Hamburg. Der ehemalige NLZ-Leiter arbeitete auch bei Jahn Regensburg. Im Abendblatt-Podcast kritisiert er die Nachwuchsarbeit in Deutschland.
Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust – jedenfalls an diesem Sonnabend, wenn der FC St. Pauli am Millerntor (13 Uhr/Sky) den SSV Jahn Regensburg empfängt. Das muss wohl so sein, Roger Stilz hat schließlich für beide Vereine gearbeitet. Bei St. Pauli war er zwischen 2016 und 2021 Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ), beim Jahn war er zwischen Dezember 2021 und September 2022 als Sportdirektor tätig. Der ideale Gast also für den Abendblatt-Podcast „Millerntalk“.
Die Zeit, seit der 46-Jährige seinen Job in Regensburg aus persönlichen Gründen – „die auch persönlich bleiben“ –, aufgegeben hat, hat er genutzt, um sich „ein bisschen zu erholen, vor allem um viel Zeit mit der Familie zu verbringen“, erzählt er: „Ich hatte in den letzten zehn Jahren viel erlebt, bin auch ein bisschen rumgekommen. Von daher war es auch eine Verarbeitungszeit, die mir ganz gutgetan hat.“
Roger Stilz im Podcast: Ex-Regensburg-Manager freut sich über Entwicklung von St. Pauli
So sieht er auch aus. Die neue Brille sorgt für eine schicke Optik, schlank und rank wie immer kommt der ausgebildete Grundschullehrer, langjährige Top-Amateurspieler, Pro-Lizenz-Trainer, Hobby-Model, Sportjournalist und Werbetexter in die Abendblatt-Redaktion.
Natürlich verfolgt der Schweizer, der seit 2004 seinen Lebensmittelpunkt in Hamburg hat, auch in seiner Auszeit intensiv das Fußballgeschehen und freut sich über die positive Entwicklung beim FC St. Pauli in diesem Jahr.
Steigen die Kiezkicker auf? „Ich glaube, es ist alles möglich“
„Die Mannschaft ist so stabil und weiß, dass sie einfach immer treffen kann“, sagt er. Acht Siege in Folge gäben eben großes Selbstvertrauen, die Automatismen seien eingespielt. Der Blick nach oben in der Tabelle sei deshalb keinesfalls unrealistisch.
„Es ist eine andere Situation für St. Pauli als für die Clubs, die jetzt oben stehen“, meint Stilz, „bei denen kommt auf einmal das Gefühl auf, dass sie etwas verlieren können. Dieses Gefühl hat St. Pauli nicht.“ Nun mal Butter bei die Fische, was traut er den Kiezkickern denn noch zu? „Ich glaube, es ist alles möglich, alles.“
Heutiger Cheftrainer: Stilz ließ Fabian Hürzeler 2019 beim FC St. Pauli hospitieren
Den erst 30 Jahre alten Trainer Fabian Hürzeler hält Stilz für einen entscheidenden Faktor für den Wandel vom Abstiegs- zum Aufstiegskandidaten. „Er ist extrem talentiert, seinem biologischen Alter, was Fußball-Know-how, Detailversessenheit, Videoanalysen und Präsentationen angeht, weit voraus“, sagt Stilz.
Dass er als einstiger NLZ-Leiter einen entscheidenden Anteil daran hat, dass Hürzeler nun bei St. Pauli eine Rekord-Erfolgsserie starten konnte, ist eine dieser Fußball-Storys von Kontakten, Zufällen und Verbindungen. „Ich habe Fabian bei einem Praktikum 2019 bei uns reinschauen lassen, er war damals Regionalligatrainer im Süden und im Nachwuchs beim DFB“, erzählt Stilz, „so kam auch der Kontakt zu Timo Schultz zustande.“ Der Rest ist Fußball-Geschichte.
Früherer NLZ-Leiter: „Nachwuchsspieler werden zu sehr in ein System gepresst“
Wenn einer so lange verantwortlich für den Nachwuchsbereich war, schaut er natürlich auch besonders hin, wie sich die Talentausbildung in Deutschland insgesamt entwickelt. Die Sorgen über fehlende Toptalente sind groß, in den Bereichen der U 15 bis U 21 scheinen andere Top-Nationen derzeit besser aufgestellt zu sein.
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Stilz kritisiert deshalb vor allem eine „Verschulung“ des Fußballs schon in den untersten Bereichen ab der U 12. „Ich sehe elf Spieler, die das Anlaufen lernen müssen, die pressen müssen. Es ist unsere Aufgabe, den Kreativen Raum zu geben“, erklärt der Schweizer, „wenn die zu sehr in ein System gepresst werden, dann gehen die verloren. Die raren Kicker, die ein gutes Dribbling haben, die intuitiv entscheiden, die gehen so verloren.“
Stilz fordert weniger Fokus auf Ergebnisse im unteren Jugendbereich
Ein zweiter, ganz wichtiger Punkt ist für ihn „das ewige Auf-Resultat-Spielen in Deutschland“. Trainer spürten Druck, weil es ab der U 13 schon um Auf- und Abstieg gehe. Außerdem wollen Trainer sich auch über Erfolge ihrer Teams selbst für Aufgaben im höheren Altersbereich empfehlen. Ergebnisse werden dadurch oft wichtiger als qualifizierte Ausbildung.
„Ich habe mich in meiner Zeit bei St. Pauli in der Kommission Leiter Leistungszentren extrem dafür eingesetzt, resultatabhängige Spiele mindestens bis 16 Jahre abzuschaffen“, erklärt er, „die Statistiken und Themen, die uns auch andere Länder zeigen, die sind ziemlich deutlich.“
Top-Talent Igor Matanovic im Formtief: „Er wird seinen Weg machen“
Ein Spieler pro Jahr sollte idealerweise den Weg aus einem NLZ in den 18er-Spieltagskader eines Profiteams schaffen. Das ist beim FC St. Pauli zurzeit Jannes Wieckhoff (22). Igor Matanovic (20), der im Sommer zu Eintracht Frankfurt geht, konnte die hohen Erwartungen nur selten erfüllen.
„Er bringt so vieles mit, was ein richtiger Stürmer habe muss, er wird seinen Weg machen“, ist Stilz überzeugt. Am Sonnabend aber würde Matanovic ohnehin nicht helfen können, er ist an der Schulter verletzt.
St. Pauli im Herzen – am Wochenende schlägt es aber für den Jahn
Was erwartet der Experte denn da für ein Spiel zwischen dem Fünften und dem 14.? „Da trifft eine spielerisch starke Mannschaft auf eine, die richtig aggressiv verteidigen kann“, erwartet Roger Stilz, „je länger das Spiel offen ist, desto mehr hat Regensburg seine Chancen.“
Bleibt noch die (Gretchen-)Frage, welcher seiner beiden Seelen in der Brust er den Erfolg nun eher gönnt. Da druckst der Wahl-Hamburger doch etwas herum: „St. Pauli ist mir ans Herz gewachsen“, sagt er, „aber ich muss ehrlich sagen, in dieser Saison würde ich mich freuen, wenn der Jahn etwas holt, weil ich im Sommer so involviert war in den Planungen.“