Hamburg. Drei Spiele, drei Niederlagen, immerhin das erste Tor. Wo die Probleme des Kiezclubs liegen und ob sie zu bewältigen sind.
Von solch elenden Systemlingen musste sich Eric Smith direkt abgrenzen. Hallo, der Mann spielt schließlich beim FC St. Pauli. „System? Darüber will ich gar nicht sprechen. Unsere Leistung hat nichts mit dem System zu tun“, stellte Smith also erstmal fest. Womit die bisherige (Nicht-)Ausbeute der Hamburger in der Bundesliga von null Punkten und einem Tor aus drei Spielen stattdessen zu begründen ist: „Mit Mentalität und Intensität.“
Nicht gerade ein revolutionärer Ansatz für einen Aufsteiger, aber ein probater, um zumindest die Grundlage zu schaffen, auf höchstem deutschen Niveau mitzuhalten. Den Beweis dafür ist der Kiezclub bislang schuldig geblieben. Das 1:3 beim FC Augsburg am Sonntag war sogar der schwächste der bisherigen Auftritte. Reicht das für den Klassenerhalt?
Reicht das Niveau des FC St. Pauli für die Bundesliga?
Zugegeben, der Datensatz und die Eindrücke sind nach drei Begegnungen sehr klein. Zugleich ist die Leistung alarmierend, und das Signal ist auch in der Mannschaft angekommen. „Da ist jetzt nur Frustration“, sagte Carlo Boukhalfa, der einzige braun-weiße Torschütze bislang, am Sonntag. „Drei Niederlagen sind hart, ich bin sprachlos und traurig“, ergänzte Elias Saad.
Zwar betonten fast alle Akteure inklusive Cheftrainer Alexander Blessin, wie viel mutiger St. Pauli in der zweiten Halbzeit in Augsburg gespielt habe, dass die Ansätze in allen Partien zu sehen gewesen seien, doch diese Perspektive wirkt ein wenig wie gewollt, aber nicht gekonnt. Was zumindest offensiv zutreffend erscheint.
Offensive Harmlosigkeit beim Aufsteiger
Bei der Anzahl der Tore ist die Millerntor-Elf Letzter, bei den „expected goals“, den zu erwartenden Treffern, mit 2,3 ebenfalls. Torschüsse (31)? Vorletzter. Quote der Versuche, die auch tatsächlich aufs Gehäuse gehen: Vorletzter. Statistisch wie optisch ist der Liganeuling ausgesprochen ungefährlich.
Nach dem Augsburg-Spiel monierten mehrere Spieler die Mutlosigkeit, die vielen Rückpässe, die Blessin als „träge“ kritisierte. „Wenn wir von einer Seitenverlagerung sprechen, muss das mit Tempo geschehen. Wir haben zu viele Situationen abgebrochen, in denen ich mir mehr Tiefenläufe der Achter und Stürmer gewünscht hätte, bei denen wir auch den Ball schneller hätten rüberspielen müssen“, sagte der Trainer.
St. Paulis Spieler haben Anpassungsschwierigkeiten an das höhere Niveau
„Wir haben einen schlechten ersten Kontakt, das verunsichert uns noch mehr, keiner möchte den Ball, wir verkrampfen. Das ist eine Kettenreaktion“, sagte Smith. Die Mannschaft müsse wieder die Courage aus der vergangenen Saison finden.
Mit kämpferischen Tugenden ist es aber bei Weitem nicht getan. St. Pauli fehlt momentan ein kreativer Spielmacher im Mittelfeld. Abgesehen von Smith sind durch die Bank weg Anpassungsprobleme an das höhere Niveau auszumachen. Die größte Gefahr strahlt der zweifellos erstligareife Schwede mit seinen langen Bällen – St. Pauli spielt die meisten der Bundesliga – aus dem Zentrum der Innenverteidigung aus. Im letzten Drittel wird es dann ungenau und zögerlich. „Wir bekommen die Bälle zu selten hinter die Kette und sind nicht vertikal genug in unseren Abläufen“, sagt Johannes Eggestein.
Morgan Guilavogui fällt aus, kommt nun die Systemumstellung?
Dass dessen Sturmpartner Morgan Guilavogui mit einer noch nicht näher diagnostizierten Knieverletzung auszufallen droht, könnte sich als Segen im Unglück erweisen. Da St. Pauli keinen Ersatzmann auf Bundesliga-Niveau hat, würde dies, wie schon in Augsburg zur zweiten Halbzeit, eine Umstellung des – Achtung, Triggerwort-Warnung – Systems verursachen.
Das 3-4-3 wirkt bisher deutlich flüssiger als das 3-5-2, zumal dann Saad und Oladapo Afolayan fast sicher von Beginn an auf dem Platz stehen würden. Die Außenstürmer, die die Zweite Liga dominiert hatten, haben nur knapp ein Drittel der verfügbaren Spielzeit erhalten. Das macht sich bemerkbar.
Elias Saad frustriert: „Der Trainer hat seine Vorstellungen“
„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es anders ist“, sagte Saad am „DAZN“-Mikrofon auf die Frage, ob er wütend ob seiner Jokerrolle sei. „Ich komme jeden Tag zum Training und hoffe, dass ich wieder von Anfang an spielen kann, aber der Trainer hat im Moment seinen Plan und seine Vorstellungen.“ Die dürfte Blessin, der aber ohnehin in allen Partien zumindest später auf 3-4-3 umstellte, gegen RB Leipzig von Anfang an verwerfen.
Was den 51-Jährige kurioserweise ins nächste Dilemma stürzen könnte. Denn in der Verteidigung genügt die Leistung der Hamburger Bundesliga-Ansprüchen. Ein Effekt des stabileren 3-5-2 in der Ausführung, wie Blessin es bevorzugt spielen lässt.
In der Defensive hat St. Pauli den Bundesliga-Nachweis erbracht
Nahezu alle nennenswerten Metriken weisen St. Pauli im Ligadurchschnitt aus, beispielsweise bei der Zahl der erwarteten Gegentreffer (4,8) und Zweikampfquote (50 Prozent) als Zehnter respektive Neunter. Bei der Anzahl der intensiven Läufe (2211) ist Blessins Team Dritter, bei der gesamten Laufleistung (358,5 Kilometer) sogar Ligaspitze. Defensiv ist das also gewollt und gekonnt.
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Mit einem kleinen Abstrich. Bei Standardsituationen sind die Kiezkicker anfällig, vor allem bei Anschlussaktionen daran kommt Gefahr auf. Die wiederum bei ruhenden Bällen im Angriff noch ausbleibt. Immerhin: „Es gibt zumindest genügend Dinge, die wir verbessern können“, sagt Smith. Standardvarianten lassen sich einüben. Die dürfen dann selbst bei St. Pauli und sogar dem für die meisten Freistöße zuständigen Smith System haben.