Hamburg. Der Mittelfeldspieler profitiert vom neuen System von Cheftrainer Alexander Blessin. Selbst der Präsident lobt ihn.
Jackson Irvine muss sich auf Konkurrenz einstellen. Eigentlich hat der Kapitän des FC St. Pauli seinen Status aber sowieso schon so gut wie verloren. Die Einschätzung, wonach Carlo Boukhalfa besser sein könnte als der Australier, kommt schließlich von ganz oben. Alle würden in dieser Thematik immer nur über Irvine sprechen, befindet Präsident Oke Göttlich, aber Boukhalfa – der habe den meist unterschätzten Musikgeschmack der Mannschaft.
Über das Lob muss der 25-Jährige schmunzeln. Er darf es sich aber zu Herzen nehmen. Als langjähriger Musikunternehmer ist Göttlich ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet. Als solchen bezeichnet sich Boukhalfa nicht. „Ich höre überall rein. Wenn mir ein Song gefällt, kommt er in meine Playlist, dann lege ich manchmal im Kraftraum oder vor Spielen auf.“
Carlo Boukhalfa macht Jackson Irvine beim FC St. Pauli Konkurrenz – noch als Kabinen-DJ
Von Hip-Hop über Pop bis Country sei alles dabei. Musik begleite ihn, obwohl er „leider“ kein Instrument gelernt hat, sein Leben lang. „Sie gibt mir als Sportler die Möglichkeit, mich noch ein bisschen zu pushen.“ Die Mitspieler, für die er auflegt, offenbar ebenso. Sie finden auch sportlich lobende Worte für ihren DJ.
„Carlo ist ein super Typ. Er hatte hier keine einfache Zeit, hat sich aber extrem reingebissen“, sagt Innenverteidiger Hauke Wahl. Er könne gut den Ball verschleppen, sei „brutal robust“ und vor allem offensiv eine echte Gefahr.
Boukhalfa hatte die Wahl: Beleidigt sein oder Gas geben
Gebracht hat dies Boukhalfa seit seinem Wechsel ans Millerntor vor zwei Jahren herzlich wenig. Vergangene Saison spielte er 86 Zweitligaminuten, in der davor 185. Glücklich sei er damit nicht und sah sich vor eine Entscheidung gestellt: „Es gab zwei Optionen: Beleidigt sein und sich hängen lassen oder die Situation annehmen und versuchen, trotzdem besser zu werden und Freude zu haben.“
Der zentrale Mittelfeldspieler, der sich als „relativ umgänglichen Typen für jeden Trainer“ bezeichnet, hängte sich rein. Der Lohn: „Mit dem Aufstieg und meinen Toren habe ich schon viele besondere Momente erlebt. Ich bereue nichts.“
Die Bankdrücker bei St. Pauli lassen sich nicht hängen
Seiner Arbeitseinstellung schlossen sich Dauerbankdrücker wie David Nemeth und Danel Sinani an. „Ich habe sowas noch nie erlebt in einer Mannschaft, das Verhalten der Jungs, die weniger spielen, ist nicht selbstverständlich“, sagt Boukhalfa. Das seien alles „gute Jungs, die vergangene Saison bereits brutal zum Erfolg beigetragen haben. Das wird massiv unterschätzt, weil viele immer nur auf die schauen, die spielen.“
Der gebürtige Freiburger ist zusätzlich zu den Einheiten auf dem Platz oft im Kraftraum anzutreffen. Er legte besonders körperlich zu. „Aber auch taktisch waren die zwei Jahre bislang sehr lehrreich. Das Niveau hier war immer gut, ich konnte auch von meinen Mitspielern lernen.“
Das System von Alexander Blessin kommt Boukhalfa entgegen
Wenn der Deutsch-Algerier das öfters zeigen könnte, wäre sein Glück perfekt. Boukhalfa fühlt sich in Hamburg und im Kiezclub pudelwohl. Vor Kurzem bezog er seine neue Wohnung in Eimsbüttel. Zuvor hatte er schon beinahe verzweifelt in den sozialen Medien nach einem Apartment gesucht, nachdem er kurzfristig eine Absage erhalten hatte – das passiert auf dem Hamburger Wohnungsmarkt sogar Bundesligaprofis –, aber aus der befristeten Winterhuder Wohnung rausmusste.
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Noch wichtiger: Unter dem neuen Trainer Alexander Blessin bezog er wieder regelmäßig den Platz auf der Achterposition. Das 3-5-2 kommt ihm entgegen. „Es ist ganz cool, ein bisschen weiter vorne zu spielen und Torgefahr auszustrahlen“, sagt Boukhalfa. Wenn er sich beweist, könnte er bald nicht nur den DJ geben, sondern auf dem Feld die erste Geige spielen. Irvine macht er dabei keine Konkurrenz – sondern läuft neben ihm auf.