Hamburg. Der langjährige Geschäftsführer exklusiv über die Gründe für seinen Rückzug beim HSV Hamburg, die neue Führung und seine Zukunft.

Die Kinderstimmen im Hintergrund sind deutlich zu hören, als Sebastian Frecke am Donnerstagabend ans Telefon geht. „Papa, kannst du mir die Kiste hochtragen?“, ruft ein offenbar noch recht kleines Familienmitglied, das Papa Frecke allerdings um ein paar Minuten vertrösten muss. Wenige Stunden zuvor hatte der HSV Hamburg (HSVH) per Pressemitteilung bekanntgegeben, dass der 38-Jährige den Handball-Bundesligisten auf eigenen Wunsch verlässt. Sein Handy steht seitdem nicht mehr still.

Zehn Jahre lang hatte Frecke beim Verein gearbeitet, auch als der HSV Handball Anfang 2016 wegen einer Insolvenz die Bundesligalizenz verlor, war er bereits als Vertrieb-Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle tätig. Als der Verein im Jahr 2018 im Zuge des Neustarts von der Dritten in die Zweite Liga zurückkehrte, wurde Frecke Geschäftsführer der neuen Spielbetriebsgesellschaft, der HSM Handball Sport Management und Marketing GmbH.

Handball: HSV Hamburg stellt sich in der Führung neu auf

Während der Verein sich nach der Bundesligarückkehr 2021 im deutschen Oberhaus sportlich etablierte, gab es wirtschaftlich zunehmend Probleme. Hintergrund waren unter anderem hohe Altlasten aus der Insolvenz 2016, nicht bewilligte Corona-Hilfen sowie die grundsätzlichen Infrastrukturprobleme, die die Stadt Hamburg dem Profihandballclub bietet. Eine passende Halle fehlt nach wie vor, die Barclays Arena ist zu groß und dementsprechend für gewöhnliche Bundesligaspiele zu teuer, die oft zu kleine Sporthalle Hamburg, in der der HSVH an diesem Sonnabend (19 Uhr/Dyn) den TBV Lemgo Lippe empfängt, in die Jahre gekommen und ausvermarktet.

Am Ende der vergangenen Saison rettete der Verein nur denkbar knapp seine Bundesligalizenz in einem Schiedsgerichtsverfahren. Infolge interner Auseinandersetzungen trat im August das Präsidium geschlossen zurück. Zuvor war bereits der Aufsichtsrat weitestgehend neu besetzt worden. Ein Nachfolger für Frecke soll Anfang Oktober präsentiert werden.

Frecke erhielt zahlreiche Nachrichten nach seinem Rückzug

Hamburger Abendblatt: Herr Frecke, Ihr HSVH-Abschied nach zehn Jahren hat viele überrascht. Wie viele Nachrichten haben Sie danach bekommen?

Sebastian Frecke: Extrem viele, das ist aber auch klar. Viele Wegbegleiter sind mir in ihrer ersten Reaktion mit Respekt begegnet. Viele aktuelle und ehemalige Mitarbeiter haben mir aber auch ihren Dank ausgesprochen für das, was wir zusammen erleben durften und für die Freiheiten, die ihnen bei uns gegeben wurden. Das macht mich auch ein Stück weit stolz und ist ein schönes Gefühl. Klar ist aber auch, dass nicht jeder diesen Schritt nachvollziehen kann.

Dann erklären Sie ihn bitte.

Ehrlicherweise habe ich mir auch schon vor dem Drama um die Bundesligalizenz im Frühjahr Gedanken darüber gemacht, ob ich die Energie aufbringen kann, den Verein in die Zukunft zu führen. Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass die körperliche und die mentale Gesundheit extrem wichtig sind. Ich liebe den Handballsport, ich liebe diesen Verein, und ich liebe unsere gemeinsame Erfolgsgeschichte. Die Belastung war aber enorm groß. Mit 38 Jahren habe ich mir die Frage gestellt, ob ich in meinem Leben nicht noch mal etwas anderes machen möchte. Ich hatte dann das Gefühl, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um diesen Schritt zu gehen.

Wann genau haben Sie Ihre Entscheidung getroffen?

Ich war in den vergangenen neun Tagen mit meiner Familie im Urlaub. Dort habe ich endgültig gemerkt, dass sich die Entscheidung, über die ich mir schon seit längerer Zeit Gedanken gemacht habe, einfach richtig anfühlt. In den vergangenen zehn Jahren habe ich schon einige heißere Phasen in diesem Verein miterlebt. Als in diesem Jahr auch noch dieses Lizenzthema überstanden war, bin ich endgültig ins Grübeln gekommen, ob ich die Belastung noch weiter durchhalten möchte. Das, was jetzt für den Verein ansteht, ist noch mal ein richtiger Neuanfang. Man muss ehrlicherweise zugeben, dass bei vielen Leuten Vertrauen kaputtgegangen ist, dass wir uns acht Jahre lang nach der Insolvenz 2016 und dem Neustart mühsam wiederaufgebaut hatten. Wenn man dann zu Hause seine Ehefrau und seine zwei Kinder sieht, stellt man sich die Frage, ob man das noch mal möchte und noch mal kann. Ich werde trotzdem weiterhin in der Halle sein und die Jungs anfeuern, weil ich es einfach liebe. Der klare Schlussstrich zu diesem Zeitpunkt ist aber wichtig, damit jeder weiß, woran er ist.

