Hamburg. Ehrenmitglied Wolfgang Sommer hatte „nie Hoffnung“, dass sein Verein mal vor dem HSV landet. In diesem Jahr ist es wieder passiert.
Am Freitagabend kommt wieder Nachbarsjunge Ben (13) vorbei. Gemeinsam schauen sie dann im Fernsehen an, was ihr FC St. Pauli im Stadtderby gegen den HSV so anstellt. Und ob es tatsächlich klappt mit dem Aufstieg in die Fußball-Bundesliga. „Das wäre natürlich für mich eine Riesenfreude“, sagt Wolfgang Sommer, „das ist doch völlig klar.“
Sommer ist 80 Jahre alt. Und 70 Jahre hat er warten müssen, bis „sein“ FC St. Pauli erstmals wieder eine Saison vor dem HSV beendet. Fast ein ganzes Leben ist seitdem gelebt. Kinder- und Jugendzeit in der zerbombten Neustadt im Schatten des Michels, wo er immer noch wohnt. „Hier waren alle St. Paulianer“, erzählt Sommer.
Sommers Onkel war Stammtorwart in den 30er Jahren
Auf Trümmerflächen haben sie gekickt, als die weniger wurden durch den Neuaufbau der Stadt, dann im Verein. Daneben Lehre, Weiterbildung, Familie, Ehrenamt, der Sohn, vor drei Jahren der Tod seiner Ehefrau. Und immer dabei: Der FC St. Pauli. „Ich bin da reingeboren worden“, sagt er. Familiensache – sein Onkel Theo Quest war der Stammtorwart der 30er-Jahre. 1954 wurde Wolfgang Vereins-Mitglied.
Als Kinder spielten sie an der Feldstraße, da waren drei Fußballplätze. Zu den Ligaspielen hatten sie als Mitglieder freien Eintritt, „man musste nur den Ausweis zeigen“. Das Stadion war damals an der Ecke Budapester Straße, Glacischaussee, ab 1946 von Mitgliedern wieder aufgebaut mit einem Fassungsvermögen von knapp 30.000 Zuschauern.
Das alte Stadion musste der IGA 1963 weichen
1961 erfolgte der Umzug an den jetzigen Standort, die Stadt brauchte Platz für die IGA 1963. „Im Vereinsheim hatte damals Jugendobmann ,Käppen’ Richard Rudolph sein Büro. Der kannte jeden Spieler im Verein, der gab uns auch Lederbälle“, erinnert sich Sommer. Hinter der Holztribüne war Platz, da spielten die Knaben auch gerne, wenn bei der „Liga“ nicht so viel los war.
Mit 3:0 und 2:0 auswärts an der Rothenbaumchaussee hat der FC St. Pauli in der Saison 1953/54 den HSV geschlagen. Zweiter sind sie damals in der Oberliga Nord geworden, hinter Hannover 96, das dann auch gleich sensationell Deutscher Meister wurde.
HSV 1954: Vier Punkte Abzug, 10.000 Mark Geldstrafe
St. Pauli durfte als Vizemeister in diesem Jahr nicht an der DM-Endrunde teilnehmen, die Saison war wegen der WM in der Schweiz verkürzt. Der HSV wurde nur Elfter, bekam wegen Schwarzgeldzahlungen 10.000 Mark Geldstrafe und vier Punkte abgezogen.
Zur folgenden Saison holte der HSV seine talentierten Jugendlichen in die erste Mannschaft, allen voran Uwe Seeler, der am 29. August 1954 sein erstes Ligaspiel bestritt. Der Rest ist Hamburger Fußballgeschichte. „Seeler, Klaus Stürmer, die haben uns immer erschossen“, sagt Sommer. Und die Grundlage für eine 70-jährige Dominanz gelegt. „Es gab nie Hoffnung, dass sich daran mal was ändert.“
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In der Jugend war das noch anders. „Der HSV war für uns ein rotes Tuch“, erinnert sich Sommer, „man musste von Ochsenzoll durch den Wald zu deren Plätzen – und dann wurden wir da immer beschissen von den Schiris.“ Irgendwer muss ja Schuld haben... Der gelernte Dreher und spätere NC-Programmierer spielte in der ersten Amateurmannschaft bei St. Pauli, war Jugendtrainer, Schiedsrichter, arbeitete im Ehrenrat mit und ist Ehrenmitglied.
Aktuell ist er Vorsitzender vom „Alten Stamm“, in dem sich seit 1962 einmal im Monat Ur-St.Paulianer treffen „um Tradition zu bewahren“. 70 Jahre FC St. Pauli also, ein Leben. „Das schönste Erlebnis“, sagt er, „war 1977 unser 2:0-Sieg gegen den HSV im Volksparkstadion.“ Am Freitag soll es wieder so sein. Und auch Ben würde das nie vergessen.