Hamburg. Präsident Göttlich kündigt bei der Mitgliederversammlung im CCH die Planung des Finanzierungsmodells an. Warum die Idee nicht so neu ist.

Die zukunftsweisendste Nachricht des Abends verbreitete Oke Göttlich mitten in seiner rund 35 Minuten langen Rede bei der Mitgliederversammlung des FC St. Pauli im CCH.

Der seit neun Jahren amtierende Präsident kündigte an, die Idee einer Genossenschaft wiederzubeleben. „Wir werden im ersten Halbjahr 2024 dieses Finanzierungsmodell prüfen“, sagte Göttlich.

Mitgliederversammlung des FC St. Pauli

Klar ist, dass der Verein in absehbarer Zeit einen deutlich erhöhten Kapitalbedarf hat. Insbesondere gilt dies für die Finanzierung des geplanten Neubaus des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) an der Kollau, das rund 40 Millionen Euro kosten soll.

Das Projekt einer Genossenschaft geht zurück auf den früheren kaufmännischen Geschäftsführer Andreas Rettig, der bis September 2019 beim FC St. Pauli tätig war. Umgesetzt wurde diese Idee allerdings nicht, was vor allem daran lag, dass es für ein solches breit gestreutes Beteiligungsmodell kein konkretes Projekt gab, das auf diese Weise finanziert werden könnte. Dies ist nun anders, da die ganz großen Hürden für den Bau des NLZ offenbar beseitigt sind.

Wie die Genossenschaft gegründet werden soll

Zunächst soll die Genossenschaft, so erläuterte Göttlich später auf Nachfrage eines Mitglieds, aber zunächst einmal als „Gefäß“ gegründet werden. Erst in einem zweiten Schritt solle auch unter Einbeziehung der Mitglieder der konkrete wirtschaftliche Inhalt definiert werden.

Analog zur seit geraumer Zeit propagierten Parole „Ein anderer Fußball ist möglich“, sagte Göttlich hinsichtlich des nun wiederbelebten Genossenschaftsplans: „Wir wollen zeigen, dass auch eine andere Finanzierung möglich ist, um Investitionen vorzunehmen.“ Dieser Satz zielte darauf ab, dass für den FC St. Pauli ein Einstieg und eine Beteiligung von externen Investoren auch weiterhin nicht Betracht kommt.

St. Pauli beklagt Millionenverlust

Mit dieser Zukunftsmusik aber konnte und wollte Oke Göttlich auch gar nicht von den ganz aktuellen wirtschaftlichen Problemen, die den Verein plagen, ablenken. Vielmehr bestätigte er, dass der Kiezclub im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Millionenverlust zu beklagen hatte.

Schon in den Tagen vor der Mitgliederversammlung waren die wesentlichen wirtschaftlichen Kennzahlen, insbesondere der Konzernverlust von exakt 4,913 Millionen Euro publik geworden (das Abendblatt berichtete). Dieses Minus für das Geschäftsjahr 2022/23, das am 30. Juni endete, war vor allem deshalb besonders bitter, weil der Kiezclub mit 61,955 Millionen Euro den höchsten Umsatzerlös seiner 113-jährigen Geschichte verbuchen konnte.

Personalaufwand steigt erheblich an

Auf der Versammlung am Donnerstagabend aber wurden noch weitere bemerkenswerte Wirtschaftszahlen bekannt, die zum Teil eine Erklärung für die negative Entwicklung bildeten. So stieg der Personalaufwand im Bereich „Verwaltung und Sonstige“, also explizit nicht für die Profimannschaft und andere Fußballteams, von 10,222 auf 12,599 Millionen Euro.

Diese erhebliche Steigerung ist zwar zum einen darauf zurückzuführen, dass es keine durch Corona bedingte Kurzarbeit mehr gab und daher wieder volle Gehälter gezahlt wurden. Zum anderen aber gab es auch in diversen Abteilungen der Verwaltung einen Personalzuwachs.

