Hamburg. Eine halbe Woche nach dem Aufstieg in die Bundesliga hat sich das Viertel wieder entspannt, die Begeisterung aber bleibt.
Den weitesten Weg hatte Jairo. „Argentinien ist braun-weiß“ hat er auf einem Schild stehen, das an dem Zaun vom Trainingsplatz des FC St. Pauli an der Kollaustraße hängt. Aus Buenos Aires war der 36-Jährige angereist, war schon zum Bundesligaaufstieg am Sonntag im Millerntor-Stadion und wollte sich nun auch das erste Training des Teams nach den ausufernden Feierlichkeiten nicht entgehen lassen.
„Es war der Wahnsinn am Sonntag“, sagte das Mitglied des argentinischen Fanclubs „Piratas del Sur“, „die Reise hat sich auf jeden Fall gelohnt.“ Zu St. Pauli hat er wie viele seiner Mitstreiter in seiner Heimat „wegen der Politik“ gefunden: „Wir mögen es, dass sie hier Fußball und das Eintreten für menschliche Werte miteinander verbinden.“
FC St. Pauli: Kapitän Irvine fehlte beim Training
Am Mittwochnachmittag war die Trainingsanlage etwas besser besucht, als normalerweise, von einem außergewöhnlichen Run konnte jedoch keine Rede sein. Vielleicht 120 Menschen waren da, sahen ein 75-minütiges Trainings-Kurzprogramm der lockersten Art.
Etienne Amenyido, Elias Saad und Jackson Irvine waren nicht beim Training, beim Kapitän darf man vermuten, dass er irgendwo in Dänemark „Ja“ gesagt hat. Diesmal mit Pass. Auch hier herrschte gefühlt die Ruhe nach dem Platzsturm, wie wohl überall im Viertel und rund um den FC St. Pauli.
Peter (46) hatte beim Training schon das neue Aufstiegs-T-Shirt „Ein Traum“ an: „Das habe ich sofort am Sonntag gekauft. Ich war nicht im Stadion sondern davor. Und als das Hemd nach dem Spiel im Shop zu haben war, habe ich gleich zugegriffen.“ 24.95 Euro kostet das, ebenso viel wie der entsprechende Schal. Die ersten 500 Shirts waren sofort vergriffen. Am Mittwoch lagen noch wenige Exemplare im Shop in der Südtribüne. An diesem Donnerstag soll eine weitere Lieferung kommen. Dirk (56) kaufte eines für seine Tochter Leilani (20): „Sie ist großer Fan, am Montag feiern wir das Team gemeinsam auf dem Spielbudenplatz.“
„Die Nachfrage ist groß, wir haben aber überhaupt ein gutes Geschäft“, sagt eine Verkäuferin, die nicht namentlich genannt werden will: „Das mag am Aufstieg liegen, aber auch am Hafengeburtstag und dem schönen Wetter“, sagt sie, „viele Touristen helfen.“
FC St. Pauli: 35.000 Menschen buchen Stadionführung im Jahr
Was auch für die vom FC-St.-Pauli-Museum organisierte Stadionführung gilt. 23 Menschen hatten sich für den zweistündigen Rundgang am Mittwochnachmittag angemeldet. Dabei auch Birgit und Rolf (beide 62) aus Mönchengladbach. „Wir sind St.-Pauli-Fans seit unsere drei Söhne in Hamburg leben“, erzählen die beiden. Im Stadion waren sie schon, hinter die Kulissen schauen sie nun zum ersten Mal. Innenraum, Trainerbänke, Spielertunnel und die Kabinen.
„Die Tour am Montag hatte noch das besondere Vergnügen, die Kabine in dem Zustand zu sehen, in dem die Mannschaft sie hinterlassen hat“, erzählt Guide (das Wort Führer mag man nicht nutzen) Willi (26), der aus der Fanszene kommt. Etwa 35.000 Menschen pro Jahr nehmen an den Führungen teil, 80 Prozent mehr als vor der Pandemie. Entsprechend gibt es Überlegungen, das Angebot noch auszuweiten.
