Kaiserslautern. Nicht nur „aufm Betze“ haben die Joker Selke, Dompé, Karabec und Sahiti den Unterschied gemacht. Kann Baumgart alle zufrieden stellen?

Es wurde schon langsam hell, als der Mannschaftsbus des HSV am frühen Sonntagmorgen nach mehr als sieben Stunden Fahrt endlich am Volksparkstadion vorfuhr. Mit im Gepäck auf der 677 Kilometer langen Strecke hatte Busfahrer Miroslav Zadach gleich drei Dinge dabei. Erstens: Das gute Gefühl, einen Last-minute-Punkt aus Kaiserslautern mitgenommen zu haben.

Zweitens: das sehr gute Gefühl, den möglicherweise ausgeglichensten Kader der Zweiten Liga zu haben. Und drittens: das herausragende Gefühl, dass Trainer Steffen Baumgart schon vor dem 2:2 entschieden hatte, seinen Jungs zwei freie Tage zu gewähren. Hoch die Hände, Wochenende.

HSV in Kaiserslautern: Selke traf erneut als Joker

Davie Selkes Hände (und die dazugehörigen Extremitäten) umarmten bereits wenige Stunden zuvor in den Katakomben des Fritz-Walter-Stadions Stefan Kuntz fest und ließen den HSV-Sportvorstand gar nicht mehr los. Der Ex-Stürmer, der seine größten Erfolge in Kaiserslautern feierte, und der aktuelle Stürmer, dessen spätes Ausgleichstor die zahlreich mitgereisten HSV-Fans in Ekstase versetzt hatte, herzten sich, strahlten und klopften sich voll Glück auf den Rücken.

„Geil, geil!“, sagte Selke, als Kuntz ihn dann doch am Ende eines langen Abends losgelassen hatte. Und noch einmal: „Geil! Für uns als Truppe ist das ein Supergefühl, dass wir bis zur letzten Minute immer noch nachlegen können.“

Robert Glatzel machte den Anschlusstreffer

Tatsächlich waren es in Kaiserslautern erneut die Hamburger Einwechselspieler, die nach Robert Glatzels Anschlusstreffer zum 1:2 (58.) für frischen Wind sorgten. Nach einer Stunde, in der Kaiserslautern schon zweimal durch Ragnar Ache (33.) und Richmond Tachie (49.) getroffen hatte und die bessere Mannschaft war, brachte HSV-Trainer Baumgart gleich drei neue, frische Kräfte, die dem Spiel eine ganz neue Richtung gaben.

„Alle, die reinkommen, wollen natürlich von Anfang an spielen – und das zeigen sie auch“, sagte Selke, der neben Adam Karabec und Jean-Luc Dompé direkt nach Glatzels Tor zum 1:2 reindurfte. „Dieser Druck, den die Einwechselspieler erzeugen, wird für uns wichtig werden. Das kann uns das Jahr tragen.“

Auch Sahiti überzeugte

Weil Baumgart eine Viertelstunde nach dem Dreierwechsel sogar noch einmal nachlegte und mit Neuzugang Emir Sahiti und Vizekapitän Ludovit Reis zwei weitere Hochkaräter von der Bank brachte, blieb Kaiserslauterns Marlon Ritter nur der Frust: „Hamburgs Qualität von der Bank – so etwas hat in dieser Liga nichts zu suchen“, sagte der rote Teufel.

Baumgart wollte um kurz vor Mitternacht nicht einmal widersprechen. „Das Entscheidende ist, dass die Jungs, die hereinkommen, diese Rolle auch annehmen und richtig Gas geben“, sagte der Coach, lobte explizit Karabec und Dompé und orakelte: „Das kann auf lange Sicht für uns noch so richtig entscheidend werden.“

Marktwerte der HSV-Ersatzspieler: 20,1 Millionen Euro

Bereits beim 5:0-Sieg gegen Regensburg trafen die eingewechselten Dompé (doppelt) und Selke, beim 4:1-Erfolg gegen Münster machte Joker Moritz Heyer ein Tor. Schaut man sich die Bankbesetzung am Sonnabend in Kaiserslautern an, dann ergeben die zusammengerechneten Marktwerte der Hamburger Ersatzspieler beeindruckende 20,1 Millionen Euro. Das ist die teuerste Bank der Zweiten Liga.

Doch die größte Kunst besteht darin, diese Luxusbank auch bei Laune zu halten. Größter Härtefall ist dabei sicher Dompé, der gerne zwischen Genie und Wahnsinn wandelt. Der Franzose braucht eine harte Hand und gleich-zeitig regelmäßige Streicheleinheiten – besonders, wenn er nicht von Anfang an spielen darf. Etwas spaßig meinte Coach Baumgart bei Sport1, er sei sich „relativ sicher, kein Trainer der Welt bekommt diesen Spieler in den Griff.“ Er selbst hoffe, dass er Dompé so lange wie möglich „auf Spur“ halten kann.

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Zwischenfazit: Baumgart kann. Dompé hat seine Rolle akzeptiert und bringt von der Bank Bestleistungen – vorerst. Doch Baumgart weiß, dass der exzentrische 29-Jährige, dessen Vertrag ausläuft, nicht wochenlang die Rolle als Back-up vom zehn Jahre jüngeren Fabio Baldé klaglos hinnehmen wird.

Auch Karabec, der Selkes Tor zum 2:2 herausragend vorbereitete und auch sonst für viel Druck sorgte, ist in der Theorie zu gut für die Rolle des Einwechselspielers. In der Praxis können aber nur elf von Anfang an auflaufen. So reichte es beispielsweise in Kaiserslautern nicht einmal für einen Kaderplatz für Kreativspieler Immanuël Pherai.

Selke will nun gegen Paderborn spielen

Die Karten für die begehrten Startelf- und Kaderplätze im Hinblick auf das Heimspiel gegen den SC Paderborn werden ab Dienstag neu gemischt. „Natürlich will man spielen“, sagt Torjäger Selke. Denn sitzen – egal ob auf der Tribüne oder der teuersten Bank der 2. Liga – ist ja für den A... llerwertesten.