Hamburg. Aus Hamburg kommen die meisten Fußballprofis, die wenigsten aber spielen in der Stadt. Was der FC St. Pauli dagegen unternimmt.

Bei den Steigerungsläufen zu Beginn des Dienstagstrainings beim FC St. Pauli an der Kollaustraße war Marwin Schmitz vorne dabei, guter Antritt, starker Sprint. Alles super. Der 17-Jährige aus der U-19-Mannschaft mischt seit knapp einer Woche beim Profitraining des Zweitligatabellenführers mit.

Gemeinsam mit vier weiteren Talenten aus der U 23 und der U 19 konnte er sich Cheftrainer Fabian Hürzeler zeigen, erste Erfahrungen sammeln – und damit einen Eindruck von der zukünftigen Nachwuchsarbeit der Kiezkicker ermöglichen.

FC St. Pauli: Die Durchlässigkeit für Talente soll steigen

Weil diverse Spieler durch Verletzungen und Länderspieleinsätze seit vergangener Woche nicht am Training teilnehmen konnten, wurden die Youngster für einen guten Trainingsfluss gebraucht. Einerseits. Andererseits deutete sich hier schon an, was das Ziel des Vereins für die Zukunft ist: Die Durchlässigkeit für Talente von unten nach oben zu erhöhen. Und ihnen damit auch eine Perspektive für eine Zukunft beim FC St. Pauli geben.

„Es gibt eine Studie, die klar aussagt, je früher Spieler im Herrenbereich aktiv sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich erfolgreich bei Profis durchsetzen“, sagt Benjamin Liedtke, der beim FC St. Pauli mit Fabian Seeger das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) leitet und eine neue „Philosophie“ für die Nachwuchsförderung entwickelt hat.

Kein Abstieg mehr in den Jugendligen U 17 bis U 19

Ein wesentlicher Anstoß dafür kam vom DFB. „Entscheidend für eine veränderte Nachwuchsförderung ist die Einführung der Nachwuchsligen U 17 bis U 19 statt der bisherigen Bundesligen“, erklärt Liedtke im Gespräch mit dem Abendblatt: „Dort sind die Teams der NLZ dann gesetzt, es gibt keinen Abstieg mehr.“ Das hat für Liedtke einen wesentlichen Vorteil: „Das ermöglicht eine Förderung einzelner Spieler. Bislang war die Betrachtungsweise immer teamorientiert.“

Heißt konkret: um maximalen sportlichen Erfolg für ein einzelnes Team zu erzielen, auf keinen Fall aber abzusteigen, wurden Mannschaften entsprechend zusammengestellt. Da spielten dann auch mal körperliche Merkmale eine vielleicht größere Rolle als individuelle Fähigkeiten. „Jetzt kann man eine Kaderplanung anders ausrichten: Was ergibt für den einzelnen Spieler am meisten Sinn?“, so Liedtke.

Benjamin Liedtke (37) leitet das Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli.
Benjamin Liedtke (37) leitet das Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli. © Funke Foto Services | Michael Rauhe

Nur ein bis zwei Prozent der Spieler jedes Jahrgangs schaffen es in den Profifußball. Diese früh zu identifizieren, ist eine Aufgabe des NLZ und seiner Trainer. Beim 1. FC Nürnberg zum Beispiel wurde aus diesen Supertalenten eine spezielle Leistungstrainingsgruppe gebildet, wo Spieler von der U 16 bis U 20 miteinander trainieren oder auch Spiele gegen andere Mannschaften bestreiten. „Eine solche Elitegruppe einzuführen, sehen wir für uns nicht“, sagt Liedtke, „die U-23-Mannschaft ist ja genau eine solche Mannschaft, wo die Toptalente der Jahrgänge in den Herrenfußball überführt werden sollen.“