Letzte Reste der feiern wurden Mittwoch beseitigt
Vor der Stadionzufahrt am Heiligengeistfeld kehrt grade ein Mitarbeiter eines Gebäude-Management-Unternehmens die letzten Überreste vom Sonntag zusammen. Glasscherben, Papierschnipsel, Bruchplastik. Die Schlafstätte eines Wohnungslosen unter der Gegengerade lässt er unbehelligt. Auch der hat nun wieder zumindest nächtens mehr Ruhe.
Vor dem Stadion ist am Dienstagabend am Harald-Stender-Platz eine geführte Fahrradtour unterwegs. Die Wortfetzen „anders“, „Viertel“, „Hafenstraße“, dringen herüber. Handys sind auf das steinerne Clubemblem gerichtet. Im „Clubheim“ brennt noch Licht, draußen und drinnen sitzen überwiegend Männer vor Schachbrettern. Es ist Training der Schachabteilung.
Auch die Schachspieler sind in die Bundesliga aufgestiegen
„Wir haben grade Aufstiegswochen“, lacht Oliver von Wersch, der „Onlinebeauftragte“ der Abteilung. Die Schachspieler haben es den Kickern vorgemacht und waren schon Ende März in die Bundesliga aufgestiegen. 50.000 Euro beträgt ihr Saisonetat dort, drei Viertel sind finanziert, da muss sich noch etwas tun. Und: „Wir brauchen noch Verstärkung, um die Klasse zu halten“, sagt von Wersch. Wie die Vereinskameraden vom Fußball halt.
Andere Gäste und Geschäftsstellenmitarbeiter genießen ein Feierabendgetränk. Auch hier geht es nach dem Ausnahmezustand am Sonntag wieder eher gemächlich zu. „Wir haben das Bier für die Bierduschen der Mannschaft besorgt“, erzählt Mathis Heymann (20), der auch am Sonntag Dienst an der Bar hatte, „vier-, fünfmal wurde nachgeordert.“ Die Spieler kommen nach den Partien regelmäßig in den Ligaraum, bekommen dort zu essen.
.„Wir haben hier bei Spielen viele Fans bei uns, die keine Karte haben, das Spiel im TV verfolgen, aber dennoch die Athmo direkt mitbekommen“, erzählt Heymann, „Sonntag war praktisch der ganze Harald-Stender-Platz voll.“
Kneipe Jolly Roger ein Epizentrum der Fankultur
Im Jolly Roger schräg gegenüber sitzen zwei Tage nach dem Aufstieg gerade mal zehn Gäste. Bei Heimspielen ist diese Kneipe eines der Epizentren der links-alternativen Fankultur. Die Menschen stehen dann draußen bis auf den Bürgersteig, am Aufstiegssonntag war es so, dass die Polizei die Budapester Straße bis tief in die Nacht sperren musste, weil zu viele Fans vor ihren Kneipen und auf der Straße feierten. Davon ist zwei Tage später nichts mehr zu ahnen.
„Love beer, hate Nazis“, steht an der Wand. Zwei Frauen schnacken am Tresen energisch über Göttin und die Welt. Ein Gast schnackt nicht, sondern liebt sein Bier. Im Fernseher an der Wand läuft die Premier League, Manchester City gewinnt gegen Tottenham und kommt damit der Meisterschaft sehr nahe. Langweilig. Christian (39) ist mit seiner Freundin da, beide in Fan-Merch gewandet. Dauerkarte, klar. „Ja, aufsteigen macht Spaß, war natürlich super Stimmung am Sonntag“, sagt Christian, „aber eigentlich macht es für mich keinen Unterschied.“
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Weil es halt immer voll ist, immer ausverkauft, man sich hier trifft. Da ist es egal, ob der Gegner Elversberg oder Bayern München heißt. „Die Straße war sehr voll am Aufstiegstag“, sagt Christian, „aber das wird ja wieder normal werden. Wir sind hier in unserer Bubble – mehr geht eh nicht.“
Er ist sogar ein wenig skeptisch, was da von Seiten der DFL und des Clubs noch kommen mag in Sachen Auflagen und Vermarktung. „Beim Aufstieg 2010 gab es diesen Ärger um LED-Banden“, erinnert er sich. Abwarten, gemach. „Hoch die internationale Solidarität“, singt eine Punkband aus den Lautsprechern.