Hamburg. Erstmals seit 70 Jahren schließen die Kiezkicker die Saison vor dem Rivalen ab - bei dem kommenden Freitag das Derby ansteht.

Es ist ein Gefühl, das Jackson Irvine „in jedem Aspekt des Lebens" verspürt, „wenn du durchs Viertel gehst, im Stadion" einläufst. Es ist ein Gefühl, dass dem Kapitän des FC St. Pauli bereits vor dem 1:0-Sieg gegen Hansa Rostock am Freitagabend gewahr wurde. „Die Fans sind die ganze Saison über brillant, das sind die Spiele, mit denen wir es ihnen zurückzahlen können", sagte der 31-Jährige.

Derbywochen eben. Erst Erzrivale Rostock, dann Stadtrivale HSV. Und dessen Fans müssen seit Freitagabend für mindestens ein bedauerliches Jahr mit dem Gefühl leben, die Stadtmeisterschaft los zu sein - seit unglaublichen 70 Jahren. Denn erstmals seit 1954 werden die Kiezkicker in der Tabelle vor dem großen Konkurrenten abschließen.

FC St. Pauli hat Stadtmeisterschaft über den HSV sicher

Schlimmer noch: Sollte Fortuna Düsseldorf an diesem Sonnabend beim FC Schalke 04 nicht gewinnen, können die Braun-Weißen mit einem Sieg im Volksparkstadion den Aufstieg in die Bundesliga perfekt machen. „Das sind die Spiele, für die du lebst: Freitagabend, ein großer Rivale, Gänsehaut", sagte Irvine.

Auf die konkrete Bedeutung der Meisterschaft über den HSV wollte der Australier allerdings nicht eingehen. Sein Team hat mit dem Aufstieg nun mal bedeutsamere Ziele.

St.-Pauli-Spieler verzichten darauf, Konkurrent Düsseldorf zuzuschauen

Wie sehr die Kiezkicker noch bei sich bleiben, zeigt auch der kleine Ausschnitt, dass dem Düsseldorf-Spiel am Abend keine zu große Bedeutung beigemessen wird. Ein gemeinsames Public Viewing ist nicht geplant, „zumindest weiß ich nichts davon. Wenn, dann bin ich nicht eingeladen", sagte Marcel Hartel, dessen Ecke die Vorlage für Irvines Kopfball zum Sieg gegen Rostock lieferte.

Innenverteidiger Hauke Wahl wird die Partie nur am Liveticker verfolgen. „Wenn wir Freitagabend spielen, brauche ich Zeit zur mentalen Regeneration. Dann ist Familienzeit, da spielt Fußball eine untergeordnete Rolle", sagte er. Lediglich Irvine wollte „bestimmt mal reinschauen", wie er schelmisch grinsend verriet.

Trainer Hürzeler hat noch kein Derby gegen den HSV gewonnen

Es geht für die Hamburger weiter darum, „einen Mix zu finden, nicht zu aufgeregt, aber auch nicht zu locker zu werden", sagte Irvine. Ein Aufstieg im Volkspark wäre von außen betrachtet das perfekte Ende der Saison, „für uns ist es nur ein weiteres Spiel, in dem es um drei Punkte geht".

Für seinen Cheftrainer Fabian Hürzeler geht es immerhin darum, erstmals ein Stadtderby als hauptverantwortlicher Übungsleiter zu gewinnen. Sein erstes verlor St. Pauli spektakulär mit 3:4, beim zweiten kassierte sein Team nach 2:0-Führung noch ein ärgerliches 2:2.

St. Paulis Coach philosophisch: „Du bist der Designer deines Lebens"

„Wir haben eine Verantwortung den Fans gegenüber", sagte Hürzeler am Freitagabend. Gefühlig, so wie Irvine, wurde der 31-Jährige dann auch noch.

Auf die Frage, woran er an Spieltagen nach dem Aufstehen denkt, antwortete der Bayer philosophisch: „Du bist der Designer deines Lebens. Das nehme ich mir sehr zu Herzen, will positiv denken und stelle mir daher schon morgens das Gefühl nach dem Sieg am Abend vor."

Torwart Vasilj erneut Matchwinner gegen Rostock

Damit es gegen den HSV nicht allein bei der Vorstellung bleibt, hat St. Pauli allerdings noch Arbeit vor sich. Mit Rostocks Mannverteidigung, bei der nur der erneute Matchwinner Nikola Vasilj im Tor frei blieb, hatten die Gastgeber in der ersten Halbzeit ihre Schwierigkeiten. „Wir brauchten die unglaublichen Rettungstaten von Niko", bestätigte Irvine.

Nach dem Seitenwechsel fand der Kiezclub mehr Lösungen. Aus der Doppelsechs brach Irvine immer wieder in den offensiven Halbraum aus, führte eine Gegenbewegung mit Mittelstürmer Johannes Eggestein durch, um in den Rücken der Verteidigung zu gelangen.

St. Paulis Stärke liegt bei Standardsituationen

Entscheidend sei laut Hürzeler auch gewesen, dass jemand wie Irvine in der ersten Hälfte die notwendige Ruhe ausgestrahlt habe. „Es werden extrem hohe Erwartungen an uns gestellt. Jeder geht davon aus, dass wir das Spiel schon in der ersten Halbzeit entscheiden. Dann ist es wichtig, wenn jemand ruhig bleibt, auch wenn nicht alles funktioniert", sagte der Coach, der noch die zu niedrige Passfrequenz seiner Mannschaft zu Spielbeginn monierte.

Ein explizites Lob erhielten mal wieder Co-Trainer Peter Németh und Torwarttrainer Marco Knoop, zuständig für die Ideen bei offensiven Standards (Németh) und die Verteidigung gegnerischer (Knoop). „Peter denkt sich immer etwas aus, er macht einen extrem guten Job", sagte Wahl über die Ecke, die zum goldenen Tor führte.

Co-Trainer bewahren Hürzeler vor Gelbsperre

Einen Irvine in der Mannschaft zu wissen, sei natürlich von Vorteil. „Dem muss man nur an den Kopf schießen. Unter der Woche hat er einen Kopfball gemacht, so kräftig kann ich nicht mal schießen", sagte der kaum minder kopfballstarke Verteidiger.

Apropos Verteidigung: Knoop agierte in der hitzigen Schlussphase an Bodyguard Hürzelers, der bei einer weiteren Gelben Karte - seiner achten in dieser Saison - das Derby beim HSV verpasst hätte. Németh rotierte stattdessen an der Seitenlinie auf die Cheftrainerposition. Und so kann Hürzeler am kommenden Freitag ein ganz besonderes Gefühl live genießen.