Hamburg. Supertalent der Hamburg Towers spielt künftig in Europas stärkster Liga. Der Nationalspieler hat noch viel vor in seiner Karriere.
Der Anpfiff zum Benefizspiel für die Ukraine im Volksparkstadion war noch nicht ertönt, da hatte Marvin Willoughby schon ein Problem. Die Sohlen der in die Jahre gekommenen Fußballschuhe des Sportdirektors der Hamburg Towers hatten sich gelöst und mussten notdürftig per Tapeband befestigt werden. Ein durchaus passendes Sinnbild, denn ähnlich dringlich muss er nun den Kader des Basketball-Bundesligisten zusammenflicken. Dort klafft jetzt ein gewaltiges Loch auf der Aufbauspielerposition. Dort, wo bislang Justus Hollatz die Fäden zog.
Doch der 21-Jährige, der in Harburg aufgewachsen ist und bei den Towers zum Nationalspieler heranreifte, hat andere Pläne als Hamburg. Nach langem Grübeln entschied er sich für ein Angebot von CB Breogán in Spanien.
Towers sind traurig über Hollatz-Abgang
Willoughby kennt diese Momente, in denen sich seine größten Talente von ihm verabschieden. Bei Ismet Akpinar (2013) und Louis Olinde (2016), die sich jeweils andernorts zu EuroLeague-Spielern entwickelten, war es genauso. Ihm sei es wichtig, dass „die Jungs sich gerade machen und durchziehen, was sie sich vornehmen“, meint er. Und Hollatz machte sich gerade. Ganz allein, ohne Berater, schlug er in Willoughbys Zweierbüro in Wilhelmsburg auf, um ihm seinen Entschluss persönlich mitzuteilen.
Sein Förderer, mit dem ihn ein langjähriges Vertrauensverhältnis verbindet, reagierte erwartungsgemäß enttäuscht, aber verständnisvoll. „Wir sind uns sicher, dass wir zumindest im kommenden Jahr auch der bessere Standort für seine Entwicklung gewesen wären. Trotzdem wünschen wir Jussi sportlich, aber vor allem persönlich nur das Beste. Er hat einen Riesensprung gemacht und ist deshalb schon früher als erwartet bereit, Hamburg zu verlassen. Von daher: Respekt an ihn.“
Warum Hollatz die Towers verlässt
Den Respekt muss sich Hollatz in der spanischen Topliga ACB bei CB Breogán, wo er einen Einjahresvertrag mit Spieleroption auf ein zweites unterschreibt, erst erarbeiten. Bis zuletzt hatte er mit sich gerungen, überlegt, ein finales Jahr bei den Towers zu spielen, für die er fünf Jahre auflief und 125 Spiele bestritt. In Deutschland wäre kein anderer Club für ihn infrage gekommen. Zusätzlich lag ein gut dotiertes Angebot des serbischen Rekordmeisters Partizan Belgrad vor. Doch final gab das den Ausschlag, was dem bodenständigen Harburger am wichtigsten ist: die Chance, viel und gut Basketball zu spielen.
„Einerseits bin ich traurig, dass ich Hamburg verlasse, aber es war an der Zeit, mal etwas Neues zu probieren, die Komfortzone zu verlassen. In Spanien sehe ich die Chance, mich Woche für Woche auf hohem Niveau zu beweisen“, sagte Hollatz dem Abendblatt.
Hollatz bei neuem Club gesetzt
Bei CB Breogán, beheimatet in der galizischen 98.000-Einwohner-Stadt Lugo im nordwestlichsten Zipfel der iberischen Halbinsel, ist Hollatz als Starter auf der Point-Guard-Position gesetzt. Das wäre er gewiss auch in Hamburg, in Belgrad eher nicht. Doch im Gegensatz zur Basketball-Bundesliga (BBL) ist der 1,95-Meter-Athlet in der stärksten nationalen Liga Europas wöchentlich der Herausforderung ausgesetzt, sich mit Gegnern auf höchstem Niveau zu messen. Eher schwächere Teams, wie sie im hinteren Ende der BBL immer wieder zu finden sind, gibt es in der ACB nicht. Stattdessen: zweimal FC Barcelona, zweimal Real Madrid, zweimal Valencia. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Im Laufe seiner Überlegungen tauschte sich Hollatz mit Kollegen aus der Nationalmannschaft wie Andreas Obst, Paul Zipser (beide FC Bayern München) und Maximilian Kleber (Dallas Mavericks) aus, die bereits in Spanien spielten. Einhelliges Urteil: „Sie haben mir einen Wechsel dorthin empfohlen“, sagte Hollatz.
