Hamburg. Wieso HSVH-Geschäftsführer Frecke nicht an der Verhandlung teilnimmt – und vielleicht ausgerechnet auf den HBL-Beisitzer hoffen kann.

Ein großes Atrium, Marmorfliesen, Ledersessel und eine kleine Bar – die Hotel-Lobby im Maritim Airport Hotel in Hannover-Langenhagen sieht eigentlich ganz einladend aus. Für Sebastian Frecke dürfte dieser Donnerstag dennoch kein gemütlicher, sondern ein maximal unruhiger Tag werden. Denn während der Schiedsgerichtsverhandlung im Kampf um die Handball-Bundesliga-Lizenz wird der Geschäftsführer des HSV Hamburg (HSVH) nicht im Verhandlungssaal sein, sondern gemeinsam mit Kapitän Niklas Weller, Torwart Johannes Bitter und Pressesprecher Andreas Pröpping in der Lobby auf das Ergebnis warten. Für Frecke und die rund 40 Angestellten (Profiteam, Trainer, Geschäftsstelle) geht es um ihre Arbeitsplätze – und die Existenz des gesamten Vereins.

„Wir arbeiten Tag und Nacht daran, dass die Jungs weiter in der Ersten Liga spielen können“, sagte Frecke bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung am Montagabend. Der 38-Jährige nimmt bewusst nicht an der Sitzung teil, sondern überlässt dem zweiköpfigen Anwaltsteam um Aufsichtsrat André van de Velde und Helge-Olaf Käding, einem Experten für Handballrecht, das Feld.

Van de Velde und Käding haben in Zusammenarbeit mit einer Hamburger Kanzlei in den vergangenen drei Wochen eine Verhandlungsstrategie ausgearbeitet, gelten juristisch und inhaltlich als Experten. Für die HBL nehmen unter anderem Geschäftsführer Frank Bohmann, Justiziar Andreas Thiel, der Lizenzierungsausschuss-Vorsitzende Rolf Nottmeier und Präsident Uwe Schwenker an der Verhandlung teil.

Handball: Wie bewertet Wieschemann die Millionen-Überweisung?

Die zentrale Frage, die das Schiedsgericht um den Vorsitzenden Richter Christof Wieschemann klären muss, dreht sich um die 4,1-Millionen-Euro-Überweisung des Investors und neuen HSV-Aufsichtsratsmitglieds Philipp Müller. Bis zum 3. Mai um 12 Uhr musste der Verein nachweisen, dass die von der Lizenzierungskommission errechnete Summe auf dem Volksbank-Konto der HSVH-Spielbetriebsgesellschaft eingegangen ist.

Obwohl Müller und Frecke am Morgen des 2. Mai gemeinsam die Überweisung auf der HSVH-Geschäftsstelle vornahmen und einen entsprechenden Überweisungsauftrag an die HBL schickten, traf das Geld erst am Tag darauf ein – 65 Minuten nach Fristablauf. Die Lizenzierungskommission sah die erteilte Bedingung als nicht erfüllt an, auch eine Beschwerde des HSVH beim HBL-Präsidium blieb erfolglos.

HSVH hatte nur neun Werktage für die Überweisung Zeit

Trotz der versäumten Frist sind die Vereinsverantwortlichen optimistisch, das Schiedsgericht an diesem Donnerstag zu überzeugen. Die grundsätzliche Erteilung der Bedingung am 17. April hatte den zu diesem Zeitpunkt mit rund drei Millionen Euro verschuldeten HSVH nicht überrascht, mit der Größenordnung der von der HBL errechneten Liquiditätslücke hatte man aber nicht gerechnet. Mit Investor Müller, den Frecke bereits vor rund einem halben Jahr über einen HSVH-Sponsor kennengelernt hatte, war sich der Verein dennoch schnell einig. Obwohl Müllers intrinsische Motivation, den Profihandball in Hamburg erhalten zu wollen, schnell zu einer Zusage führte, hatte der HSVH nur neun Werktage Zeit für die Überweisung.

An diesem Punkt verläuft eine Hauptargumentationslinie des Vereins. Denn eine Überweisung von 4,1 Millionen Euro bedeutet einen großen Aufwand. Nach Abendblatt-Informationen ging allein knapp die Hälfte der Zeit bis zum Fristablauf für die Ausarbeitung des Vertragswerks drauf. Die Prüfung dieses Vertrags durch Juristen, die HBL, Steuerberater und die HSVH-Gesellschafter nahm weitere Tage in Anspruch. Den Vorwurf, etwas vertrödelt zu haben, weisen die Hamburger Verantwortlichen daher entschieden zurück.