Sebastian Frecke (M)
Trainer Torsten Jansen (l.), Sebastian Frecke (M.) und Co-Trainer Blazenko Lackovic pflegten ein enges Verhältnis. © DPA Images | Marcel von Fehrn

Wie haben die Mannschaft, das Trainerteam um Torsten Jansen und die Geschäftsstelle reagiert?

Es gibt sehr enge Vertraute, die schon etwas länger wissen, dass ich mir über diesen Schritt Gedanken mache. Alle anderen haben erst am Donnerstag davon erfahren. Sie waren natürlich sehr überrascht. Der erste, der mich danach angerufen hat, war „Toto“. Weil wir jetzt schon seit etlichen Jahren zusammenarbeiten, war es ihm wichtig, dass wir kurz sprechen. Das Gespräch hat nicht lange gedauert, war ihm und mir gerade in diesem Moment aber sehr wichtig. Wir haben ein sehr enges Vertrauensverhältnis.

Inwiefern war dieser Tag auch emotional schwierig für Sie persönlich? Zehn Jahre sind mehr als ein Viertel Ihres bisherigen Lebens…

So richtig realisiert habe ich das Ganze noch nicht. Momentan fühlt es sich noch ein bisschen an wie in Trance. Es kann auch sein, dass es mich noch mal richtig emotional erwischt. Natürlich sind auch Tränen geflossen, als ich meine Entscheidung mitgeteilt habe. Und diese Tränen – so viel kann ich verraten – sind auch nicht nur auf meiner Seite geflossen. Es wissen aber auch alle, dass wir uns noch mal sehen. Beim Spiel gegen Kiel werde ich sicherlich in der Halle sein, auch danach wird man mich weiterhin als Fan sehen. Jetzt am Wochenende gegen Lemgo aber nicht.

Haben das neue Präsidium um Kay Spanger und der neue Aufsichtsrat um Wilken Möller Ihre Entscheidung beeinflusst?

In erster Linie gehe ich den Schritt für mich. Trotzdem ist es so, dass ich mit dem neuen Aufsichtsrat und dem neuen Präsidium ein sehr gutes Gefühl habe und mich jetzt guten Gewissens zurückziehen kann. Wichtig war mir bei meiner Entscheidung auch, dass der Verein ausreichend Zeit hat, um einen geeigneten Nachfolger zu finden. Ich glaube, dass Impulse von außen dem Verein jetzt auch helfen werden, um in eine ruhigere Zukunft zu gehen.

Wie zu hören ist, haben der neue Aufsichtsrat und Investor Philipp Müller, der mit 7,1 Millionen Euro entscheidenden Anteil an der Rettung der Lizenz hatte, und insbesondere Aufsichtsratschef Möller in den vergangenen Wochen klare Vorgaben gemacht. Konnten Sie sich damit nicht anfreunden? Vorher waren Sie bei vielen Themen alleinverantwortlich…

Ich wollte immer unbedingt weitere Unterstützung haben, sodass ich sehr dankbar war, dass sie sich eingebracht haben. Ich habe beide ja ganz bewusst dazugeholt. Und der große Vorteil war, dass ich mich mit dem neuen Aufsichtsrat und dem neuen Präsidium immer offen und auf Augenhöhe unterhalten konnte. Wir haben uns gut verstanden und tun das noch immer. Und es ist enorm wichtig, dass sie viele Dinge kritisch hinterfragen und wir auch viel diskutiert haben, damit sich Fehler der vergangenen Jahre nicht wiederholen. Das war aber überhaupt kein Problem und nicht der Grund für meine Entscheidung.

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Also haben nicht inhaltliche Dissonanzen zur Trennung geführt?

Nein. Ich habe insbesondere Wilken Möller lange bearbeitet, damit er unseren Verein als Aufsichtsrat unterstützt. Er ist, wie viele andere auch, ein Glücksfall. Viele halten mich auch für verrückt, weil ich gerade in dem Moment gehe, in dem unser Verein die nötige Basis hat, um erfolgreich arbeiten zu können. Das stimmt auch alles – wenn für mich die vergangenen zehn Jahre nicht gewesen wären.

Haben Sie konkrete Pläne für Ihre berufliche Zukunft?

Ich habe viele Ideen, und es gibt immer einige lose Anfragen. Die hatten aber nichts mit meiner Entscheidung zu tun, den HSVH zu verlassen. Ich werde es jetzt erst mal ruhig angehen und alles verarbeiten. Dafür werde ich mir eine gewisse Zeit nehmen, in der ich vor allem die Zeit mit meiner Familie genießen werde.