Hollatz schiebt NBA-Traum auf
Breogán, das eng mit Hollatz’ Berateragentur „Beo Basket“ verbandelt ist, bietet gute Voraussetzungen, um die Entwicklung zu einem europäischen Topspieler voranzutreiben. Als Aufsteiger belegte das Team einen soliden elften Platz, verpasste die Play-offs nur um einen Sieg und tritt eventuell in der kommenden Saison in der Champions League, dem dritthöchsten kontinentalen Vereinswettbewerb, oder dem viertklassigen Europe Cup an. Die Towers spielen dagegen im zweithöchsten Pokal, dem EuroCup.
Aus Hollatz’ Sicht dennoch kein Rückschritt. „Die Liga ist so stark, da ist es eine Herausforderung, überhaupt Woche für Woche zu bestehen und als Starter auf der Aufbauposition zu funktionieren. Die EuroLeague wäre zu früh gekommen.“
Die NBA auch. Vom diesjährigen Draft wird sich Hollatz im Juni wieder abmelden. Die Karriereplanung, die er und sein engster Kreis, zu dem neben seinen Agenten seine Familie zählt, ausgemacht haben, sieht vor, dass er binnen eines Jahres bereit für ein spanisches Top-fünf-Team der Kategorie Valencias sein soll, binnen drei Jahren für den FC Barcelona, Real Madrid oder die NBA. Und zuvor: eine starke Heim-Europameisterschaft im September zu spielen, bei der Hollatz gute Chancen hat, im Nationalteam dabei zu sein. „Die NBA bleibt weiter mein kleiner Traum“, sagt Hollatz.
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So läuft die Towers-Suche nach neuem Trainer
Für seinen Ex-Club hat nun die Zusammenarbeit mit einem neuen Trainer Priorität. „Das ist Punkt eins. Davon hängt auch ab, wie wir unsere Mannschaft zusammenstellen. Die Vorstellungen des nächsten Coaches werden diesen Prozess stark beeinflussen“, sagt Willoughby. Er führe noch finale Gespräche, dann soll die Entscheidung zeitnah stehen.
Klar ist: Der Nachfolger von Pedro Calles (38) fängt quasi bei null an. Lediglich Forward Lukas Meisner (25) besitzt noch einen Vertrag – allerdings mit Ausstiegsklausel. Dass einer aus dem Startrio Caleb Homesley, Maik Kotsar und Jaylon Brown zu halten sein wird, glaubt Willoughby nicht: „Die haben andere Möglichkeiten.“
Hartnäckig hält sich der Name Kendale McCullum (25), mit dem es nach Abendblatt-Informationen ein Gespräch gab. Vor Wochen dementierte Willoughby noch, sich mit dem Aufbauspieler von Absteiger Gießen 46ers zu befassen, nun sagt er: „Er ist ein guter Spieler, der eine starke Saison gespielt hat. Ob er für den EuroCup der Richtige ist, weiß ich nicht.“
Towers: Willoughby dachte über neuen Sportchef nach
Willoughby, primär Geschäftsführer der Towers, dachte auch darüber nach, sich selbst zu ersetzen, einen Sportdirektor zu verpflichten. „Wir haben uns aber dazu entschieden, zunächst andere Schritte zu gehen, die von größerer Notwendigkeit sind“, sagt der 44-Jährige. Unter anderem soll der Jugendbereich gestärkt werden und ein weiterer Athletiktrainer kommen.
Beim Benefizspiel fiel Willoughby nicht nur durch sein originelles Schuhwerk auf, sondern auch als Chancentod. In seinem Kernmetier als Sportchef hat er nun die Chance, sein Team von Grund auf nach seinen Vorstellungen auszurichten.