine Fukushima werden. Aus der Sicht von Ministerpräsident Naoto Kan könnte die umweltfreundliche Stadt im Stil der sogenannten Gartenstädte Wohnraum für bis zu 100.000 Menschen bieten, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo am Mittwoch unter Berufung auf Kenichi Matsumoto, Sonderberater der japanischen Regierung. Für Verwirrung sorgte am Mittwoch die angebliche Aussage Kans, die 20 Kilometer große Evakuierungszone rund um die Atomruine bleibe für die nächsten 10 bis 20 Jahre unbewohnbar. Sowohl Kan als auch Matsumoto dementierten dies später wieder.
Wo genau die Öko-Stadt in der Präfektur Fukushima entstehen soll, war zunächst unbekannt. Kan habe einen möglichen Ort aber bereits im Kopf, sagte Sonderberater Matsumoto. Der zuständige Rat zum Wiederaufbau der Städte werde sich voraussichtlich in seiner ersten Sitzung am Donnerstag mit dem Thema beschäftigen.
Verseuchtes Wasser im AKW Fukushima wird weiter abgepumpt
Arbeiter im zerstörten Kernkraftwerk Fukushima haben ihren Kampf gegen einen möglichen Super-GAU fortgesetzt. Sie pumpten am Mittwoch weiter hochgradig verseuchtes Wasser am Reaktor 2 ab. Mit Hilfe von Behelfspumpen leiten sie Wasser, das sich in einem Tunnelschacht des Reaktors angesammelt hat, in einen Auffangbehälter des Turbinengebäudes, wie die Nachrichtenagentur Jiji Press meldete. Die verseuchten Brühe behindert die Bemühungen zur Kühlung der Reaktoren. Japan hatte am Vortag die Strahlengefahr genauso hoch eingestuft wie bei der ukrainischen Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren.
Es gibt jedoch auch Experten, die der japanischen Einschätzung widersprechen. So ist die Gefahr, die von den japanischen Reaktoren ausgeht, aus Sicht der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEA nicht so groß wie in der Sowjetunion 1986. Unterdessen wurde die Unglücksregion am Mittwoch von einem weiteren Nachbeben der Stärke 5,8 heimgesucht. Berichte über Schäden oder Verletzte lagen nicht vor. Auch eine Tsunamiwarnung gab es nicht.
Ines-Skala hilft bei Bewertung von atomaren Ereignissen
Die Regierung korrigierte derweil ihre Einschätzung der allgemeinen Wirtschaftslage im Land wegen der Katastrophe erstmals seit sechs Monaten nach unten. Das Erdbeben und der Tsunami vom 11. März hätten erhebliche Auswirkungen auf die wichtigen Exporte, die Produktion und den Privatverbrauch, hieß es am Mittwoch.
Der weltgrößte Autobauer Toyota muss wegen Engpässen beim Teilenachschub in Folge der Katastrophe die Fertigung auch an fünf europäischen Standorten vorübergehend einstellen. Betroffen sind Montageanlagen und Motorfabriken in Großbritannien, Montagewerke in Frankreich und der Türkei sowie ein Motorenwerk in Polen betroffen. Der Betrieb werde zwischen dem 21. April und 2. Mai für fünf Tage ausgesetzt, hieß es.
Atomunfall in Japan: Antworten auf die wichtigsten Fragen
Toyota hatte bereits zuvor angekündigt, Ende des Monats die Produktion in den meisten seiner 14 Werke in Nordamerika für vier bis fünf Werktage einzustellen. Bisher greift Toyota auf seine Teilelager zurück. Die Teilelieferanten in der japanischen Heimat leiden jedoch weiter unter den Folgen der Katastrophe, was sich auf Toyotas Produktion auswirkt.
Erster Flieger aus Tokio landet in Sendai
Ungeachtet eines weiteren Nachbebens hat der Flughafen Sendai am Mittwoch wieder seinen Betrieb aufgenommen. Um kurz nach acht Uhr (Ortszeit) morgens landete die erste Maschine aus Tokio, wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldete. Der rund 100 Kilometer von der Atomruine Fukushima entfernte Flughafen war vor gut einem Monat von dem Jahrhundert-Tsunami überschwemmt worden. Die Wiedereröffnung des Flughafens macht es für Helfer aus dem Großraum Tokio und dem Westen einfacher, in die Unglücksregion zu gelangen. Die Aufräumarbeiten in der Unglücksregion gingen unterdessen weiter.
Japan leistet Abbitte wegen verseuchten Wassers
Der Strom radioaktiv verseuchten Wassers in den Pazifik belastet Japans Beziehungen zu seinen Nachbarn. Außenminister Takeaki Matsumoto gab am Mittwoch zu, dass Japan erst nach Beginn der Einleitung die Botschaften der Pazifik-Anrainerstaaten informiert habe, wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldete. China, Russland und Südkorea hatten diese Entsorgung von schwach verstrahltem Wasser aus den Unglücksreaktoren wiederholt massiv kritisiert und umfassende Schutzmaßnahmen gefordert.
„Es ist wahr, dass unsere Benachrichtigung erst versendet wurde nachdem der Wasserabfluss begonnen hat“, sagte Matsumoto im Parlament. Inzwischen seien die Kommunikationskanäle jedoch verbessert worden. „Wir bedauern, dass wir bei der Weitergabe der Informationen zwei Minuten zu spät waren.“