Hamburg. Sportvorstand Stefan Kuntz greift konsequent durch beim HSV. Vor harten Entscheidungen schreckt er nicht zurück.
Stefan Kuntz sah am Mittwoch ganz genau hin. Gemeinsam mit Sportdirektor Claus Costa verfolgte der Sportvorstand des HSV die zweite Einheit unter Interimstrainer Merlin Polzin. Kuntz bleibt weiterhin nah dran an der Mannschaft, so interpretiert er seine Aufgabe schon seit seinem Amtsbeginn im Sommer.
Hinter seinem Rücken trainierten parallel die am Dienstag aussortierten Levin Öztunali und Moritz Heyer mit der U21. Die Entscheidung, mit der Degradierung Druck auf einen Winterabgang der keine Rolle mehr spielenden Profis auszuüben, war auch am Tag danach das Gesprächsthema Nummer eins unter den wenigen Fans, die im Volkspark vorbeischauten. Zumal mit Athletiktrainer Daniel Müssig auch noch eine dritte Person nicht mehr Teil des Profiteams ist.
Die Maßnahmen wurden zwar am selben Tag beschlossen, die Hintergründe sind allerdings unterschiedlich. Im Fall von Müssig war in Spielerkreisen schon länger Kritik am Fitnesszustand der Mannschaft zu vernehmen. Anhand der vorhandenen Statistiken lässt sich diese Theorie allerdings nur bedingt belegen. Bei den Sprints (Platz neun) und intensiven Läufen (elf) rangiert der HSV im Mittelfeld der Liga, bei der reinen Laufdistanz liegen die Hamburger auf Platz fünf.
HSV: Warum Kuntz Müssig aussortierte
Außerdem ist es erst zwei Wochen her, dass die Laufwerte der Mannschaft ganz offiziell gelobt worden sind. „Ich habe keinen gesehen, der von der Intensität und Laufbereitschaft her danebengelegen hat“, sagte Steffen Baumgart nach der 1:3-Pleite in Braunschweig. Eine Einschätzung, die in der Führungsetage seinerzeit gestützt wurde.
Offiziell heißt es deshalb auch, dass sich Müssig nichts hat zuschulden kommen lassen. Vielmehr sei er wegen atmosphärischer Störungen vorläufig aussortiert worden. Nach Abendblatt-Informationen soll der seit neun Jahren beim HSV angestellte Fitness-Experte eine schlechte Stimmung in die Kabine getragen haben.
Da es speziell Kuntz ein Anliegen ist, mehr Optimismus in den eigenen Reihen zu verbreiten, wurde Müssig dieser Kritikpunkt nun zum Verhängnis. Über seine Zukunft soll der neue, noch nicht gefundene Cheftrainer entscheiden.
Kuntz geht anders vor als Boldt
Allerdings hat sich Kuntz mit dieser Entscheidung nicht nur Freunde gemacht. Einige im Staff reagierten verunsichert, als sie darüber informiert wurden. Doch Kuntz ist bekannt dafür, vor harten Maßnahmen nicht zurückzuschrecken und konsequent zu handeln, wenn er die Notwendigkeit dafür erkennt. Im Volkspark soll der Vorstand bei Disziplinlosigkeiten deshalb auch schon laut geworden sein.
Mit seiner Art, einen Verein zu führen, schlägt er eine andere Richtung ein als Vorgänger Jonas Boldt. Der 42-Jährige hatte sich immer schützend vor alle Mitarbeiter gestellt, auch wenn der Erfolg in den fünf Jahren seiner Amtszeit ausgeblieben war.
Kuntz griff schon beim FCK durch
Schon bei seinen vorherigen Managerstationen beim VfL Bochum (sportlicher Leiter) und beim 1. FC Kaiserslautern (Vorstandschef) galt Kuntz als einer, der hart durchgreift. Beim FCK wurde ihm zum Ende seiner Amtszeit ein autoritärer Führungsstil vorgeworfen. „Wenn jemand anderer Meinung war oder wenn du vielleicht sogar die Fakten auf deiner Seite hattest, hätte ich trotzdem viel versöhnlicher und umgänglicher solche Diskussionen führen müssen, um den einen oder anderen das Gesicht wahren zu lassen. Da war ich manchmal viel zu schroff, manchmal auch zu beleidigt und viel zu emotional. Ich glaube, da hätte ich auch sehr viel Schärfe rausnehmen können“, sagte Kuntz im Februar dem SWR.
Die Geschichten aus Kaiserslautern, aus denen Kuntz seine Lehren gezogen hat, liegen allerdings schon acht Jahre zurück. Sein Führungsstil von damals ist also nicht mehr so ganz mit dem von heute zu vergleichen.
Und trotzdem ist er seiner konsequenten Linie immer treu geblieben. So unterstützt Kuntz aktuell auch die Ausbootung von Heyer und Öztunali, wenngleich er diese Maßnahme gar nicht beschlossen hat. Es war Polzin, der die Trainingsgruppe verkleinern wollte.
Bekommt Polzin mehr als ein HSV-Spiel?
Da dem 34-Jährigen offenbar so viel Entscheidungsgewalt eingeräumt wird, drängt sich die Frage auf, für wie lange die Interimslösung eigentlich geplant ist. Schließlich ergäbe es kaum Sinn, zwei Spieler für eine Woche zur U21 zu schicken, nur damit diese vom dann folgenden neuen Cheftrainer eventuell wieder begnadigt werden. Doch wer sagt denn überhaupt, dass Polzin nur das kommende Auswärtsspiel in Karlsruhe an der Seitenlinie steht?
Tatsächlich erwägt der HSV, Polzin länger im Amt zu lassen, um mehr Zeit für die Trainersuche zu gewinnen. Zumal sich die Suche nach einem Nachfolger für Baumgart zäh gestaltet und weiterhin kein Zeitplan in Sicht ist. Ob Polzin mehr als nur ein Spiel bekommt, wird allerdings sowohl vom Auftritt als auch vom Ergebnis in Karlsruhe abhängen.
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Es ist eine Situation, die für Polzin nicht neu ist. Schon bei seinem ersten Intermezzo als Interimscoach im Februar durfte das Trainertalent nach der Beurlaubung von Tim Walter auf mehrere Partien in der Hauptverantwortung hoffen. Dann aber folgte ein wildes 2:2 bei Hansa Rostock, woraufhin sich Ex-Vorstand Boldt zum Handeln gezwungen sah und Baumgart verpflichtete.
HSV-Trainer Polzin ändert Taktik
Damit diesmal alles besser läuft, will der in der Mannschaft beliebte Polzin taktisch einiges ändern. Am Mittwoch war seine auffälligste Neuerung das Einstudieren einer Viererkette. Baumgart hatte in dieser Saison immer mit einer Dreier- beziehungsweise Fünferkette spielen lassen. Doch Polzin will das Spiel einfacher gestalten.
Nach Abendblatt-Informationen hatte es zuletzt von Teilen der Mannschaft Kritik gegeben, dass ein klarer taktischer Plan gefehlt habe. Besonders auf die zweiten Halbzeiten, in denen der HSV viermal Führungen verspielt hat, sollen sich mehrere Spieler nicht ausreichend vorbereitet gefühlt haben.
Polzin könnte nun wieder zum jahrelang praktizierten 4-3-3 mit den Flügelspielern Jean-Luc Dompé und Bakery Jatta zurückkehren. Diesen Eindruck gewann auch Trainingsbeobachter Kuntz, der nach nur zwei Punkten aus vier Spielen klare Veränderungen fordert.