Hamburg/Sandhausen. Weil nach Karlsruhe auch Sandhausen in Quarantäne muss, drohen gleich zwei HSV-Partien auszufallen. Chaos scheint programmiert.
Dienstag war der Tag der Gespräche. Das Präsidium der Deutschen Fußball Liga (DFL) tagte. Die Taskforce Sportmedizin/Sonderspielbetrieb schloss sich kurz. Und auch die sogenannte Kommission Fußball, zu der auch HSV-Sportvorstand Jonas Boldt gehört, hatte digitalen Redebedarf.
Hier und da knirschte es, dort und hier war man unterschiedlicher Meinung. Doch als nach mehreren Stunden alle Argumente ausgetauscht waren, hatte man ein Ergebnis: Ein verpflichtendes Quarantäne-Trainingslager, wie zuvor angedacht, wird es vorerst nicht geben. So ein Corona-Camp sei „derzeit aus medizinischer Perspektive nicht notwendig“, hieß es in dem Kommuniqué, das am Mittag verschickt wurde – und dessen Inhalt bereits am Abend zum Teil und am nächsten Morgen vollends überholt wurde.
Aber alles schön der Reihe nach: Nur wenige Minuten nachdem Aufstiegskandidat Holstein Kiel sein Corona-bedingtes Nachholspiel in Heidenheim mit 0:1 verloren hatte, lief am Dienstagabend über den Nachrichtenticker: „Karlsruher SC in Quarantäne – 2. Bundesliga droht Terminengpass“. Nachdem bereits in der vergangenen Woche zwei Karlsruher positiv getestet wurden, erwischte es nun auch Torhüter Marius Gersbeck. Das Karlsruher Gesundheitsamt ordnete umgehend eine 14-tägige Quarantäne für die komplette Mannschaft an, Sportchef Oliver Kreuzer beantragte bei der DFL die Verlegung der kommenden drei Partien – darunter auch das HSV-Heimspiel gegen den KSC am 20. April.
Sandhausen und KSC: HSV-Gegner in Corona-Quarantäne
Doch damit nicht genug. Nur wenige Stunden später erhielten die Verantwortlichen der DFL am frühen Mittwochmorgen weitere schlechte Nachrichten aus Baden-Württemberg. Genau wie beim KSC hatte auch der SV Sandhausen mit Ivan Paurevic und Denis Linsmayer in der vergangenen Woche zwei Corona-Fälle zu beklagen, zu denen zwei weitere am Mittwochmorgen hinzukamen.
Die Folge: Auch das komplette Team von Ex-HSV-Profi Dennis Diekmeier wurde vom zuständigen Gesundheitsamt in eine 14-tägige Quarantäne geschickt. Die Partien gegen ausgerechnet die Aufstiegsaspiranten Greuther Fürth (9. April), HSV (16. April) und erneut Holstein Kiel (21. April) müssen verlegt werden.
Aufstiegsaspiranten HSV und Kiel droht Terminchaos
Das Corona-Chaos in der Zweiten Liga, das man innerhalb der DFL noch am Dienstag im Griff glaubte, war damit perfekt. Der Abstiegskampf droht durch die Quarantäne des Tabellenvorletzten Sandhausen ins Wanken zu geraten. Und im Aufstiegsrennen müssen vor allem der HSV und Kiel mit einem Terminchaos rechnen.
Ursprünglich sollte das erste Maiwochenende, an dem nur das DFB-Pokal-Halbfinale terminiert ist, aufgrund von befürchteten Großdemonstrationen frei von Nachholspielen sein. Da die Polizeibelastung in Corona-Zeiten allerdings überschaubar ist, scheint ein HSV-Nachholspiel am ersten Maiwochenende nun doch möglich.
Definitiv schlimmer ist die Lage für Konkurrent Kiel. Die Schleswig-Holsteiner müssen nach ihrer 14-tägigen Quarantäne noch die bereits ausgefallene Partie gegen Hannover 96 nachholen – und sind zudem noch im Pokal-Halbfinale am 1. Mai gegen Borussia Dortmund im Einsatz. So könnte das Aufstiegsrennen in diesem Jahr nicht nur auf dem Platz, sondern auch von den Spielplan-Verantwortlichen entschieden werden.
