Hamburg. Nach der HSV-Großkontrolle kamen am Sonnabend nun St.-Pauli-Fans in eine „behördliche Maßnahme“. Kritik von „Braun-Weisser Hilfe“.

Die Ansage im ICE 90 nach Hamburg im Hauptbahnhof von Hannover versprach nichts Gutes: „Wegen einer behördlichen Maßnahme ist die Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit gestoppt“, teilte der Zugchef den Fahrgästen mit. Stillstand gegen 22.30 Uhr. Auf dem Bahnsteig von Gleis sieben war da schon eine große Einheit Bundespolizei in schwarzer Schutzmontur aufgezogen, einige sperrten den Zugang zum vorderen Teil des Zuges ab.

„Fußballfans wieder, typisch“, sagte eine genervte Reisende, die ahnte, dass sich ihre Fahrt nach Hamburg nun ziehen würde. In dem Zug befanden sich tatsächlich zahlreiche Fans des FC St. Pauli auf der Rückfahrt vom 2:0-Erfolg beim 1. FC Nürnberg. Und bei denen wollte die Bundespolizei nun eine Personenkontrolle durchführen.

FC-St.-Pauli-Fans in Göttingen von Augsburgern provoziert

Rund 45 Minuten vorher war es nach Polizeiangaben am Hauptbahnhof Göttingen zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Anhängern des FC Augsburg und Hamburgern gekommen. Die Augsburger waren auf der Rückreise vom Bundesligaspiel ihrer Mannschaft beim VfL Wolfsburg.

Die Fanhilfe des FC St. Pauli, die „Braun-Weisse Hilfe“ schildert in einer Stellungnahme, die dem Abendblatt vorliegt, die Vorfälle anders. In einer Rauchpause habe es verbale Auseinandersetzungen mit anderen Personen gegeben, die nicht als Augsburgfans zu identifizieren gewesen seien. Direkten Kontakt hätten beide Gruppen zu keinem Zeitpunkt gehabt.

„In Folge der Auseinandersetzung kam es aus beiden Fangruppierungen heraus zu Würfen von Glasflaschen durch gewaltbereite Personen“, teilte die Bundespolizei am Sonntagmorgen mit. Die Rede ist von „rund 60 aggressiven Anhängern der Fußballklubs des FC Augsburg und des FC St. Pauli.“ Verletzte habe es dabei nicht gegeben.

Polizei kontrollierte 138 Hamburger in Hannover

Möglicherweise auch, weil es den Einsatzkräften in Göttingen gelungen war, die Gruppen bis zur Weiterfahrt ihrer Züge voneinander zu trennen. Die „Braun-Weisse Hilfe“ wirft der Polizei dabei „den unverzüglichen Einsatz von Pfefferspray“ vor. Die St. Paulifans hätten anschließend wieder den Zug bestiegen. „Zu diesem Zeitpunkt schien die Situation befriedet“, schreibt die Fanhilfe.

Durch Videoüberwachung war es der Polizei jedoch möglich, einige Flaschenwerfer auf Seiten des FC St. Pauli zu erkennen – und die wollten sie nun in Hannover identifizieren.

Laut Bundespolizei soll es sich um eine Gruppe von 138 St.-Pauli-Fans gehandelt haben, die kontrolliert wurden. Sie alle sollten aus dem vorderen Zugteil und dem Bordbistro aussteigen. Die Polizei sprach einen „Platzverweis“ für den den ICE aus.Dies ist laut der „Braun-Weisser Hilfe“ jedoch nur zur Abwehr einer Gefahr rechtens: „Ob hier eine solche überhaupt bestand, ist äußerst zweifelhaft.“

Alle weiteren Fahrgäste in dem Zug, die mit den Geschehnissen nichts zu tun hatten, hatten einfach Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein.

Nur acht Tatverdächtige konnten festgestellt werden

Sie konnten in Hannover in einen anderen Zug umsteigen, der rund 40 Minuten später kam. Oder sie warteten die Polizeimaßnahme ab, die insgesamt rund zweieinhalb Stunden dauerte. „Wer auf der Bahnreise zum oder vom Fußball Straftaten begeht, hat jederzeit mit Folgemaßnahmen der Bundespolizei zu rechnen“, erklärte der Einsatzleiter Polizeidirektor Martin Kröger.

Am Ende des Einsatzes wurden acht „Tatverdächtige“ aus dem Fanlager des FC St. Pauli festgestellt. Acht. „Gegen sie wird nun wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch ermittelt“, heißt es.

Die Fanhilfe des FC St. Pauli „verurteilte“ in einer ersten Stellungnahme auf X (früher Twitter) „diesen unverhältnismäßigen Polizeieinsatz“. Die Maßnahme sei „völlig überzogen“ gewesen, sie „griff stark in den Bahnverkehr ein und schränkte Unbeteiligte ein.“

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Erst am 17. Februar hatte die Bundespolizei am Bahnhof Bergedorf mit 400 Beamten 855 HSV-Fans kontrolliert, die auf dem Rückweg von einem Zweitligaspiel in Rostock waren. Dabei wurden einige Fans bis zu sechs Stunden von der Polizei festgehalten.

Die Polizei war auf der Suche nach Personen, die die sich am 16. September des vergangenen Jahres am Hauptbahnhof Mannheim eine Schlägerei mit Fans von Borussia Dortmund geliefert haben sollen. Die Verhältnismäßigkeit dieses Einsatzes wurde inzwischen von vielen Politikern in Frage gestellt.

„Diese Maßnahme wirkte wie ein weiteres Übungsszenario für die anstehende Europameisterschaft im Sommer“, schreibt die „Braun-Weisse Hilfe“: „Fußballfans wurden kollektiv unter Generalverdacht gestellt. Der vermeintliche Auslöser rechtfertigt nicht die darauffolgenden polizeilichen Mittel.“