Die Bischofskonferenz diskutiert, wie man Missbrauchsopfern materiell helfen könne. Kritiker zweifeln die USA als Vorbild an.

Berlin/Washington/Mainz. Die Kirche ist nach Angaben des Leiters des Katholischen Büros bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, grundsätzlich zu Entschädigungszahlungen an Missbrauchsopfer bereit. „Im Prinzip bekennt sich die Kirche zu ihrer Verantwortung, dass sie den Menschen helfen muss“, sagte Jüsten am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. Derzeit diskutiere die Deutsche Bischofskonferenz, wie man Betroffenen auch materiell helfen könne. Dabei stünden zunächst einmal die Täter selbst in der Pflicht. Bei Mönchen seien zudem die Ordensgemeinschaften gefragt.

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Kritiker zweifeln jedoch daran, dass die US-Kirchen im Umgang mit Missbrauchsfällen eine Vorbildfunktion für Deutschland übernehmen können.Der Rechenschaftsbericht der katholischen Bischöfe in den USA fasst die Dimension des Problems in nüchterne Zahlen. Exakt 374.408.554 Dollar (rund 272 Millionen Euro) zahlte die US-Kirche allein im Jahr 2008 an Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester. Der Jahresbericht führt zudem rund 35,2 Millionen Dollar Anwaltskosten, 7,9 Millionen Dollar Therapiekosten für die Opfer und 14,2 Millionen Dollar zur Hilfe für die Täter an. Die Kirche zeigt Reue und zahlt: Bei der Aufarbeitung von Kindesmissbrauch ist die US-Kirche jener in Deutschland um Jahre voraus. Kritiker freilich warnen davor, die US-Katholiken als Vorbild für Deutschland zu nehmen. In ihrer Ratlosigkeit über die immer neuen Enthüllungen blickt die katholische Kirche in Europa hilfesuchend über den Atlantik.

Eine Häufung von Missbrauchsskandalen hatte die US-Kirche vor knapp zehn Jahren in ihre tiefste Krise geführt, seit den 60-er Jahren waren einer Untersuchung zufolge 14.000 Menschen von bis zu 5000 Priestern missbraucht worden. Die Kirche verschärfte als Reaktion ihr internes Vorgehen gegen pädophile Priester, die sie lange durch Vertuschung geschützt hatte. Millionenschwere Entschädigungen an die Opfer führten in der Folge ganze Diözesen in den Bankrott. Das Beispiel der katholischen Kirche in den USA hält nach Einschätzung des römischen Kurienerzbischof Rino Fisichella einige Lehren für Europa bereit, wie er der Zeitung „Corriere della Sera“ sagte. Er bezog sich dabei auf die „Charta für den Schutz von Kindern und jungen Menschen“, ein internes Regelwerk, dem sich die US-Kirche 2002 als Reaktion auf die Skandale unterworfen hat. Die Charta sieht bei begründeten Verdachtsfällen den sofortigen Abzug von Geistlichen aus dem Priesteramt vor. Anschuldigungen müssen kirchenintern geprüft werden. Eine Versetzung nachweislich pädophiler Priester in andere Gemeinden ist verboten. Die Biografien von Priestern, Priesteranwärtern und Kirchenmitarbeitern müssen auf einschlägige Vergehen in der Vergangenheit geprüft werden. Priester, Kinder und Kirchenmitarbeiter sollen in Lehrgängen für das Thema Missbrauch sensibilisiert werden - 1,8 Millionen Mitarbeiter haben diese Lehrgänge bis Ende 2008 durchlaufen.

Kritiker in den USA - unter ihnen viele Missbrauchsopfer - sehen freilich einen entscheidenden Schwachpunkt: Der Umgang mit Kinderschändern werde weiterhin kirchenintern geregelt, Täter würden vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. „Sexualtaten an Kindern sind ein Verbrechen und keine Kirchenangelegenheit“, kritisiert David Clohessy von SNAP (Survivors' Network of those Abused by Priests), dem größten US-Verband von kirchlichen Missbrauchsopfern. „Wir raten der deutschen Justiz dringend, Mut zu zeigen und zu ermitteln, anstatt die Angelegenheit in den Händen der katholischen Amtsträger zu belassen.“ In der Tat bietet die Charta der US-Kirche einen gewissen Spielraum zum Schutz der Täter. Für kirchenintern enttarnte Täter sieht die Charta „ein Leben des Gebets und der Buße“ vor, nicht aber den zwingenden Ausschluss aus dem Kirchendienst. Täter werden nur angehalten, kein Priestergewand mehr zu tragen und sich nicht öffentlich als Priester zu erkennen zu geben.

