Hamburg. Tim Walters Ansatz wird die Hierarchie im HSV-Kader durcheinanderwirbeln. Wer profitieren und wer das Nachsehen haben könnte.

Vor wenigen Tagen ist Manuel Wintzheimer verreist. Eigentlich wäre der Stürmer des HSV in dieser Woche gerne mit der deutschen U-21-Auswahl zur Europameisterschaftsendrunde nach Ungarn geflogen. Stattdessen macht der 22-Jährige Urlaub in der bayerischen Heimat. Am 16. Juni wird er voller Vorfreude wieder zum Trainingsauftakt erscheinen.

Wintzheimers Vorfreude trägt einen Namen: Tim Walter. Der neue HSV-Trainer, der sich am Dienstag im Volkspark vorgestellt hatte, hat eine ganz besondere Verbindung zum jungen HSV-Angreifer. „Er war in der B-Jugend mein Trainer, und schon damals hatte er eine besondere Philosophie vom Offensivfußball“, sagt Wintzheimer am Telefon im Gespräch mit dem Abendblatt.

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Was Wintzheimer nicht sagte: Nicht nur in der U 17, auch in der U 23 des FC Bayern war Walter sein Trainer. Und die Bilanz kann sich sehen lassen. In 23 Spielen unter Walter gelangen Wintzheimer 27 Tore und zehn Vorlagen. Kein Wunder, dass sich der Bayer unter seinem Ex-Trainer in der kommenden Saison richtig gute Chancen ausrechnet.

„Er macht gewisse Dinge anders als andere Trainer. Mir gefällt das sehr gut“, sagt Wintzheimer, der den Fußballlehrer auch menschlich schätzt. „Tim Walter ist ein guter Typ. Er hat seinen ganz eigenen Spielstil. Bei uns hat das richtig gut funktioniert. Als Spieler muss man sich erst einmal an diesen Fußball gewöhnen, aber wir haben ja einige Wochen Vorbereitung, um seine Abläufe und Ideen kennenzulernen und umzusetzen.“

WIntzheimer und Kinsombi Gewinner des HSV-Trainerwechsels?

Dieser Fußball, den Walter spielen lässt, ist das große Thema, wenn man über die Gewinner und Verlierer des Trainerwechsels beim HSV philosophiert. Wintzheimer ist der eine Gewinner, David Kinsombi könnte ein zweiter sein. Der Mittelfeldspieler, der nach zwei schwierigen Jahren in Hamburg schon als Verkaufskandidat genannt wurde, könnte unter Walter wieder eine ganz neue Perspektive haben.

Vor seinem Wechsel nach Hamburg spielte Kinsombi in Kiel sein vermutlich bestes Halbjahr als Profi, ehe er sich im Januar 2019 das Schienbein brach. Zuvor hatte ihn Walter bei den Störchen zum Kapitän gemacht. Er ist überzeugt, dass er bei Kinsombi den richtigen Knopf drücken kann. „Ich habe da schon meine Kniffe, wie ich mit David umgehen muss“, sagte Walter bei seiner Vorstellung.

Doch wo Gewinner sind, sind Verlierer nicht weit. Um dieser Frage nachzugehen, muss man zunächst einmal diesen walterschen Fußball erklären. „Der letzte freie Radikale“, schrieb die „Süddeutsche“ am Mittwoch über die Philosophie des 45-Jährigen. Mutiger Ballbesitzfußball von hinten heraus mit extremen Positionswechseln, aggressives Herausrücken der Innenverteidiger und ein Torhüter, der nicht wie einst unter Christian Titz die Libero-Rolle übernimmt, dafür aber wie eine Art Innenverteidiger spielt, indem er im Spielaufbau immer wieder auf die Seiten pendelt.

Heuer Fernandes und Jung vor HSV-Abschied

Im Februar 2019 ging ein Tor der Kieler gegen Magdeburg um die Fußballwelt. Es begann mit einem Dribbling von Torhüter Kenneth Kronholm. Nach sechs weiteren Stationen war das Kunstwerk durch Torschütze Janni Serra vollendet. CNN-Reporter Piers Morgan twitterte vom „größten Tor in der Geschichte des Weltfußballs“.

