Hamburg. HSV und St. Pauli arbeiten hinter den Kulissen an einem Zuschauer-Konzept – und gewinnen überraschende Erkenntnisse.
Die Lockerungseuphorie hat gerade das ganze Land erfasst, auch Hamburg, natürlich. Täglich neue Niedrigstwerte, Inzidenzen fallen, Gastronomen öffnen, sogar der Sommerdom ist geplant. Die Normalität scheint greifbar – und bei der an diesem Freitag beginnenden Fußball-Europameisterschaft werden wieder leibhaftige Fans in wahrnehmbarer Zahl die Stadien füllen. Da ist es klar, dass auch die Hamburger Zweitligisten HSV und FC St. Pauli intensiv den Wiedereinstieg in den Spiel- und Trainingsbetrieb unter den veränderten Vorzeichen planen.
Aerosol-Test beim HSV mit Puppe
Hinter den Kulissen läuft der Kampf um die Rückkehr der Zuschauer bereits seit Wochen. Wie das Abendblatt erfuhr, gab es im April sowohl im Volksparkstadion als auch am Millerntor einen vom Fraunhofer Institut wissenschaftlich begleiteten Dummy-Test, bei dem das Austreten von Aerosolen gemessen wurde. Dabei wurde jeweils eine Aerosolpartikel ausstoßende Puppe im Zuschauerbereich platziert. Das überraschende Ergebnis: Die zur Übertragung des Coronavirus beitragenden Tröpfchen lösen sich förmlich in Luft auf, wenn ein Fan am Sitzplatz keine Maske trägt. Es wurden weniger Aerosole abgegeben als mit dem Mund- und Nasenschutz.
„Diese im Vorfeld nicht zu erwartende Erkenntnis steht im Abschlussbericht des Tests“, sagt Daniel Nolte, Direktor Organisation und Infrastruktur beim HSV. „Es ist sicher hilfreich und gut für unsere Fans, dass es dafür nun auch eine wissenschaftliche Herleitung gibt.“ Mit dieser Erkenntnis im Gepäck geht der Club in der kommenden Woche ins Gipfeltreffen mit Vertretern des Gesundheitsamts Altona und dem Sportamt.
HSV hofft auf 14.000 Zuschauer
Nun hofft der HSV, bis zur Veröffentlichung des Spielplans am 25. Juni Klarheit zu haben. Vor allem in der Frage, ob mehr als die in der Eindämmungsverordnung der Stadt angegebenen 650 Zuschauer zugelassen werden. Nach Abendblatt-Informationen strebt der HSV zum Ligastart um den 23. Juli eine Auslastung von 20 bis 25 Prozent an und orientiert sich bei diesem Wert an den 14.000 Zuschauern (22 Prozent), die zu EM-Spielen in München zugelassen sind. Dies würde bedeuten, dass zum Auftakt der neuen Saison zwischen 11.400 (20 Prozent) und 14.250 Zuschauer (25) ins Volksparkstadion kommen könnten – sofern die Stadt nichts dagegen hat.
Damit die Rückkehr der Fans ins Stadion nicht aus dem Ruder läuft, plant der HSV einen Testlauf mit Zuschauern beim letzten Vorbereitungsspiel. Der Gegner und das genaue Datum stehen zwar noch nicht fest, die Partie wird aber mit großer Wahrscheinlichkeit am Wochenende des 17./18. Juli im Volksparkstadion stattfinden. Denkbar ist, dass in Absprache mit der Stadt mehrere Tausend Zuschauer zugelassen werden und die Kapazität eine Woche später zum Zweitligastart signifikant erhöht wird.
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Auch beim FC St. Pauli liegen die Pläne für eine Rückkehr der Fans ans Millerntor längst in den Schubladen. Der Club ist in seiner Kommunikation jedoch viel defensiver als der Nachbar. Abwarten heißt es, bis zum Saisonstart könne sich schließlich noch viel ändern.
Corona-Neuerung bei HSV-Nachbar St. Pauli
In der kommenden Woche steigen beide Teams in den Trainingsbetrieb für die neue Saison ein. Am 16. Juni bittet der neue HSV-Coach Tim Walter im Volkspark zum Leistungstest, Timo Schultz empfängt die St.-Pauli-Profis einen Tag danach an den Kollaustraße. Davor sind laut dem aktualisierten Hygienekonzept der Deutschen Fußball-Liga (DFL) „jeweils für Spieler, Trainerteam und Betreuerstab zwei negative PCR-Befunde (Mindestabstand der Testungen: 48 Stunden) erforderlich“.
Größtmögliche Vorsicht ist weiterhin das Motto, denn das Konzept hatte sich in der abgelaufenen Saison bewährt. Insbesondere der FC St. Pauli kann sich da als Klassenprimus fühlen: kein einziger positiver Corona-Fall, das ist bemerkenswert. „Wir haben unsere Spieler im Urlaub nicht kontrolliert, sondern an ihre Eigenverantwortung appelliert“, sagt Sportchef Andreas Bornemann, „wir haben sie schon im Vorfeld nochmals aufgeklärt, was sie tun können und lassen sollen.“
Nachdem der Hamburger Senat den Fußballbetrieb für unterklassige Mannschaften wieder erlaubt hat, wird auch die U-23-Regionalligamannschaft der Braun-Weißen wieder in den Trainingsbetrieb an der Kollaustraße einsteigen. Alle weiteren Nachwuchsteams werden am Brummerskamp üben. „Wir halten uns streng an die Drei-G-Regeln“, sagt St. Paulis Präsident Oke Göttlich. „Genesen, geimpft, getestet.“
HSV-Profis vor Impfung im Volkspark
Wobei auch St. Pauli große Hoffnungen auf die Impfkampagne setzt – „das ist von großer Relevanz“, sagt Göttlich, betont aber zugleich: „Es wird bei uns keinen Impfzwang geben.“ Die Vereinsärzte planen so penibel wie möglich, die Spritze in Spielerarme zu bekommen, ohne den Impfstoff Menschen zu entziehen, die ihn dringender benötigen. Einige wenige Spieler sind wie in allen Berufsgruppen schon geimpft, weil sie enge Kontaktpersonen zu Menschen mit einem erhöhten Risiko sind.
Auch beim HSV wird es ein Impfangebot für alle Mitarbeiter des Vereins geben. Schon jetzt ist klar, dass dieses gut angenommen wird. All das hilft auf dem Weg zurück zur Normalität – ebenso wie das Comeback der Fans.