Was die Einschaltung der Strafjustiz angeht, rät die Charta den Diözesen, sich an örtliches Recht halten. Dieses sieht bei Missbrauch aber keine Anzeigepflicht vor, die wenigsten Priester landen also vor Gericht. Die Praxis der Geldzahlungen an Opfer schützt Priester ebenfalls vor Strafverfolgung, da es sich dabei meist um außergerichtliche Vergleiche handelt. „Man darf sich da nicht täuschen lassen: Das ist nur Kosmetik, das sind keine Reformen“, sagt SNAP-Sprecherin Barbara Dorris. „Keine Institution kann als Richter ihrer selbst auftreten, und den Bischöfen fehlt es hier an Ansporn und Integrität.“ Nur eine unabhängige Untersuchung und Verfolgung von außen sichere wirkliche Aufklärung.

Bischof Ackermann: Katholische Kirche hat vertuscht

Nach Ansicht des Trierer Bischofs Stephan Ackermann hat die katholische Kirche durch falsche Rücksichtnahmen eine wesentlich frühere Aufklärung der sexuellen Missbrauchsfälle verhindert. „Da wo kein wirklicher Aufklärungswille vorhanden war und Täter einfach nur versetzt wurden, müssen wir in einer ganzen Reihe von Fällen gestehen, dass vertuscht worden ist“, sagte der Beauftragte der katholischen Kirche zur Aufklärung von sexuellem Missbrauch im Interview mit der „Rhein-Zeitung“ (Mittwoch).

Die Schuldfrage sieht der Bischof dabei weniger bei der Kirche als Institution, sondern bei den Tätern und deren Vorgesetzten, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden. Zugleich verteidigte Ackermann den Papst gegen die Kritik, kein klares Wort zu den Missbrauchsfällen gefunden zu haben. „Man tut dem Papst Unrecht, wenn man den Eindruck erweckt, er wäre in dieser Frage nicht klar.“ Der Papst habe nach dem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, diesen in dem eingeschlagenen Weg der Aufklärung bestärkt.

Der Bischof gab sich in dem Interview zuversichtlich, die Missbrauchsfälle nun zügig aufzuarbeiten. „Wir werden in diesem Jahr unsere Leitlinien überarbeitet und die Entschädigung geklärt haben.“ Neben einer finanziellen Unterstützung der Opfer muss aus seiner Sicht die Anerkennung des Unrechts diesen Menschen auch gerecht werden. „Wir wollen uns nicht durch bestimmte Summen freikaufen.“

Die Diskussion um eine Abschaffung des Zölibats als Reaktion auf das Bekanntwerden der sexuellen Missbrauchsfälle in Deutschland hält Ackermann indes für nicht förderlich. „Eine sexuelle Störung liegt früher fest. Sie wird nicht durch ein Versprechen ausgelöst, das ein erwachsener Mann ablegt.“ Allerdings: Auch wenn er sich für die Beibehaltung des Zölibats ausspricht, sieht Ackermann der Zeitung zufolge in der Ehelosigkeit katholischer Priester keinen dogmatischen Glaubenssatz.

Papst Benedikt XVI. wird sich nach Ansicht des Kommissariats der deutschen Bischöfe noch in dieser Woche an die Opfer von sexuellem Missbrauch durch katholische Geistliche in Deutschland wenden. Prälat Karl Jüsten sagte am Mittwoch im ARD- „Morgenmagazin“: „Es ist angekündigt, dass er sich in dieser Woche zu Irland äußern möchte, und es ist sicher nicht auszuschließen, dass er auch die Situation in Deutschland anspricht. Es ist ja sein Heimatland. Mit einer Stellungnahme ist sicher in dieser Woche zu rechnen“, sagte Jüsten.

In einem Brief an die irischen Bischöfe werde Benedikt klare Maßnahmen bekanntgeben, hatte der Chef der päpstlichen Akademie für das Leben, Erzbischof Rino Fisichella, dem Mailänder „Corriere della Sera“ gesagt. Kirchlicher Kindesmissbrauch ist in Irland schon seit Jahren ein Thema.