Hamburg. An diesem Montag will das Präsidium der Handball-Bundesliga über die Beschwerde der Hamburger entscheiden. Wie die Chancen sind.
Zwei Tage nach dem Beschluss der Lizenzierungskommission der Handball-Bundesliga (HBL), dem HSV Hamburg (HSVH) die Spielgenehmigung für die nächste Bundesligasaison zu verweigern, „weil die gestellten Bedingungen nicht fristgerecht erfüllt wurden“, ist nach dem ersten Schock im Präsidium und in der Geschäftsstelle des Vereins wieder Optimismus eingekehrt, den ablehnenden Bescheid doch noch kippen zu können.
Öffentlich äußern dazu will sich niemand, Präsident Marc Evermann sagte lediglich: „Wir müssen abwarten.“ Möglicher Grund der Zurückhaltung: Jede Stellungnahme könnte in dieser sensiblen Situation von der HBL negativ ausgelegt werden.
Hoffnung setzt der Verein jetzt auf das HBL-Präsidium, das an diesem Montag den Fall auf seiner digitalen Sitzung diskutiert „und im Rahmen der uns übertragenen Verantwortung entscheidet“, wie Uwe Schwenker, der Präsident des Ligaverbandes, auf Abendblatt-Nachfrage schrieb. Hinzu fügte er: „Das hätten wir uns aber ehrlicherweise gerne erspart.“
HSV Hamburg: Lizenzbedingungen waren unangemessen
Am 17. April hatte die Lizenzierungskommission dem HSVH zwar die Lizenz erteilt, daran aber Bedingungen geknüpft, die bis zum vergangenen Freitag um 12 Uhr zu erledigen waren. Gegen dieses Vorgehen hatten die Hamburger bereits damals umgehend Beschwerde beim HBL-Präsidium eingelegt und diese nach dem Lizenzentzug präzisiert. Die Bedingungen seien in ihrem Umfang unangemessen, in der Kürze der Zeit kaum umsetzbar gewesen. Diese Einschätzung teilten vom Abendblatt befragte Juristen.
Dennoch hatte der Verein alle Anforderungen der unabhängigen Lizenzierungskommission bedienen können, neu unterschriebene Verträge von Investoren und Sponsoren digital und in Papierform vorgelegt. Selbst die schwierigste Bedingung, dass bis zum 3. Mai, 12 Uhr, die angekündigten 4,1 Millionen Euro eines Investors/Darlehensgebers auf dem Konto der HSM Handball Sport Management und Marketing GmbH eingezahlt sein müssten, um eine errechnete Liquiditätslücke zu schließen, glaubte Geschäftsführer Sebastian Frecke am Donnerstag abhaken zu können. Den Bankbeleg, dass das Geld überwiesen wurde, fügte er den Unterlagen hinzu, die er an die HBL-Zentrale in Köln schickte.
4,1 Millionen Euro landeten eine Stunde zu spät auf dem Konto
Weil wegen der Höhe der Summe das überweisende Institut zusätzlich eine Freigabe des Kontoinhabers forderte, verzögerte sich der eingeleitete Transfer aber – um entscheidende 60 Minuten. Erst gegen 13 Uhr konnte Frecke den Screenshot des GmbH-Kontos mit dem eingegangen Betrag übermitteln. Die Bedingungen der Lizenzierungskommission waren damit nicht fristgerecht erfüllt, die Lizenz verloren.
„Die Frist war bekannt, und bei allen Bemühungen, Einnahmen zu erhöhen und Ausgaben zu verringern, muss man sich auch um den administrativen Weg kümmern, zeigen, dass der Verein auch die Reife hat, in der Handball-Bundesliga zu spielen“, sagte HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann dem NDR. Die Lage sei für den HSVH ernst, aber der Rechtsweg stehe ihm offen.
Bleibt es beim Lizenzentzug, müsste die Mannschaft einen Neubeginn in der viertklassigen Oberliga Hamburg/Schleswig-Holstein starten, weil der Verein im März nicht vorsichtshalber auch eine Zweitligalizenz beantragt hatte. Ob es dazu käme, darf bezweifelt werden. Ein solcher Kraftakt ließe sich nicht beliebig oft wiederholen. Zudem wären alle Spielerverträge obsolet.
