Karlsruhe. Der Spitzenreiter wirkt trotz 1:2-Niederlage beim Karlsruher SC gefestigt. Was die Führungsspieler und der Trainer sagen.

Der Schnäuzer von Jackson Irvine. Der geriet unter Druck. Schmunzelnd zog der Australier die Oberlippe hoch, sodass sich die Haare seines Markenzeichens kräuselten. Es folgten ein heftiges Kopfschütteln und ein tiefenentspanntes „Nein“. Druck? Den verspüre beim FC St. Pauli niemand, versicherte Irvine breitbeinig stehend und mit herausgesteckter Brust selbstbewusst.

Die 1:2 (1:1)-Niederlage am Sonnabendabend beim Karlsruher SC ändere daran überhaupt nichts. Dann ist Holstein Kiel eben auf zwei Punkte an den Spitzenreiter der Zweiten Liga herangerückt und Relegationsplatzinhaber Fortuna Düsseldorf auf acht. „Besonders, wie wir zu Beginn der zweiten Halbzeit gespielt haben, besser geht das auswärts nicht“, sagte Irvine.

Verspürt der FC St. Pauli im Aufstiegsrennen Druck?

Deshalb wurde in der Kabine trotz der dritten Niederlage der Saison auch niemand angeschnauzt. „Das war eines unserer besten Auswärtsspiele, wir haben uns nur nicht belohnt, waren in den entscheidenden Momenten nicht da. Aber der Weg stimmt“, sagte Cheftrainer Fabian Hürzeler.

Und mitunter wirkt es so, als wären die Kiezkicker nach Siegen kritischer, wenn sie vor verfrühten Bundesliga-Glückwünschen mahnen, als nach Misserfolgen, aus denen sie gestärkt hervorzugehen scheinen. Auch ein Aufstiegsrezept.

Trainer Hürzeler übt Kritik an der Positionierung in Karlsruhe

Die dazu nötige spielerische Komponente hatten die Hamburger im BBBank Wildpark ebenfalls präsentiert. Auch dort gerieten sie gegen einen form- und spielstarken Rivalen, der das Zentrum verdichtete, wegen eines frühen Gegentreffers gehörig unter Druck.

Eine knappe halbe Stunde fanden die Gäste wenig Zugriff. „Wir haben zu viele einfache Aufbaufehler begangen, waren nicht gut in der Positionierung“, kritisierte Hürzeler später.

St. Paulis Kapitän Irvine: „Hatten die totale Kontrolle"

Doch schon während der Begegnung gelang es zunehmend, per Diagonalbällen auf die Außen zu verlagern und in die Halbräume und hinter die Ketten zu gelangen. Erst kam St. Pauli zum Ausgleich, dann dominierte der Tabellenführer – ehe er sich das 1:2 durch einen Fehlpass von Adam Dzwigala im Spielaufbau fing.

„Wir hatten die totale Kontrolle und kassieren zwei billige Tore. Ansonsten habe ich sehr viele gute Dinge gesehen, es war einfach eines dieser Spiele“, hakte Irvine das Match ab.

Die SV Elversberg ist kommenden Spieltag am Millerntor nicht zu beneiden

Niemanden habe er in der Kabine mit hängendem Kopf gesehen. Im Gegenteil: „Wir sind ruhig, wussten, dass solche Momente in dieser Saison noch bevorstehen würden. Alles liegt in unseren Händen“, sagte der 31-Jährige, der das zwischenzeitliche 1:1 geköpft hatte.

Dessen Vorbereiter Marcel Hartel schob den Druck ebenfalls in Richtung des kommenden Gegners weiter. „Wenn man unsere Reaktion auf die bisherigen beiden Niederlagen sieht, dann haben wir in den jeweils darauffolgenden Partien super Spiele abgeliefert, wir lassen uns nicht unterkriegen. Und heute sind wir nicht mal untergegangen wie auf Schalke, sondern haben sehr guten Fußball nach vorn gespielt“, sagte er. „Immer, wenn uns auf die Füße getreten wird, stehen wir wieder auf, auch diesmal wird uns das gelingen“, verschickte Torhüter Nikola Vasilj als Nächster Grüße an die bemitleidenswerte SV Elversberg, die am kommenden Sonntag im Millerntor-Stadion gastiert.

St. Pauli hadert mit Elfmeter-Entscheidung von Schiedsrichter Bacher

Keinerlei Mitleid hatten Hartel und Hürzeler mit Schiedsrichter Michael Bacher. Der traf unter Druck aus ihrer Sicht nicht die richtigen Entscheidungen.

Ein mögliches Foul von Karlsruhes David Herold im Strafraum an Manolis Saliakas soll er übersehen haben, für Hürzeler „der klarste Elfmeter, der in dieser Saison nicht gegeben wurde“. Aus der Situation heraus entwickelte ein KSC-Konter, den der Gelb-verwarnte Hauke Wahl per Foul stoppte und die dafür Ampelkarte sah.

DFB-Schiedsrichtersprecher begründet Nicht-Eingreifen des VAR

Weswegen der Video-Assistent (VAR) nicht eingriff, begründete DFB-Schiedsrichtersprecher Alexander Feuerherdt. „Der VAR hat die Szene mehrmals aus unterschiedlichen Perspektiven angesehen und die Entscheidung bestätigt“, sagte der 54-Jährige.

Herold habe zuvor in einem Kopfballduell um den Ball gekämpft. „Bei der Landung ist er dann auf dem Fuß von Saliakas gelandet“, sagte Feuerherdt. Herold habe da keine Orientierung zum Gegner gehabt: „Der Kontakt war ein Unfall, das ist nicht strafbar.“

Hürzeler kassiert siebte Gelbe Karte in dieser Saison

Dass Wahl in seinem 246. Zweitligaspiel erstmals vom Platz flog, setzt St. Pauli nur gering unter Druck, da Eric Smith positionsgetreu von seiner Gelbsperre zurückkehrt. Auf Hürzeler liegt eine schwerere Last.

Der 31-Jährige sah Gelb, weil er sich darüber aufregte, dass Karlsruhes Trainer Christian Eichner in seine Coachingzone eingedrungen war. Es ist die siebte Verwarnung Hürzelers in dieser Saison.

Droht St. Paulis Erfolgstrainer im Derby beim HSV eine Sperre?

Bei einer weiteren wäre er zum zweiten Mal gesperrt. Man male sich ein Szenario aus, in dem der Erfolgstrainer das Derby beim HSV oder ein mögliches Aufstiegsspiel deswegen verpassen würde. „Schau’n mer mal“, sagte Hürzeler dazu, ob er ohne weitere Strafe auskomme.

Er legte den Fokus lieber aufs Sportliche und verdeutlichte, seinem Team in dieser Woche viel Druck im Training zu machen. „Wir müssen auch noch bessere Entscheidungen im letzten Drittel treffen und werden weiter prozessorientiert denken“, sagte er. Irvine ergänzte, dass „wir auch in den verbleibenden sechs Spielen noch besser werden wollen“.

Nur die Ruhe, der Aufstieg ist weiter extrem wahrscheinlich. Und da bei solchen Feierlichkeiten gern Köpfe geschoren und Bärte gestutzt werden, steht weiterhin nur einer unter Druck: Irvines Schnäuzer.