Karlsruhe. Die Hamburger straucheln im Aufstiegsrennen beim Karlsruher SC. Trainer Hürzeler sieht Gelb, ein Akteur Gelb-Rot.

Die Köpfe blieben oben. Sanft klatschend vor der Kurve verabschiedeten sich die Spieler des FC St. Pauli von ihrem mitgereisten Anhang. Das passende Bild eines tragischen Sonnabendabends.

Mit 1:2 (1:1) hatte der Tabellenführer der Zweiten Liga wenige Minuten zuvor beim Karlsruher SC verloren. Der Vorsprung auf den HSV auf Relegationsplatz drei ist damit auf neun Punkte geschmolzen, Fortuna Düsseldorf kann an diesem Sonntag auf acht Zähler herankommen, und Holstein Kiel liegt der Mannschaft von Cheftrainer Fabian Hürzeler mit zwei Punkten im Rücken. „Ich habe viele gute Dinge von uns heute gesehen, wir stehen wieder auf", sagte Kapitän Jackson Irvine.

FC St. Pauli unterliegt beim Karlsruher SC

Aber es war nicht der einzige Stimmungsdämpfer: Die Anhänger der Hamburger legten schon anfangs aus nachvollziehbaren Gründen etwas gedämpfter los. Ein St.-Pauli-Fan soll bei der Anreise kollabiert sein, dem Verein lagen bis Spielende keine weiteren Informationen vor. Da die Tragweite nicht abzusehen war, wurde die Unterstützung von den Rängen stark zurückgefahren.

Das ließ sich von den Gastgebern nicht behaupten, deren Gesänge unter dem Dach des wirklich schmucken BBBank Wildpark noch mal verstärkt wurden. Die Ohren des Publikums hatten sich gerade erst daran gewöhnt, da wurden sie auf eine erneute Probe gestellt.

St. Pauli in Rückstand: Franke bringt KSC früh in Führung

Bei einer frühe Ecke des KSC gab es direkt die Generalprobe für Keeper Nikola Vasilj - die bestand der Bosnier, der den Kopfball von Jerome Gondorf, der sich gegen Karol Mets durchgesetzt hatte, parierte. Der Abklatscher fiel allerdings Marcel Franke vor die Füße, der aus knapp sieben Metern ins untere linke Eck verwandelte (2.). Adam Dzwigala, für den gesperrten Eric Smith in der Partie, rutschte auf dem feuchten Platz dabei unglücklich aus.

„Zu Beginn hatten wir Schwierigkeiten, hen dann aber besser reingefunden", sagte Vasilj. Die Gegentore seien unglücklich gewesen. „Als Torwart ist es immer besser, den Ball zur Seite abzuwehren, aber manchmal ist es schwierig", sagte er zum 0:1.

Die Kiezkicker hätten gewarnt sein müssen. Es war bereits der 15. Treffer der Badener in den ersten 15 Minuten in dieser Saison. Kein Zweitligateam hat in dieser Periode mehr Tore erzielt.

Kiezkicker mit Schwierigkeiten gegen Karlsruher Pressing

Wovor sie Hürzeler definitiv gewarnt hatte, war das intensive Pressing des formstarken Rivalen. Dessen Trainer Christian Eichler ließ Vasilj zwar nicht anlaufen, stellte dafür aber die Feldspieler zu, und St. Pauli besaß zunächst große Schwierigkeiten, die Blau-Weißen in die Pressingfalle tappen zu lassen. Resultat waren ungewöhnlich viele Fehlpässe.

Hürzeler hatte dagegen extra die Variante Spielaufbau mit Aljoscha Kemlein in der Startelf gewählt. Der wieder genesene Oladapo Afolayan saß zunächst auf der Bank, auf Rechtsaußen lief stattdessen Marcel Hartel auf und wurde dort zum Perzipienten von Diagonalbällen.

Aus Plan B wird Plan P: St. Paulis Standardgefahr

Ein Lösungsansatz der Gäste, um hinter die Karlsruher Ketten zu gelangen. Es funktionierte nur bedingt, resultierte aber im Lattenknaller von Manolis Saliakas (12.).

Wenn schon aus dem Spiel heraus wenig geht, gibt es noch Plan B, der bei St. Pauli eher Plan P heißen müsste: Plan Peter. Unter Leitung von Co-Trainer Peter Németh hat der Spitzenreiter in dieser Saison herausragende Standardvarianten eingeübt.

Kapitän Irvine köpft nach Ecke zum 1:1-Ausgleich ein

Zu bestaunen im Wildpark erstmals in der 37. Minute bei einer Ecke von rechts des ansonsten auf Rechtsaußen seltener präsenten Hartels. Mets und Hauke Wahl orientieren sich während des Ballflugs in Richtung Fünfmeterraum, blocken den Weg frei. Währenddessen kann Irvine von weiter hinten ungehindert einlaufen.

So frei musste nicht mal „Airvine" den Ball einköpfen, Irvine genügte völlig. Dennoch: So traumhaft und zielgenau ins Eck musste der Australier den aus 9,5 Metern auch erstmal platzieren. Der Ausgleich war inzwischen auch verdient, zwar blieb Hürzelers Team fehlerbehaftet, hatte aber längst massiv die Spiel- und Ballkontrolle erobert.

Erster KSC-Gegentreffer nach 249 Minuten

Mit dem ersten KSC-Gegentreffer nach zuvor 249 Minuten ohne Einschlag im eigenen Netz wollte sich der angehende Aufsteiger nicht begnügen. Bis zur Halbzeit liefen die Offensivbemühungen allerdings ins Leere. „Wir hatten das Spiel im Griff", sagte Hürzeler.