HSV Hamburg hatte rund 2,8 Millionen Euro Verbindlichkeiten
Dass der HSV Hamburg kritisch von der Liga beobachtet wird, ist nicht nur der Vergangenheit geschuldet: Im Januar 2016 verlor der Verein nach der Insolvenz seiner damaligen Betriebsgesellschaft seine Bundesligalizenz. Auch die wirtschaftliche Entwicklung der 2018 gegründeten neuen HSM GmbH gab jüngst Anlass zur Sorge.
Das negative Eigenkapital war in den drei Jahren der Bundesligazugehörigkeit ständig gewachsen. Zuletzt betrugen die Verbindlichkeiten rund 2,8 Millionen Euro. Nun sind Schulden kein zwingender Grund, keine Lizenz auszustellen, solange der Club seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommt. Das war offenbar gewährleistet.
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Seit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga 2018 erhielt der HSVH die Lizenz stets mit nur einer Auflage, bei Nachverpflichtungen deren Finanzierung nachzuweisen. Diesmal forderte die Lizenzierungskommission zusätzlich einen Plan, wie der HSV Hamburg seine Schulden abbauen will. Den lieferte der Verein jetzt – und setzte ihn auch um; zwei Jahre früher als noch Anfang des Jahres prognostiziert.
Handball-Betriebsgesellschaft ist jetzt schuldenfrei
Die Lage trägt deshalb groteske Züge. Die GmbH ist nicht nur schuldenfrei, sie verfügt dazu über 1,2 Millionen Euro liquide Mittel, um etwaige Etatlücken in der nächsten Saison zu schließen. Mutmaßlich ist kein Club der Handball-Bundesliga derzeit wirtschaftlich gesünder als der HSV Hamburg aufgestellt. Nur fehlt ihm die Spielberechtigung für die Bundesliga.
An dieser Stelle betritt der Bergische HC (BHC), der Tabellenvorletzte der Bundesliga, das Spielfeld. Sollte der Lizenzentzug des HSVH Bestand haben, hätte der Club aus Solingen und Wuppertal das geschafft, was ihm sportlich zu misslingen droht: den Klassenerhalt.
Der hochgradig abstiegsgefährdete Verein drängte darauf, die Lizenzunterlagen der Hamburg penibel zu prüfen, baute in einem Schreiben an die HBL eine juristische Drohkulisse für den Fall auf, falls dies nicht geschehe. Etwaige Zugeständnisse gegenüber dem HSVH, wie eine Kulanz wegen der einstündigen Verzögerung beim Eingang der 4,1 Millionen Euro, könnte der BHC vor Gericht anfechten. Einen Rechtsstreit will die HBL aber möglichst vermeiden.
Ligakonkurrent Bergischer HC klagte vor Gericht
Der BHC, dessen einflussreicher Mitgründer und Geschäftsführer Jörg Föste auch Vizepräsident des Deutschen Handballbunds ist, hatte bereits erste rechtliche Schritte gegen die HBL eingeleitet, als nicht feststand, dass dem HSVH die Lizenz verweigert würde. Der Verein äußerte zunächst bei der HBL, danach auch öffentlich starke Zweifel an einer soliden Finanzierung des Spielbetriebs des HSV Hamburg, verlangte deshalb Einsicht in dessen Lizenzunterlagen. Ein wohl einmaliger Vorgang.
Die HBL lehnte den Antrag mit dem Hinweis auf die in den Statuten festgelegte Geheimhaltung ab. Daraufhin strengte der BHC beim Landgericht Dortmund eine einstweilige Verfügung an. Eine Gerichtssprecherin bestätigte auf Abendblatt-Nachfrage am Freitag, dass ein entsprechendes Ersuchen des BHC eingegangen sei, dieses aber am vergangenen Donnerstag zurückgewiesen worden sei. Eine Gerichtsentscheidung in der Hauptsache steht aber aus.
Sollte der HSV Hamburg die Lizenz erhalten und der Bergische HC absteigen, dürften weitere juristische Auseinandersetzungen drohen.