Vor einer Woche hatte der FC St. Pauli mitgeteilt, dass „der Verein und Elard Ostermann ab dem Sommer getrennte Wege“ gehen werden. Ostermann (55) hatte die U-23-Regionalligamannschaft seit Sommer 2022 betreut. Bei dem neuen Konzept und mehr Einsätzen, beziehungsweise Trainingsbeteiligungen noch jüngerer Spieler will sich St. Pauli auf der Position personell neu aufstellen. „Der U-23-Trainer ist der neue Übergangstrainer,“, erklärt Liedtke, „die U 23 soll unsere Übergangsmannschaft werden. Dort wollen wir sehr frühzeitig Spieler heranführen.“

Beispiel da Silva Moreira, der Weltmeister soll bleiben

Ein aktuelles Beispiel ist U-17-Weltmeister Eric da Silva Moreira (17), der bereits sieben Spiele in der Regionalliga Nord absolviert hat und am vergangenen Sonnabend in Nürnberg sogar sein Zweitligadebüt feiern konnte. Da scheint einiges auf einem guten Weg.
Nur soll da Silva Moreira auch bitte beim Verein bleiben. Sein Fördervertrag läuft im Sommer aus. Ein eventueller Abgang wäre bitter, auch wenn er derzeit eher unwahrscheinlich erscheint. Der FC St. Pauli möchte auf jeden Fall zukünftig gerne selbst noch mehr von der Ausbildung seiner Spieler profitieren.

Die Stadt Hamburg hat laut einer Untersuchung der Strategie-Beratungsagentur International Football Concepts (IFC) seit fünf Jahren bezogen auf die Einwohnerzahl die meisten Fußballprofis hervorgebracht. „Es gibt ausreichend gute und ausgebildete Spieler in und um Hamburg. Das liegt nicht nur am HSV und dem FC St. Pauli“, sagt Liedtke, „auch Vereine wie der ETV oder Niendorf und andere machen sehr gute, leistungsorientierte Jugendarbeit.“

St. Pauli hatte den Abgang vieler Eigengewächse zu beklagen

Nur spielen diese Talente selten als Profis in der Stadt. Der FC St. Pauli beispielsweise beklagte in den vergangenen Jahren den Verlust von Spielern wie Youssoufa Moukoku (Dortmund), Igor Matanovic (Frankfurt, ausgeliehen an Karlsruhe), Tom Rothe (Dortmund, ausgeliehen an Kiel), Finn Ole Becker (Hoffenheim), Sam Schreck (jetzt Bielefeld), die Liste ließe sich fortsetzen. „Nachwuchsfußball ist ein Markt. Das ist ein Problem“, sagt Liedtke: „Große Vereine aus dem gesamten Bundesgebiet haben fest angestellte Scouts, die auch den Großraum Hamburg beobachten.“

So wandern zum Teil schon 13- oder 14-Jährige ab. Das ist eine Praxis, die der FC St. Pauli hinterfragt und bei seinem eigenen NLZ-Konzept mit der Konzentration auf Talente aus Hamburg und dem Umwelt auch vermeidet. „Es gibt in Deutschland von Seiten des DFB oder der DFL keine Regulierung in dieser Sache.

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„Es ist möglich, 13-, 14-Jährige zu verpflichten und sie in einer fremden Stadt in einem Internat unterzubringen“, kritisiert Liedtke. In anderen, sehr erfolgreichen Nationen gibt es genau das nicht. „In Frankreich, England oder Spanien bleiben die Spieler länger bei ihren Clubs. Wechsel sind zum Teil gar nicht gestattet“, weiß St. Paulis NLZ-Leiter.

Denn es hat sich längst erwiesen, dass die Chancen der Spieler auf dem Weg zum Profi größer werden, wenn sie länger bei ihrem Heimatclub, in der vertrauten Umgebung bleiben. Diese Erkenntnis den Eltern und jungen Spielern glaubhaft zu vermitteln, ist eine Aufgabe von Liedtke und seinen Mitarbeitern am NLZ. Das neue Nachwuchskonzept des Clubs und eine tatsächlich höhere Durchlässigkeit können und sollen dazu beitragen.