St.-Pauli-Chef Göttlich für Quarantäne-Trainingslager
Und so glühten die Drähte nur einen Tag nach der DFL-Entscheidung gegen ein verpflichtendes Quarantäne-Trainingslager für alle Teams bereits am Mittwoch wieder heiß. Anders als es das Abendblatt zunächst irrtümlich berichtet hatte, hatte sich vor allem St. Paulis Präsident Oke Göttlich innerhalb des DFL-Präsidiums bereits am Dienstag für verpflichtende Corona-Camps starkgemacht – war aber am Widerstand innerhalb des DFL-Präsidiums gescheitert.
„Selbstverständlich gilt das demokratische Prinzip, dass ich mich der Empfehlung der medizinischen Taskforce der DFL, der Kommission Fußball und der Mehrheit meiner Kollegen im DFL-Präsidium anschließe. Auch wenn ich anderer Meinung bin und dies auch hinterlegt habe“, sagt Göttlich. „Aus meiner Sicht und Informationslage sind zusätzlich zum erweiterten Testverfahren Quarantäne-Trainingslager eine Möglichkeit, Risiko eines Spiel- oder Wettbewerbsabbruchs zu minimieren. Die jüngsten Fälle zeigen, dass in Zeiten von weiteren Mutanten des Virus alles dafür getan werden muss, den Spielbetrieb im Sinne aller Arbeitnehmer:innen zu sichern.”
Zur Erinnerung: Der FC St. Pauli ist tatsächlich der einzige Zweitligaclub, der noch keinen Corona-Fall in dieser Saison zu beklagen hatte. Auch der HSV ist mit den Fällen von Simon Terodde und Stephan Ambrosius, der sich im vergangenen Herbst bei einer U-21-Länderspielreise angesteckt hatte, bislang noch glimpflich davon gekommen.
Doch anders als die Verantwortlichen vom Kiezclub votierten die HSV-Verantwortlichen gegen ein verpflichtendes Quarantäne-Camp. Besonders Sportvorstand Boldt, der Mitglied der DFL-Kommission Fußball ist, hielt von der Ursprungsidee, in der englischen Woche zwischen dem 16. und 26. April zur Vorbeugung weiterer Fälle ein isoliertes Trainingslager zu beziehen, wenig bis gar nichts.
Kommt das Corona-Camp nun doch?
Noch am Dienstag bauten sich die DFL-Verantwortlichen aber zumindest ein Hintertürchen in ihre Pressemitteilung ein. So hieß es in dem Kommuniqué: „Die Entscheidung über ein mögliches ,Quarantäne-Trainingslager’ im weiteren Saisonverlauf wird das DFL-Präsidium unter Berücksichtigung der weiteren Gesamtentwicklung mit Blick auf die pandemische Lage in Deutschland und die Auswirkungen auf den Profifußball treffen.“
Gemeint war damit ursprünglich, dass man zumindest erwägt, sich vor den letzten beiden Spieltagen in eine präventive Quarantäne zurückzuziehen, um das pünktliche Saisonfinale vor der Europameisterschaft in diesem Sommer nicht zu gefährden.
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Nicht einmal 24 Stunden später wurde am Mittwoch nun erneut in kleinen Kreisen darüber debattiert, ob nach den Vorfällen in Karlsruhe und Sandhausen eine verpflichtende Quarantäne für alle Proficlubs nicht doch früher kommen müsste.
Daniel Thioune hätte dafür Verständnis. „Ich schlafe auch lieber im eigenen Bett, aber die Gesundheit steht über allem“, sagte der HSV-Trainer in der Pressekonferenz am Mittwochnachmittag. Es sei wichtig, die Saison ordentlich zu Ende zu spielen, deshalb könne das Corona-Camp noch einmal auf die Tagesordnung kommen. Thioune: „Wir müssen mit dem Thema sehr sensibel sein.“
An weiterem Gesprächsstoff, so viel stand schnell fest, dürfte es den Fußball-Verantwortlichen nicht mangeln.