Das Hochwasser strömt mitten durch die Millionenmetropole Brisbane und reißt alles mit. Straßen sind überflutet, die Menschen auf der Flucht.
Sydney. Die australische Wirtschaftsmetropole Brisbane erlebt einen Alptraum: Das Hochwasser hat den beschaulichen Brisbane River in einen reißenden Strom verwandelt und das öffentliche Leben praktisch zum Stillstand gebracht. Zehntausende flüchteten vor den Urgewalten. Im Nordosten Australiens starben bisher mindestens zwölf Menschen durch die Überschwemmungen. Die Ministerpräsidentin des betroffenen Bundesstaates Queensland, Anna Bligh, sagte am Mittwoch, die Zahl der Toten werde vermutlich steigen. 67 Menschen seien vermisst gemeldet.
Überall in der Region spielten sich dramatische Szenen ab. Mit knapper Not rettete sich eine hochschwangere Frau vor den Fluten und fand mit ihrem vierjährigen Sohn Unterschlupf in einem Notlager der australischen 140.000-Einwohner-Stadt Ipswich. Sie deutete auf vier Taschen. „Das ist alles, was wir noch haben“, sagte sie. „Die ganzen Sachen für das neue Baby - alles weg.“
In Brisbane, der drittgrößten Stadt auf dem Kontinent, rauschte der Brisbane River durch die Innenstadt und riss Boote, Autos und Container mit sich. Bligh erwartet Schäden in Milliardenhöhe. Der Höhepunkt des Hochwassers wurde für Donnerstag erwartet. Die Lage verschärfte sich in der Nacht zum Mittwoch dramatisch. Ein Drittel von Ipswich stand unter Wasser. Am Fluss Bremer stand das Hochwasser bei der Marke von fast 22 Metern. Damit war nicht der Wasserstand „über normal“ gemeint. Die Wasserstände werden vom Meeresspiegel oder vom Flussbett aus gemessen. “Das Wasser steigt und verschluckt unsere Stadt“, sagte Ipswichs Bürgermeister Paul Pisasale. „Aber das Wichtigste ist, dass die Menschen in Sicherheit sind.“ Paradoxerweise nahm das Drama am Mittwoch unter strahlend blauem Himmel seinen Lauf.
Im Flutchaos in Brisbane hoffen die Meteorologen auf Entspannung. Die Pegelstände am Brisbane River sollten unter der befürchteten Rekordmarke von 5,50 Meter bleiben. Jeder Zentimeter weniger Hochwasser bedeutete die Rettung für Dutzende Häuser. Am Morgen hatten die Behörden noch die Überflutung von bis zu 20.000 Gebäuden befürchtet.
Es war auch so schlimm genug: Vielerorts gab die Uferbefestigung nach. Der Brisbane River überflutete ganze Straßenzüge. „Gerümpel, Sofas, halbe Häuserwände, Pontons mit Booten darauf und allerlei mehr schwamm die ganze Zeit den ziemlich schnell gewordenen Brisbane River hinunter“, berichtete der Dresdner Webdesigner Torsten Schmidt, der in Brisbane lebt. „Die Leute sollten sich in Sicherheit bringen“, warnte Bürgermeister Campbell Newman. „Wir haben Notlager für 10.000 Menschen, vielleicht auch 18.000.“
Das erste Todesopfer in der Stadt war ein vierjähriger Junge, der aus einem Rettungsboot fiel und von den Fluten fortgerissen wurde, meldeten Lokalmedien. In einer Talkshow im Radio berichtete ein Anrufer von einem Hausboot, das sich mit zwei vor Schreck erstarrten Bewohnern an Bord losgerissen hatte. „Sie sind unter allen Brücken durchgerauscht“, sagte er. „Dann ist die Wasserpolizei ausgerückt, um das Boot zu packen und in Sicherheit zu ziehen.“ Als Vorsichtsmaßnahme wurde in Teilen der Stadt der Strom abgestellt.
Vielen Supermärkten ging die Ware aus, weil die Leute in letzter Minute Vorräte anlegten. Vor den Ausgabestellen der Sandsäcke bildeten sich lange Schlangen. „Es sind beängstigende Zeiten“, sagte Regierungschefin Bligh, deren Mutter in der Nacht aus ihrem Haus in Sicherheit gebracht werden musste. „Aber wenn wir Ruhe bewahren und zusammenstehen, werden wir darüber hinwegkommen.“ Premierministerin Julia Gillard versprach Hilfe: „Wir müssen über die nächsten Monate Schulter an Schulter mit den Queensländern stehen“, sagte sie.
Die Brisbaner entdeckten in der Stunde ihrer größten Not einen Gemeinschaftsgeist, den viele in der Großstadt nicht für möglich gehalten hatten, wie Außenminister Kevin Rudd berichtete. „Ich stand auf der Duke Street, als plötzlich das Wasser kam, und aus dem Nichts tauchten die Leute auf. Wir haben Menschenketten gebildet, um die wichtigsten Sachen aus einem Haus zu retten - und nach ein paar Stunden war es geschafft - das sind sehr bewegende Erfahrungen“, sagte Rudd, früher Regierungschef von Queensland.
Im Kontrast zu den chaotischen Zuständen in manchen Vierteln war die Stimmung in höher gelegenen Stadtteilen fast irreal: Leute, die nicht zur Arbeit gehen konnten, genossen den freien Tag in der Sonne. „Die Straßen vor unserem Apartmenttower sind inzwischen trocken, ich sehe Leute am Pool sitzen und sich auf der Wiese sonnen. Das ist eines der beiden Gesichter von Brisbane“, berichtete Torsten Schmidt, der in einem höher gelegene Stadtteil wohnt.
Die Schäden der verheerenden Flutkatastrophe gehen in die Milliarden. Matthew Johnson, Analyst der Bank UBS glaubt, dass die Folgen für Australien schwerwiegender sein werden als die des Hurrikans „Katrina“, der die Südküste der USA 2005 verwüstete. (dpa)