Vom KSC war lange nichts Zwingendes ausgegangen. Ein belangloser Fernschuss von Marvin Wanitzek in die Arme von Vasilj war noch das Maximum (52.). Und dennoch musste St. Pauli einen Tiefschlag verkraften.

2:1 für St. Pauli? Der VAR meldet sich

Aus einer Szene heraus, die eigentlich mit einem Hoch der Gefühle begonnen hatte. Irvine schnürte nämlich aus der Distanz vermeintlich einen Doppelpack zum 2:1 (53.). Auch die Akteure der Hausherren hatten sich bereits damit abgefunden und standen am Mittelkreis zum Anstoß bereit.

Dann meldete sich allerdings doch noch der Video-Assistent und melde: Kemlein stand zuvor bei einem Zuspiel von Hartel im Abseits. Zurück auf 1:1, und der Lautstärkepegel provozierte mal wieder das Stadiondach.

Hamburger bei Ecken überlegen

Die Reaktion des Kiezclubs: Plan P a), b) und c). Bei gleich unmittelbar aufeinander folgenden Ecken war erst Johannes Eggestein (56.) und dann zweimal Irvine (57.) frei. Doch keiner der Kopfbälle war erfolgreich. „Wir hätten locker zwei, drei Tore vorn sein können, haben super Chancen kreiert. Daher ist die Niederlage frustrierend", sagte Irvine.

Gleiches galt für den freien Schuss vom Sechszehnereck von Budu Zivzivadze, den Vasilj stark abwehrte (64.). Eine Mahnung an die längst überlegenen Braun-Weißen, dass ihr Kontrahent noch am Spiel teilnimmt.

St. Pauli gerät in Karlsruhe erneut in Rückstand

Sie blieb unerhört. Angedeutet hatte es sich zwar nicht unbedingt, doch Karlsruhe gewann nach einem herausragend vorgetragenen Angriff wieder die Oberhand (69.).

Vorausgegangen war ein Fehlpass von Dzwigala. Wanitzek konnte dadurch den gerade erst eingewechselten Fabian Schleusener bedienen, der von Mets nicht entscheidend gestört wurde und nur noch von rechts in die Mitte auf den freien Paul Nebel querlegen musste.

Hürzeler sieht Gelb, Wahl fliegt vom Platz

St. Pauli warf sich direkt wieder nach vorn, der KSC in die Zweikämpfe hinein. Hürzeler, zunehmend unzufrieden mit dem Schiedsrichter, meckerte und kassierte seine siebte Gelbe Karte in dieser Saison. Einsame Spitze in der Zweiten Liga. Eine weitere Verwarnung, und der 31-Jährige wäre zum zweiten Mal in dieser Saison gesperrt.

Doch es kam noch dicker, denn Wahl ist in der kommenden Partie gegen die SV Elversberg definitiv nicht dabei. Der Innenverteidiger kam an der Mittellinie einen Hauch zu spät gegen den ehemaligen St. Paulianer Igor Matanovic und kassierte nach seinem Foul die Gelb-Rote Karte (77.). Vorausgegangen war dem aber ein klares Foul von David Herold an Saliakas, das nicht geahndet wurde, auch der VAR schaltete sich nicht ein.

„Ich habe sofort gedacht, das muss zu 100 Prozent ein Elfer sein", sagte Saliakas, „aber das ist Fußball." Dennoch war der Grieche nicht komplett unzufrieden. „Wir haben sehr gut nach vorn gespielt, ich bin stolz auf meine Mitspieler", sagte er.

Hartel vergibt Großchance auf den Ausgleich

Die Kiezkicker versuchten nun alles. Und nichts gelang. Das heißt, die Angriffsversuche wurden angesichts der Unterzahl sauber vorgetragen. Doch nur einer wurde richtig gefährlich.

Hartel hatte in der Nachspielzeit den Ausgleich auf dem Fuß. Doch der Rechtsschuss des besten Torschützen St. Paulis zischte rechts am Kasten vorbei. Kurz danach ertönte der Schlusspfiff, und zumindest kurz ließ nicht nur Hartel den Kopf hängen.

Es blieb nicht lange dabei. „Mein Trikot musste zwar unter dem Fehlschuss leiden, ich habe es zerrissen, aber wir kommen zurück", sagte Hartel.

Karlsruher SC: Drewes - Jung, Franke, Beifus, Herold - Jensen (67. Burnic), Gondorf (90.+2 Rapp), Wanitzek - Nebel (90. Stindl) - Zivzivadze (67. Schleusener), Matanovic.
FC St. Pauli: Vasilj - Dzwigala, Wahl, Mets - Saliakas, Irvine, Kemlein (71. Afolayan), Ritzka (84. Albers) - Hartel, Eggestein (90. Maurides), Saad (71. Amenyido).
Tore: 1:0 Franke (2.), 1:1 Irvine (37.), 2:1 Nebel (69.). Schiedsrichter: Bacher (Amerang). Zuschauer: 33.000 (ausverkauft). Gelbe Karten: Franke (5), Gondorf (4), Stindl (2), Drewes - Hürzeler (7). Gelb-Rote Karte: Wahl. Statistiken: Torschüsse: 11:11; Ecken: 4:8; Ballbesitz: 40:60 Prozent; Zweikämpfe: 81:74; Laufleistung: 119,6:120,1 Kilometer.