Hannover. Der Handball-Bundesligist tritt auch im kommenden Jahr in der Ersten Liga an, muss jetzt aber noch mal finanziell nachlegen.
Im Seitenflügel des Maritim-Airport-Hotels von Hannover-Langenhagen gab es am Donnerstag Diskussionsbedarf. Großen Diskussionsbedarf. Immer wieder ging die Tür zum „Salon Herrenhausen“ auf, mal verließen kleinere, mal größere Gruppen den Konferenzsaal, telefonierten, berieten oder zogen sich in den kleineren „Salon Kestner“ zurück. Zeitweise entschwand auch die gesamte Delegation des HSV Hamburg (HSVH) auf den rund 50 Meter langen gefliesten Marmorflur, schnappten die Verantwortlichen der Handball-Bundesliga (HBL) frische Flughafenluft oder besprachen sich Teile des Schiedsgerichts in der Hotellobby.
Die Entscheidung fiel erst um 17:40 Uhr, mehr als sechs Stunden nach dem Beginn der Verhandlung um 11.30 Uhr: Der HSVH ist gerettet, erhält doch noch die Lizenz für die kommende Bundesligasaison, muss aber eine zusätzliche finanzielle Bedingung erfüllen! Der nicht näher genannte Geldbetrag, der als Sicherheitsleistung für die Saison 2024/25 gilt, muss bis kommenden Mittwoch (20 Uhr) in Form einer Bankgarantie oder in Form der Hinterlegung auf ein HBL-Konto geleistet werden.
Zu diesem Urteil kamen der Vorsitzende Richter Christof Wieschemann (61) mit den Beisitzern Michael Kintrup (35) und Rainer Tarek Charkeh (55) nach der abschließenden Beratung mit einer Mehrheitsentscheidung. Ursprünglich hatten beide Parteien mit einem Urteil innerhalb von zwei bis drei Stunden gerechnet.
Handball: HSV Hamburg erhält Bundesliga-Lizenz unter Bedingung
Das unabhängige Schiedsgericht verhandelte mit Vertretern der HBL und des HSVH in einer nicht-öffentlichen Sitzung, HSVH-Geschäftsführer Sebastian Frecke war als Zeuge geladen. Eine wichtige Frage drehte sich dabei um die 4,1-Millionen-Euro-Überweisung des Investors und neuen Aufsichtsrats Philipp Müller, die am 3. Mai erst 65 Minuten nach der von der HBL gesetzten Frist auf dem Volksbank-Konto der HSVH-Spielbetriebsgesellschaft eingetroffen war.
Entscheidend war am Ende aber gar nicht diese Fristverletzung, sondern die am 17. April erteilte Bedingung der HBL. „Bei der wörtlichen Formulierung der Bedingung für den 3. Mai ist die Handball-Bundesliga von der Richtlinie zur Beurteilung der Liquidität abgewichen“, sagte der Vorsitzende Richter Christof Wieschemann. Es sei nicht darauf angekommen, dass das Geld zu spät auf dem Konto eingetroffen sei, „sondern die Formulierung der Bedingung nicht satzungsgemäß war“. Alle Beteiligten lobten das Schiedsgericht als extrem gut vorbereitet. „Wir haben durch das Gericht auch die Leviten gelesen bekommen“, sagt zudem HSVH-Aufsichtsrat Van de Velde.
Geldgeber Müller plant nun, seine 4,1 Millionen Euro in Anteile an der Spielbetriebsgesellschaft umwandeln, aus Fremd- würde somit Eigenkapital. „Nach den aufreibenden Wochen ist es eine Erleichterung, dass das Schiedsgericht entschieden hat, dass wir die Lizenz mit der aufschiebenden Bedingung bekommen“, sagte Frecke. „Wir sind zuversichtlich. Wir haben nach der Urteilsverkündung bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt, die Bedingung bis nächste Woche Mittwoch zu erfüllen.“
Das Schiedsgericht zog bei seiner Entscheidung auch Aspekte wie Verhältnismäßigkeit in Betracht, wäre der Profihandball bei einem endgültigen Lizenzentzug doch wohl endgültig aus Hamburg verschwunden. „Es ist Freude da, es liegt aber Arbeit vor uns. Es ist ein klarer Zwischenerfolg, den wir feiern können“, ergänzte Frecke.
