Deutschland kann mit seinem Atomausstieg zum Vorreiter werden.
Seit ungefähr sechseinhalb Jahrzehnten neigen wir Deutschen (nicht zuletzt: wir deutschen Journalisten) dazu, unser Licht unter den Scheffel zu stellen. Dafür gab es 1945 unwiderlegbare, hinreichend kommunizierte Gründe, anno 2011 allerdings wirkt unsere autoaggressive Nörgelei mitunter wie gewohnheitliches Gequassel. Exzellente TV-Serien, echte Marktwirtschaft, modernes Romanschreiben, großes Kino? Können die Amerikaner viel besser. Liebesfilme, gutes Essen, moderne Philosophie, Lebenskünstlertum? Sind die Franzosen uns meilenweit voraus. Humor? Popkultur? Fish & Chips? Ach, Great Britain, wir werden nie sein wie du.
Weniger unterhaltsam, eher grotesk mutet diese Haltung angesichts der Ereignisse in Fukushima an. Kaum ein Kommentar, der nicht den "deutschen Sonderweg" in der Energiepolitik in Zweifel stellte, von hiesiger Atomhysterie faselte und schon fast neidisch den Blick in andere Länder richtete, wo man mit dem zweiten Super-GAU innerhalb von 25 Jahren ja ach so unaufgeregt - will sagen: cool - umgehe.
Die Wahrheit ist, dass die Kernschmelze in Japan einmal mehr belegt, was Aktivisten von Flensburg bis Oberammergau seit Jahrzehnten durchs Land rufen: Atomkraft ist nicht sicher, niemals, nirgends, und die Risiken selbst in Minimalprozentzahlen sind unverantwortlich gegenüber unseren Nachfahren. Dass hierzulande mittlerweile eine Bevölkerungsmehrheit diese Ansicht teilt und dadurch sogar die traditionell stramm lobbyistische Schwarz-Gelb-Phalanx zum Umdenken bewog, ist kein Grund zum Jammern, sondern zur Zufriedenheit. Nicht wir sind die Hysteriker. Die Franzosen, die noch immer fast 80 Prozent des Stroms nuklear erzeugen, die Polen, die ihr erstes AKW direkt an unserer Grenze platzieren wollen, oder die Inder, die die weltgrößte Nuklearanlage mitten in einem Erdbebengebiet planen, haben ihre Lektion nicht gelernt. Ihr Weiter-so ist nicht lässig, sondern schlicht ignorant.
Recht haben hiesige Skeptiker allerdings in einem Punkt: Allein aussteigen nützt uns herzlich wenig. Umso entscheidender wird sein, den deutschen allmählich in einem europäischen Sonderweg zu verwandeln. Es gilt daher Brüsseler Gremien zu bilden, in denen eine ökologische Energiewende verhandelt und verbindlich geregelt wird. Wir Deutschen könnten da Vorreiter sein, wenn wir uns selbstbewusster als solche begreifen. Bis zum globalen Sonderweg ist es dann irgendwann vielleicht gar nicht mehr weit.