Hamburg. Selkes Mentalität ist wichtig für die Kabine. Verliert der HSV seinen besten Torschützen nach nur einem Jahr? Und was wird aus Glatzel?

Davie Selke strotzte nur so vor Körperspannung. An seinem zur Faust geballten Handrücken waren die Adern sichtbar, unter seinem Trikot spannte jeder Muskel. Plötzlich drehte der Stürmer des HSV seinen Kopf nach links zur Ersatzbank und schrie all seine Emotionen aus sich heraus. Als wollte er persönlich jeden Einzelnen wachrütteln und zu mehr Tatendrang animieren – sowohl auf dem Platz als auch im Staff.

„Diese Mentalität beibehalten!“, twitterte der Social-Media-Beauftragte des HSV, der sich das entsprechende Foto am Sonnabend herausgesucht hatte. Selke hatte soeben das 1:1 beim SSV Ulm erzielt. Es war bereits sein achtes Saisontor im 16. Spiel. Damit führt er nun alleine die interne Torjägerliste vor dem Langzeitverletzten Robert Glatzel und Ransford Königsdörffer (jeweils sieben Treffer) an.

Warum HSV-Stürmer Selke so wichtig ist

Wegen Szenen wie dieser hat der HSV Selke im Sommer ablösefrei vom Bundesliga-Absteiger 1. FC Köln verpflichtet. Der Angreifer ist bekannt dafür, bei seinen Toren positiv durchzudrehen. In solchen Momenten wirkt Selkes Mimik beinahe beängstigend.

Es ist genau diese mitreißende Emotionalität und Mentalität, die dem HSV in seinen vorherigen sechs Zweitligajahren gefehlt hatte. Gerade in Auswärtsspielen wie in Ulm. Bei einem Aufsteiger, der im Tabellenkeller festhängt, im Spiel des Jahres gegen den HSV aber bereit ist, alles aus sich herauszuholen und körperliche Grenzen zu überwinden. Ein Duell, in dem es weniger auf technische Fähigkeiten, von denen Selke nicht viele hat, ankommt, sondern auf Widerstandsfähigkeit, von der Selke sehr viel hat.

Deshalb waren sich Sportvorstand Stefan Kuntz, Sportdirektor Claus Costa und Ex-Trainer Steffen Baumgart im Sommer einig, potenzielle Neuzugänge auf ihr Sieger-Gen abzuklopfen, um die Führungsstruktur innerhalb der jahrelang vom Misserfolg geprägten Mannschaft zu verändern. Aufgegangen ist dieser Plan allerdings nur bei zwei Spielerverpflichtungen: Selke und Mittelfeldspieler Daniel Elfadli. Die ebenfalls neu geholten Marco Richter, Adam Karabec, Lucas Perrin, Silvan Hefti und Emir Sahiti sind dagegen eher Mitläufer, die weit davon entfernt sind, Führungsaufgaben zu übernehmen, weil sie mit sich selbst genug zu tun haben.

HSV droht ablösefreier Selke-Abgang

Der dringend benötigte Kulturwandel innerhalb der Mannschaft kann also erst am Anfang sein und droht trotzdem bereits einen ersten Rückschlag zu erleiden. Denn einer der beiden Toptransfers des Sommers könnte den HSV nach nur einem Jahr wieder verlassen. Wie das Abendblatt erfuhr, verlängert sich Selkes Vertrag im Juni nur dann automatisch bis 2026, wenn die Hamburger aufsteigen.

Mit anderen Worten: Sollte der HSV zweitklassig bleiben, wonach es aktuell mit Platz acht aussieht, wäre der Torjäger im Sommer vertragslos und könnte ablösefrei wechseln. Diesen vorläufigen Einjahresvertrag, der Vor- und Nachteile für beide Seiten mit sich bringt, sollen im Sommer sowohl Selke als auch der Club so gewollt haben.