Präsident Göttlich übt Selbstkritik

Nicht zu vergessen ist dabei auch, dass das Geschäftsjahr 2022/23 das erste war, in dem Präsident Göttlich nicht mehr ehrenamtlich, sondern in Vollzeit hauptamtlich tätig war. Erstmals Gehälter bezogen auch die Präsidiumsmitglieder Christiane Hollander und der inzwischen aus beruflichen Gründen ausgeschiedene Carsten Höltkemeyer, die jeweils in geringer Teilzeit bezahlt, überwiegend aber ehrenamtlich tätig waren.

Göttlich übte aber auch eine klare Selbstkritik: „Es ist uns nach der schwierigen Coronazeit nicht gelungen, zur wirtschaftlichen Stärke zurückzukehren. Daher müssen wir wieder eine strengere Kostendisziplin praktizieren.“

Finanzchef Engelbracht stellt sich vor

Eifrig diskutiert wurde erwartungsgemäß auch das Minus, das der Bereich Merchandising in Höhe von 1,6 Millionen Euro zu beklagen hatte, obwohl es auch hier mit mehr als zehn Millionen Euro einen höheren Umsatz als im Vorjahr gegeben hatte. Göttlich stellte klar, dass dieser Handel mit Fanartikeln grundsätzlich eine Umsatzrendite von mindestens zehn Prozent erwirtschaften sollte.

Nach dem Präsidenten hatte der neue, seit dem 1. November beim FC St. Pauli tätige, kaufmännische Geschäftsleiter Wilken Engelbracht (50) seinen ersten öffentlichen Auftritt. Unaufgeregt, aber auch deutlich stellte er klar, dass eine Kehrtwende in finanzieller Hinsicht dringend geboten ist angesichts der Tatsache, dass das Eigenkapital des sogenannten Konzerns (Verein und angeschlossene Gesellschaften) in den vergangenen Jahren auf rund drei Millionen Euro geschrumpft ist. Es habe vor der Corona-Pandemie einmal 14 Millionen Euro betragen.

Verbindlichkeiten in Höhe von 34 Millionen Euro

Engelbracht bezifferte die aktuelle Höhe der Verbindlichkeiten auf rund 34 Millionen Euro. Den Hauptteil mache weiterhin das Stadion-Darlehen aus.

Dazu kommen die KfW-Kredite, die in der Coronakrise in Anspruch genommen wurden. Jährlich sei für diese Darlehen rund eine Million Euro an Zinsen zu zahlen.

Obersteller neue Vizepräsidentin

Für die Finanzkompetenz im Präsidium wurde im Laufe des Abends Hanna Obersteller (41) als neue Vize-Präsidentin gewählt. Die selbstständig tätige Volkswirtin erhielt 97,4 Prozent Ja-Stimmen, ist die Nachfolgerin von Carsten Höltkemeyer und bis 2025 gewählt.

Bereits zuvor hatte die Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Schwedler angekündigt, dass Hanna Obersteller wie vorher Höltkemeyer zum Teil hauptamtlich beschäftigt wird. Konkret soll sie ein Gehalt für zehn Stunden pro Woche erhalten.

St. Pauli soll Aktivitäten auf Social-Media-Plattform X verringern

Kurz vor Mitternacht schmetterte die Versammlung den Antrag ab, die vom Verein angeschobene Neuordnung der Dauerkartenvergabe zu stoppen. Der Alternativvorschlag, der eine stärkere Berücksichtigung der bisherigen Warteliste vorsah, erhielt nur 8,8 Prozent Ja-Stimmen. 91,2 Prozent waren für das vom Verein propagierte Prozedere, das mehr Kriterien als einen Platz auf der Warteliste berücksichtigt.

St. Pauli Mitglieder erteilen DFL-Investor eine Abfuhr

Für mehr Diskussionen sorgte wie erwartet der Antrag, der Verein solle schnellstmöglich alle Aktivitäten auf der Social-Media-Plattform X einstellen. Angesichts dieser Maximalforderung schlug die Vereinsführung einen modifizierten Antrag vor, auf den sich der Antragsteller auch einließ. Danach sollen die Aktivitäten auf X deutlich verringert und Alternativen aktiv gestärkt werden. 79,7 Prozent der noch anwesenden Mitgliedern stimmten letztlich für diese Version. Zum Abschluss votierten die Mitglieder mit 93,7 Prozent gegen den Einstieg eines Investors in die Deutsche Fußball Liga (DFL), ehe die Versammlung um 0.30 Uhr endete.