Hamburg. Der 57-Jährige ist seit mehr als 33 Jahren Teil der Kiezkicker und laut Präsident Oke Göttlich ein Pionier in der Fanarbeit.

Wenn man mitten im Leben steht, beruflich und überhaupt, dann rechnet man nicht mit einem Blumenstrauß für ein Dienstjubiläum. Das ging Sven Brux nicht anders am vergangenen Sonnabend. Der FC St. Pauli spielte am Millerntor gegen Jahn Regensburg, da hatte der Sicherheitschef einen Job zu tun. Eine Delegation des FC Liverpool war außerdem zu betreuen. Und plötzlich: Vor der Partie eine Ehrung, die Mannschaft präsentierte ein Schriftband: 125 % St. Pauli – Sven Brux. „Da hatte man mich wirklich kalt erwischt“, sagt er dem Abendblatt.

Der 57-Jährige ist eine Institution am Millerntor. Er ist der angestellte Mitarbeiter, der am längsten dabei ist, „viele andere sind längst pensioniert“. Ein Zeitzeuge für Auf- und Abstiege, Höhen und Tiefen und eine tiefgreifende Veränderung des Fußballgeschäfts einschließlich der Fanszene, aus der er ja ursprünglich stammt.

Seit 25 Jahren ist Brux als Leiter Spieltagsorganisation und Fanangelegenheiten für eine sichere Durchführung der Heimspiele zuständig, er hat Kontakt zur Polizei, zu den Kollegen der eigenen Fanbetreuung und der Gäste. „Aber in meinem Kopf zählt eigentlich der 13. Oktober 1989 als Start“, sagt Brux, was erklärt, warum er sein Jubiläum gar nicht so draufhatte, „da habe ich als erster Fanbeauftragter des Vereins und im Fanladen begonnen.“ Nur war er da nicht beim Club angestellt, um mögliche Interessenskonflikte zu vermeiden – so ist es heute noch beim FC St. Pauli, eine rare Ausnahme unter den deutschen Profivereinen.

St. Paulis Präsident Göttlich schätzt Brux sehr

„Wir freuen uns unglaublich, ihn bei uns zu haben“, sagt Präsident Oke Göttlich, für den Brux einer der wichtigsten Menschen ist, die das Besondere des Clubs verkörpern: „Sven verbindet zahlreiche Strömungen im Verein und hat viele sozialpolitische Themen in der Fanbetreuung als ein Pionier auch bundesweit erst möglich gemacht.“

Brux war 1986 wegen seines Zivildienstes aus Brühl nach Hamburg gekommen. Ein linker Punk, der sich in der sich damals entwickelnden alternativen Fanszene auf St. Pauli schnell heimisch fühlte, sich engagierte und zu den Gründungsmitgliedern des legendären Fanzines „Millerntor Roar“ gehörte. „Meine Glaubwürdigkeit in der Fanszene ist wahrscheinlich höher als bei Sicherheitsbeauftragten, die zum Beispiel früher mal bei der Polizei waren oder direkt von der Uni kommen“, meint Brux mit Blick auf seine Vergangenheit, „letztlich haben wir alle unsere Rollen gefunden, und auch ich muss manchmal so handeln, wie ich handeln muss.“

Das Thema „Sicherheit“ ist im bruxschen Vierteljahrhundert immer komplexer geworden. Die Zuschauerzahlen haben sich gesteigert, die Ultrabewegung ist aus Italien nach Deutschland geschwappt. Fanszenen haben sich polarisiert. Die Überwachung durch die Polizei ist gründlicher geworden, ihre Nervosität stärker. Die Vorgaben von Verbänden, Vereinen, dem Staat sind gestiegen – und alles muss dokumentiert werden. Brux hat nach Ende der Corona-Krise noch etwas festgestellt: „Der Einsatz von Pyros hat deutlich zugenommen.“

Derby: Brux trifft sich mit HSV und Polizei

An diesem Dienstag bereits trifft er sich mit den Kollegen vom HSV sowie der Polizei zur ersten Besprechung vor dem Stadtduell am 21. April. „Das Derby sowie Spiele gegen Rostock und Dresden sind immer schwierig, da geht man in der Vorbereitung nicht so ruhig ran“, berichtet Brux. Allerdings nimmt er das Duell mit dem Stadtrivalen nicht mehr ganz so brisant wahr: „Die sind jetzt fünf Jahre zweitklassig. Nach deren Abstieg knisterte es vor den Derbys deutlich mehr in der Stadt.“

Was macht es eigentlich mit einem Fan, wenn er „auf der anderen Seite“ landet? „Man wird Illusionen verlieren, wenn man Einblicke gewinnt“, gibt Brux zu, das sei so ähnlich wie im Musikgeschäft. „Manche Leute sagen, man verliert ein Hobby, wenn man es zum Beruf macht.“ Sven Brux’ zweites großes Hobby ist deshalb wohl längst das erste: Karpfenangeln. Die Reisen an wilde Flüsse in Südfrankreich und Kroatien, in die Natur mit Wind, Wetter und ja, auch mal Gefahr, das hilft beim Runterkommen. Fußball ist Leidenschaft und Job zugleich, der braucht ein Gegengewicht. Auch deshalb vielleicht wohnt der einstige Szenepunk mittlerweile in Mölln – „altersgemäß“, sagt er.

Die Verbindung zum FC St. Pauli bleibt natürlich dennoch immer auch eine emotionale, dafür haben sie einfach zu viel miteinander erlebt, der Sicherheitschef und sein Verein. Wie den Aufstieg 2001 in Nürnberg. Sein noch ungeborener Sohn sollte als zweiten Vornamen den des entscheidenden Torschützen erhalten. Den Treffer zum 2:1-Sieg erzielte Deniz Baris. „Da war ich sehr froh, denn das 1:1 hatte Dubravko Kolinger für uns geschossen.“ Sohn Vito Deniz steht heute regelmäßig auf der Südtribüne, was sonst?

„Der emotionalste Moment war für mich das Tor von Marcus Marin in der 90. Minute am letzten Spieltag der Saison 1999/2000 gegen Oberhausen, durch das wir den Klassenerhalt geschafft haben“, erinnert sich Brux, „da habe ich am Spielfeldrand gestanden und kurz gedacht: Wenn wir absteigen, muss ich dann am Montag zum Arbeitsamt?“ Musste er nicht – stattdessen gab es nun Blumen.