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Die entscheidende Frage lautet: Ist HSV-Torhüter Sven Ulreich für diese Art Fußball der Richtige? Der 32-Jährige offenbarte in der vergangenen Saison große Schwächen mit dem Fuß. Dass Walter mit Ulreich so spielen kann, wie er das einst in Kiel machte, darf bezweifelt werden. Stand jetzt plant der HSV aber, mit Ulreich auch unter Walter in die neue Saison zu gehen. Daniel Heuer Fernandes, die ehemalige Nummer eins und eindeutig der bessere Fußballer, hat nach Abendblatt-Informationen vom HSV dagegen das Signal erhalten, sich einen neuen Verein suchen zu dürfen.

Gleiches gilt auch für Gideon Jung, der den HSV nach sieben Jahren verlassen wird. Ein Wechsel ist ausgemacht. Auch Rick van Drongelen (22) wird sich Gedanken machen. Der Innenverteidiger hat seine Stärken nicht im Spielaufbau. Neuzugang Sebastian Schonlau ist dagegen der prädestinierte Profi, um die Spielidee des neuen Trainers umzusetzen. Theoretisch könnte das auch Jonas David, wie der 21-Jährige zum Saisonabschluss gegen Braunschweig zeigte. Doch für den Defensivspieler steht fest, dass er sich verleihen lassen wird, am liebsten zu einem anderen Zweitligisten.

Dudziak könnte eine neue Chance bekommen

Als Verlierer der vergangenen Saison galt bis vor Kurzem noch Jeremy Dudziak (25). Nachdem Horst Hrubesch den Mittelfeldspieler vor dem letzten Saisonspiel wegen mehrfacher Verspätungen suspendiert hatte, eröffnet sich durch den Trainerwechsel eine neue Perspektive. Walter braucht für seinen Fußball handlungsschnelle Spieler, die mit dem Ball umgehen und das Tempo verschärfen können. Spieler wie Dudziak.

Aber auch Jan Gyamerah (25) hat das Potenzial, im System von Walter eine gute Rolle zu spielen. Insbesondere, weil sein bisheriger Konkurrent Josha Vagnoman dem HSV durch einen Verkauf neue Optionen auf dem Transfermarkt eröffnen soll.

Wird Kiels Dehm zur HSV-Option?

Gut möglich, dass der HSV als Ersatz aber auch zu Walters Ex-Club schaut. Kiels Jannik Dehm (25), am Mittwochabend in der Relegation gegen Köln nur auf der Bank, ist nach dieser Saison ablösefrei zu haben und könnte zu seinem fußballerischen Ziehvater wechseln, sollte Kiel die Relegation verlieren. Unter Walter spielte Dehm in der A-Jugend beim Karlsruher SC, ehe der Trainer ihn 2018 nach Kiel lotste.              

Holstein Kiels Jannik Dehm (r., gegen HSV-Spielmacher Jeremy Dudziak) spielte einst in Karlsruhe unter Tim Walter.
Holstein Kiels Jannik Dehm (r., gegen HSV-Spielmacher Jeremy Dudziak) spielte einst in Karlsruhe unter Tim Walter. © WITTERS | Valeria Witters

In jedem Fall wird Manuel Wintzheimer in der kommenden Saison wieder unter seinem früheren Jugendcoach spielen. Wintzheimer will sich unter Walter weiterentwickeln. „Tim Walter will jeden einzelnen Spieler besser machen“, sagt der HSV-Stürmer. „Klar kann er auch böse werden, wenn mal etwas nicht klappt. Aber aus meiner Sicht ist das völlig normal. Ich habe von ihm sehr viel mitgenommen, obwohl ich in der Saison eine größere Verletzung hatte.“

Und auch Walter hält noch immer viel von Wintzheimer: „Manuel hat wirklich eine gute Entwicklung genommen. Er ist noch ein junger Spieler und kann dazulernen.“ Spätestens am 16. Juni werden sich die beiden wiedersehen. Vielleicht sogar schon vorher. Auch Walter macht bis dahin Urlaub in Bayern.