Hamburg. 855 HSV-Fans waren am Bahnhof Bergedorf festgehalten worden. Fanhilfe prüft nun juristische Schritte. Polizei meldet sich zu Wort.
Nachrichten von HSV-Fans ist man bei der Fanhilfe Nordtribüne gewohnt – gerade nach einem Auswärtsspiel. Das ist auch wenig verwunderlich, da die Fanhilfe Nordtribüne im eigenen Verständnis ein Zusammenschluss von HSV-Anhängern ist, der sämtliche Fans des HSV im Umgang mit staatlichen Institutionen und Verbänden unterstützen will. Doch was am Sonntag und Montag im E-Mail-Fach eintrudelte, darf gut und gerne als außergewöhnlich bezeichnet werden.
Bis zum Montagmittag waren es mehr als 100 Mails von erbosten und schockierten Fans, die am Sonnabend nach dem Auswärtsspiel in Rostock (2:2) im Regionalexpress von der Bundespolizei in Bergedorf festgehalten wurden. Die Beamten hatten sich erhofft, mutmaßliche Gewalttäter einer Auseinandersetzung im September in Mannheim zu identifizieren und zur Verantwortung zu ziehen. Den Verdächtigen wurden verschiedene Straftaten vorgeworfen, darunter schwerer Landfriedensbruch und Körperverletzung.
Hat die Polizeiaktion in Bergedorf ein juristisches Nachspiel?
So weit, so schlecht. Denn neben 31 mutmaßlichen Gewalttätern, die man bei der stundenlangen Aktion identifizieren konnte, mussten auch Hunderte Anhänger zum Teil stundenlang in dem Zug ausharren, bis sie kontrolliert wurden. Trotzdem wurde bei der Bundespolizei auf Nachfrage am Montag auch weiterhin von einer „optimalen Überprüfung“ gesprochen.
Die Kontrolle selbst wurde Waggon für Waggon durchgeführt. Dabei wurden etwa fünf Minuten pro Person angesetzt. Es war eine „Kontrolle light“, wie ein Beamter dem Abendblatt versicherte. Es wurden lediglich Identitäten festgestellt und Fotos der Überprüften gemacht. Frauen wurden gleich aus dem Zug gelassen, weil keine gesucht wurden. Zudem hätten die Wartenden im warmen Zug sitzen bleiben dürfen, hätten Zugang zur Toilette gehabt und in Absprache zwischen Bundespolizei und Fanhilfe auch Zugang zu Wasser.
HSV-Fans widersprechen der Polizei-Darstellung
Eine Darstellung, die man vonseiten der Fanhilfe ganz anders bewertet. „Besonders die Situation im stehenden Zug bewerten wir sehr kritisch und widersprechen der öffentlichen Darstellung der Bundespolizei“, sagt ein Vertreter der Fanhilfe Nordtribüne. „Die gesamte Maßnahme beschäftigt noch immer viele HSV-Fans, deswegen prüfen wir gerade, wie sich eine juristische Aufarbeitung anstoßen lässt.“
Dem Abendblatt liegen verschiedene Gedächtnisprotokolle von Betroffenen vor, die das Bild einer „optimalen Überprüfung“ nicht stützen. „In der Bahn wird die Luft immer schlechter, an den Scheiben sammelt sich Flüssigkeit und die Luftzufuhr geht gegen null. Immer wieder tropft einem Schweiß von der Decke in den Nacken. Nach gefühlt drei Stunden werden das erste Mal Wasserflaschen in den Zug gereicht. Diese werden augenscheinlich allerdings nur von Fans geliefert und nicht von den Polizisten bereitgestellt“, schreibt beispielsweise ein Betroffener.
Ein Betroffener: „Im Waschbecken stand der Urin“
Und weiter: „Gefühlt wollte man aber auch kein Wasser trinken, um nicht aufs Klo zu müssen. Die Toiletten waren zwar durch die Polizeikette einzeln zugänglich, waren allerdings defekt. In der Toilette und im Waschbecken stand der Urin.“
Ein anderer schreibt: „Nach rund fünf Stunden durften die Passagiere den Zug endlich verlassen und wurden von Beamten auf den Vorplatz geführt. Hierbei wurde ein Fan, der vermeintlich zu langsam ging, brutal zu Boden geworfen. Die Frage nach der Dienstnummer des gewalttätigen Beamten wurde lediglich mit Anschreien beantwortet, dass wir sofort weitergehen sollen.“
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All dies hat nun zur Folge, dass auch die Politik sich mit dem Fall intensiv beschäftigen will. „Es ist absolut unangemessen, Personen in polizeilicher Obhut über Stunden ohne Toilettenmöglichkeiten einzusperren und ihnen in einem überhitzten Zug die Versorgung mit Trinkwasser selber zu überlassen. Der Einsatz muss dringend politisch und rechtlich aufgearbeitet werden“, sagt Linken-Chefin Cansu Özdemir, die mit ihrer Fraktion eine Kleine Anfrage an den Senat vorbereitet.
Bundespolizei Hamburg: Behörde weist Kritik an Razzia gegen HSV-Fans zurück
Unterstützung erhält die Polizei dagegen von der CDU. „Bei diesen schwerwiegenden Tatvorwürfen ist ein konsequentes Vorgehen zur Ermittlung der Täter aber erforderlich und war in diesem Fall erfolgreich. Auch die Fußballvereine sind in der Pflicht, gegen Hooligans und Straftäter konsequent vorzugehen, denn unter ihnen leiden vor allem auch die echten Fußballfans“, sagt Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.
Der Einzige, der sich auf Nachfrage zu der Aktion nicht äußern wollte, ist Sport- und Innensenator Andy Grote (SPD). Auf Nachfrage ließ die Pressestelle der Innenbehörde ausrichten, dass es sich um einen Einsatz der Bundespolizei Hamburg und der Bundespolizei Karlsruhe gehandelt habe und dass damit der ministerielle Zuständigkeitsbereich von Grotes Behörde nicht vorliege.
Am Dienstag meldete sich die Bundespolizei nochmals zu Wort und wies die Kritik gegen die Razzia zurück. „Insgesamt bewertet die Bundespolizei den Einsatz in Hamburg-Bergedorf als verhältnismäßig, einsatztaktisch erforderlich sowie als Ausdruck konsequenter Strafverfolgung“, hieß es. Die Maßnahmen hätten im Verhältnis zum angestrebten Ziel gestanden.