Kapitän Weller und Torhüter Bitter waren vor Ort
Die Mannschaft, die in Hannover von Kapitän Niklas Weller und Torhüter Johannes Bitter vertreten wurde, kann vorerst aufatmen. Bitter erklärte während der Sitzung, welche negative Tragweite ein Lizenz-Aus gehabt hätte. Zeitgleich absolvierten die anderen Spieler um 14 Uhr in Hamburg eine Krafttrainingseinheit, warteten dann bei einem gemeinsamen Pizzaessen in der Kabine auf die Entscheidung aus Hannover. Der sehnlich erwartete Anruf kam am Ende von Bitter.
Abgesehen von Dani Baijens (zu Paris St. Germain), Thies Bergemann (Ziel unbekannt), Jens Vortmann (Karriereende), Dino Corak (Ziel unbekannt), Martin Risom (Ziel unbekannt), Max Niemann, Alexander Pinski und Lennard Benkendorf (alle drei zum TSV Ellerbek), die am Mittwochabend nach dem 33:28-Sieg über den ThSV Eisenach verabschiedet wurden, besitzen die Spieler und das Trainerteam um Torsten Jansen Verträge über diesen Sommer hinaus.
Mohamed El-Tayar soll aus Balingen kommen
Einzig bei Torhüter Bitter steht nach wie vor ein Karriereende im Raum. Nach Abendblatt-Informationen ist sich der HSVH mit Mohamed El-Tayar (Balingen-Weilstetten) bereits seit mehreren Wochen über einen Transfer einig. Wäre zuletzt nicht die Lizenz das alles dominierende Thema gewesen, hätte der Club den Transfer des ägyptischen Nationaltorwarts wohl schon offiziell vermeldet. Bitter soll künftig als Sportdirektor für den Club arbeiten. Schon in diesem Sommer?
Als weitere Neuzugänge sind zudem Spielmacher Moritz Sauter (1. VfL Potsdam) und Torwart Robin Haug (Elverum/Norwegen) fix. Angesichts von acht Abgängen könnten die Hamburger im Sommer allerdings noch weitere Spieler verpflichten, insbesondere die Rechtsaußenposition ist nach aktuellem Stand nur mit Frederik Bo Andersen besetzt.
Machtkampf beim HSV Hamburg geht weiter
Obwohl die Lizenz in letzter Instanz doch noch mit der Bedingung erteilt wurde, steht der HSVH weiterhin vor großen Problemen. Abgesehen vom Imageverlust, der bei der Spieler- und Sponsoren-Akquise in der nahen Zukunft zu Herausforderungen führen dürfte, herrscht innerhalb des Clubs nach wie vor ein Machtkampf.
Am Mittwochabend wurde erneut deutlich, dass das Tuch zwischen Präsident Marc Evermann und Vizepräsident Martin Schwalb auf der einen, sowie Geschäftsführer Frecke, Investor Müller und der Mannschaft auf der anderen Seite zerschnitten ist. So nahm lediglich Frecke mit Geschäftsstellenmitarbeiter Lukas Paetzel die Spielerverabschiedungen vor. Evermann verfolgte die Zeremonie von der Tribüne aus, Schwalb war zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr zu sehen.
Evermann kündigte bereits Veränderungen an
In den kommenden Tagen beginnt beim HSVH ein umfassender Prozess der Aufarbeitung. „Wir sind überzeugt, dass die Managementstruktur zu analysieren und anzupassen ist“, hatte Präsident Evermann bereits bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung am Montagabend angekündigt. „Wir werden ab Juni die notwendigen Veränderungen umsetzen – völlig ohne persönliche Eitelkeiten oder Animositäten.“
- Vor Lizenz-Entscheidung: HSV Hamburg schlägt Eisenach 33:28
- HSVH-Streit geht weiter: Präsident oder Geschäftsführer weg?
- Aufsichtsrat weg, Club zerstritten – HSV Hamburg im Machtkampf
Während beim HSVH in Sachen Bundesligazugehörigkeit nun Klarheit herrscht, geht mit der Entscheidung des Schiedsgerichts wohl der Abstieg des Bergischen HC einher. Nur bei einem endgültigen Lizenzentzug der Hamburger wäre der Tabellenvorletzte im Oberhaus geblieben.
BHC-Geschäftsführer Jörg Föste hatte bereits vor dem Schiedsgerichtstermin angekündigt, sich im Anschluss zu äußern. Denkbar ist eine Klage vor dem Zivilgericht, mit der die Rheinländer eine Aufstockung der HBL auf 19 Teams anstreben könnten. Die Erfolgsaussichten sind dabei aber gering – und den HSVH dürfte das auch wenig tangieren.