Um einen Verbleib des Torjägers nicht vom Aufstieg abhängig zu machen, müssen sich Kuntz und Costa Gedanken machen. Eine Option wäre es, den Vertrag des Stürmers vorzeitig und unabhängig vom Saisonausgang bis 2026 auszudehnen. Voraussetzung dafür wäre es, dass Selke weiterhin konstant trifft und auch in seiner Rolle als Führungsspieler in der Kabine nicht nachlässt. Sehr wahrscheinlich rücken die Vertragsgespräche im Frühjahr auf die Agenda, denn aktuell soll das Thema im Volkspark nicht prioritär behandelt werden.

Selke würde wohl gern beim HSV bleiben

Dem Vernehmen nach soll Selke einer weiteren Saison beim HSV offen gegenüberstehen – und zwar unabhängig vom sportlichen Erfolg, der für alle Beteiligten natürlich weiterhin das Ziel bleibt.

Bislang sind keine Signale zu vernehmen, dass der in einem Monat 30 Jahre alt werdende Angreifer im Falle eines Nichtaufstiegs das Weite suchen und von seiner komfortablen Situation eines ablösefreien Wechsels Gebrauch machen möchte. Doch Stand jetzt wäre genau das der Fall, sofern sein Vertrag nicht angepasst werden oder sich der achtplatzierte HSV in der Tabelle um mindestens fünf Ränge verbessern sollte.

HSV bespricht auch Königsdörffers Vertrag

Selke ist nicht die einzige Personalie im Sturm, die den Zweitligisten im Winter beschäftigen wird. Anfang des Jahres ist auch ein Zukunftsgespräch mit Königsdörffer und seiner neuen Berateragentur „Roof“ geplant. Bei dem Treffen will der Club eruieren, ob sich Königsdörffer auch mittelfristig zum HSV bekennt. Für den Fall soll sein in eineinhalb Jahren auslaufender Vertrag verlängert werden.

Anders wäre die Lage, wenn der Sieben-Tore-Stürmer seine Zukunft unabhängig vom HSV in der Bundesliga oder im Ausland sehen sollte. Dann hätte der Club im kommenden Sommer letztmals die Möglichkeit, Königsdörffer (kam 2022 für 1,2 Millionen Euro aus Dresden) gewinnbringend zu verkaufen.

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Neben HSV-Stürmer Selke: Was ist mit Glatzel?

Neben Selke und Königsdörffer muss sich der HSV möglicherweise auch mit der Zukunft eines weiteren Stürmers befassen: Robert Glatzel. Ob der bis mindestens März ausfallende Schlüsselspieler im Juni erneut eine Ausstiegsklausel besitzt, ist aktuell unklar. Zur Erinnerung: In den vergangenen beiden Sommer-Transferperioden hatte der HSV stets um den Verbleib seines Toptorschützen bangen müssen. Trotz des unterschriftsreifen Angebots von Schalke 04 (2023) und des Interesses von Augsburg und Heidenheim (2024) machte Glatzel letztlich aber nie Gebrauch von seiner Wechseloption.

HSV-Stürmer Robert Glatzel fällt seit Oktober wegen eines Sehnenabrisses im Hüftbeuger aus.
HSV-Stürmer Robert Glatzel fällt seit Oktober wegen eines Sehnenabrisses im Hüftbeuger aus. © WITTERS | TimGroothuis

Im Sommer 2023 war seine Entscheidung mit einer Vertragsverlängerung um zwei Jahre bis 2027 und einer neuen Ausstiegsklausel für 2024 belohnt worden. Im vergangenen Sommer ließ Glatzel dagegen nur die Frist dieser Klausel verstreichen, ohne einen neuen Kontrakt beim HSV zu unterschreiben. Dadurch ist es aktuell unklar, wer im nächsten Sommer eigentlich das Heft des Handelns in der Hand hat.

Um den Aufstieg endlich zu erreichen, bräuchte der HSV wohl mehr Typen vom Kaliber Glatzels und Selkes. Zumindest darin besteht Klarheit.