Die Argumentationsstrategie des HSV Hamburg

„Ich sehe zwei Ansatzpunkte für den HSVH. Zum einen ist das ein Einspruch gegen diese unfassbar hohe Bedingung, in so kurzer Zeit 4,1 Millionen Euro zu besorgen. Und zum anderen kann man auch die Situation des Zahlungsverkehrs noch mal genau bewerten“, sagte zuletzt auch der frühere DHB-Vizepräsident und aktuelle Geschäftsführer der Füchse Berlin, Bob Hanning, dem Abendblatt.

Beim Ablauf des Zahlungsverkehrs könnte der Verein vor dem Schiedsgericht beispielsweise anführen, dass die Panne der verspäteten Überweisung wohl auf die Bank zurückzuführen ist. Nach Abendblatt-Informationen soll das Problem dabei nicht die Volksbank des HSVH gewesen sein, sondern die Postbank von Geldgeber Müller. Inwiefern die Anwälte hierfür auch Beweise vorlegen können, ist jedoch unklar.

Schiedsgericht berücksichtigt auch die Verhältnismäßigkeit

Grundsätzlich berücksichtigt das Schiedsgericht aber auch Parameter wie die Verhältnismäßigkeit eines Falls. Auch in diesem Punkt sieht der HSVH Argumente auf seiner Seite, würde ein endgültiger Lizenzentzug doch das voraussichtliche Aus des Hamburger Profihandballs über die kommenden Jahrzehnte bedeuten. Die Arbeit von acht Jahren und zwei Aufstiegen seit dem Drittliga-Neustart 2016 wäre dahin. Steht das im Verhältnis zu einer Überweisungspanne von 65 Minuten Verzug?

Dies wird das dreiköpfige Schiedsgericht auch erörtern, indem es während der Verhandlung die HSVH- und HBL-Seite befragt. Die Tische im Konferenzsaal sind dabei in U-Form angeordnet, wobei das Schiedsgericht an der Stirnseite sitzen wird. Neben Wieschemann (61), einem Bochumer Rechtsanwalt, entscheiden auch zwei Beisitzer über den Fall.

HBL-Beisitzer spielte früher Handball in Hamburg

Der HSVH schlug den Sportrechtler Rainer Tarek Charkeh (55) als Beisitzer vor, die HBL den früheren Handballprofi und mittlerweile renommierten Rechtsanwalt Michael Kintrup (35). Pikant: Kintrup spielte zum Ende seiner Karriere für die HG Hamburg-Barmbek, kennt daher auch HSVH-Geschäftsführer Frecke. Grundsätzlich gilt das Schiedsgericht aber als unabhängig, eine Mehrheitsentscheidung reicht für ein Urteil aus. Teilnehmer von HBL- und HSVH-Seite gehen davon aus, dass die um 11.30 Uhr beginnende Verhandlung zwischen zwei und drei Stunden Zeit in Anspruch nehmen wird.

Besonders aufmerksam dürfte der Bergische HC das Urteil verfolgen. Nur bei einem endgültigen Lizenzentzug des HSVH bliebe der Tabellenvorletzte nach gegenwärtigem Stand in der Bundesliga. BHC-Geschäftsführer Jörg Föste hatte zuletzt bereits erfolglos zwei Klagen vor dem Landgericht Dortmund und Oberlandesgericht Hamm angestrengt, um Einsicht in die Lizenzunterlagen der Hamburger zu erhalten. „Unabhängig davon, wie das Schiedsgericht entscheidet, werden wir uns am Tag danach äußern“, kündigte der BHC-Boss bereits an.

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Der HSVH wiederum könnte bei einem Lizenzentzug in der kommenden Saison einen Neustart in der Dritten Liga wagen. Ob es dazu kommen würde, ist allerdings äußerst fraglich. Einen Lizenzantrag für Liga zwei hatte der Verein erst gar nicht eingereicht. „Dritt- und Zweitligahandball ist in Hamburg nicht kostendeckend möglich. Es ist dann eine bewusste Entscheidung, welchen Weg man gehen will“, sagte Frecke am Montagabend.

Wie der BHC könnte auch der HSVH im Anschluss an den Schiedsgerichtsprozess noch vor ein Zivilgericht ziehen, die Erfolgsaussichten wären dort aber äußerst gering. Der Schiedsvertrag, den alle HBL-Clubs unterzeichnet haben, schließt einen weiteren Rechtsweg im Anschluss an das Schiedsverfahren aus.

Mit einer möglichen Niederlage will sich beim HSVH dennoch niemand befassen, die Verantwortlichen sind optimistisch. „Ich fange niemals einen Wettkampf an in der Erwartung, ihn zu verlieren“, sagte Aufsichtsrat Van de Velde.