Hamburg. Der Marathonmann der Kiezkicker bricht Bestmarken am Fließband. Seinem Trainer ermöglicht die Torgefahr neue taktische Dimensionen.

Nachdem er seinen Marathon mit Zusatzrunde absolviert hatte, versuchte Marcel Hartel zumindest, den Umstehenden weiszumachen, dass sein Beinantrieb durch Muskelkraft und nicht etwa maschinell betrieben wird: "Ich habe nicht auf die Zeit geguckt, aber Richtung Ende sind meine Beine müde geworden. Aber wir haben weiter gekämpft und sind gelaufen", sagte er nach dem 2:0-Sieg bei der SV Elversberg.

Anzusehen war ihm das nicht - also der Part mit der Müdigkeit. Das Kämpferische und vor allem Läuferische verkörpert der Mittelfeldmotor des FC St. Pauli wie kein Zweiter in der Mannschaft und Zweiten Liga. Gute 46 Kilometer spulte der 27-Jährige binnen einer Woche in drei Partien ab. Ein Rekord binnen dieser Zeitspanne für den gebürtigen Kölner.

Marcel Hartel eilt von Rekord zu Rekord

Aber Rekorde werden langsam zur Gewohnheit für Hartel, was vielleicht seine Lässigkeit im Umgang damit begründet. Schon vergangene Saison war der Rechtsfuß mit 418,55 Kilometern der mit Abstand lauffreudigste Zweitliga-Akteur. Nach zwölf Begegnungen in der aktuellen Spielzeit steht er bereits bei 151,72 Kilometern und sollte seine Bestleistung mühelos toppen, wenn er gesund bleibt.

Selbstredend, dass der Mann, der 12,7 Kilometer pro 90 Minuten abspult, erneut an Platz eins dieser Wertung steht. Ihm folgt mit Sicherheitsabstand Robin Heußer (146,76 Kilometer) vom Aufsteiger SV Wehen Wiesbaden.

Die spielerische Klasse leidet nicht unter der Belastung

Nun gibt es wahrlich viele Fußballer, die eine solide Karriere allein aus läuferischen und kämpferischen Qualitäten bauen. Bei Hartel sind dies allerdings nur zweitrangige Aspekte, denn beim ehemaligen U-21-Nationalspieler ist es vor allem die spielerische Komponente, seine feine Technik, die hervorsticht und beeindruckenderweise unter der enormen Belastung nicht leidet.

Im Gegenteil: Hartel spielt die stärkste Saison seiner Laufbahn. Bereits sechs Treffer - logisch, Rekord - in der Zweiten Liga ergänzt der Familienvater mit fünf Vorlagen. Hinzukommen zwei Tore und ein Assist im DFB-Pokal. Der einzige Anwärter, der ihm derzeit die inoffizielle Bezeichnung des besten Zweitligaspielers streitig machen könnte, ist wohl Laszlo Benes vom Stadtrivalen HSV.

Vertrag des Topspielers läuft am Saisonende aus

Neu bei Hartel ist diese Klasse vor dem gegnerischen Tor. Jahrelang fehlte ihm hier die Präzision. Auch einer der Gründe, weswegen er sich in der Bundesliga bislang nicht nachhaltig hatte durchsetzen können. Doch spätestens seit seinem Wechsel von Arminia Bielefeld nach Hamburg im Sommer 2021 arbeitet Hartel, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft, intensiv daran.

"Sein Potenzial vor dem Tor war immer klar. Mir ist aber noch wichtiger, dass Cello so zum Box-to-Box-Spieler geworden ist, der es durch seine Laufleistung und Verteidigungsbereitschaft schafft, in beiden Strafräumen präsent zu sein", sagt St. Paulis Cheftrainer Fabian Hürzeler.

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50

Saison ist kein Sprint, sondern ein Marathon

Hartel selbst, dessen Weitschuss in den Winkel zum 2:0 in Elversberg ein Gedicht war, genießt seine Topform zwar, wird aber nicht müde zu betonen, welchen Einfluss seine Mitspieler darauf haben. "Dazu gehört immer eine Mannschaft, die mir diese Tore und Assists ermöglicht. Das verschafft mir das Selbstvertrauen, diese gute Spiele abzuliefern", sagt er.

Und Spaß mache es, für den FC St. Pauli zu spielen, "Woche für Woche zu arbeiten". Noch mehr Spaß als alle Treffer und Vorlagen dieser Welt erwachse aber aus dem Gefühl zu gewinnen, "das ist immer die Grundvoraussetzung". Diese müsse, so der Leistungsträger, allerdings auch in den verbleibenden zwei Saisondritteln erhalten bleiben, um den Aufstieg zu meistern. Eine Saison sei schließlich kein Sprint, sondern ein Marathon.