Hamburg. Die Seriensieger vom Kiez gehen als klarer Favorit ins Spiel beim SV Sandhausen. Doch Übermut kann gefährlich werden.

Geht es nach den einschlägig bekannten Anbietern von Sportwetten, ist die Sache eindeutig: Der FC St. Pauli gewinnt am Sonntag (13.30 Uhr/Sky) auch sein achtes Zweitligaspiel in Folge. Bei rund 1,9 liegt die Quote der unterschiedlichen Wettportale für einen Erfolg der Kiezkicker in diesem Spiel. Anders gesagt: Wer einen Euro auf St. Paulis vierten Auswärtssieg nacheinander riskiert, bekommt im Erfolgsfall nicht einmal das Doppelte zurück.

In den ersten drei Ligen werden an diesem Wochenende nur zwei Auswärtsteams als noch höhere Favoriten eingeschätzt – der FC Bayern München beim Bundesliga-Gastspiel in Leverkusen und RB Leipzig beim Auftritt bei Abstiegskandidaten VfL Bochum.

FC St. Pauli: Bilanz sieht deutlich besser aus als die von Sandhausen

Deutlich lukrativer für Wetter wäre ein Sandhäuser Heimsieg, der – je nach Anbieter – mit 3,90 oder gar 4,00 Euro honoriert wird. Auch ein Unentschieden brächte 3,50 Euro für einen Euro Einsatz ein. Diesen großen Unterschieden liegen selbstredend die Ergebnisse der vergangenen Wochen zugrunde. Seit Rückrundenbeginn sammelte Sandhausen gerade einmal fünf Punkte, der FC St. Pauli dagegen die Optimalausbeute von 21 Zählern.

Doch was ist dies wirklich wert, wenn die Braun-Weißen am Sonntag auf dem Rasen des BWT-Stadions am Hardtwald stehen, das trotz der sukzessiven Erweiterung auf nunmehr 15.033 Plätze immer noch eine provinzielle Anmutung hat?

Zur Spielstätte: Das Stadion am Hardtwald wirkt immer noch provinziell

In keiner anderen Spielstätte der Liga verleiten die äußeren Umstände eine favorisierte Gastmannschaft derart dazu, den Gegner zu unterschätzen, zumal die Ränge der vier Tribünen oft nicht einmal zur Hälfte besetzt sind. Zuletzt gegen Holstein Kiel (1:1) verloren sich vor zwei Wochen sogar nur 3603 Personen im Stadion.

Die latente Überheblichkeit der Gegner hat in den vergangenen zehn Jahren dem regelmäßig als heißesten Abstiegskandidaten gehandelten SV Sandhausen immer wieder zum Klassenerhalt verholfen. Auch der FC St. Pauli hat neben zwei Siegen im März 2016 und April 2014 schon reichlich negative Erfahrungen im Hardtwald gesammelt.

Der FC St. Pauli erlebte schon herbe Enttäuschungen in Sandhausen

In der Vorsaison erlitten die noch vagen Aufstiegshoffnungen durch den späten Ausgleich zum 1:1 einen herben Dämpfer. Unvergessen ist auch das 0:4 im März 2019, das zur Trennung von Trainer Markus Kauczinski drei Wochen später beitrug.

Und jetzt? „Ich glaube nicht, dass wir nach sieben Siegen hintereinander übermütig werden. Das wären wir sonst ja auch schon nach fünf Siegen geworden“, sagte am Donnerstag Außenverteidiger Manolis Saliakas auf Nachfrage. „Der größte Fehler, den wir machen können, ist es, nicht auf unseren Trainer zu hören und auf dem Platz nicht das zu tun, was uns vorgegeben wird.“

Zweifellos wird der angesprochene Chefcoach Fabian Hürzeler (30) sein Team ebenso akribisch auf den kommenden Gegner vorbereiten, wie er es zuletzt jeweils vor den sieben Siegen getan hat. Die Erfolgssträhne hat dem Team viel Selbstvertrauen und das Wissen verliehen, mit Gegentoren und Rückständen erfolgreich umgehen zu können.

St. Paulis Außenverteidiger Saliakas setzt auf die starke Mentalität des Teams

„Der größte Unterschied zur Hinrunde ist, dass wir mit der Mentalität, unbedingt den Abstieg zu verhindern, in die Rückrunde gegangen sind“, sagte jetzt Saliakas. Der Grat zwischen Selbstbewusstsein einerseits und Selbstüberschätzung sowie einer daraus resultierenden Leichtfertigkeit anderseits ist dennoch schmal.

Dies bestätigt auch der Hamburger Sportpsychologe Christian Spreckels (58), Autor des Ende vergangenen Jahres erschienenen Buches „Kopfsache Fußball“. „Selbstbewusstsein im Sinne von ,sich seiner selbst bewusst zu sein’, sich in unterschiedlichen Situationen zu kennen und zu verstehen, beinhaltet auch zu wissen, dass man Gefahr laufen kann, leichtfertig zu werden, wenn es gerade gut läuft“, sagt er.

Dies sei allerdings persönlichkeitsabhängig. „Auf seine Fähigkeiten zu vertrauen, mit dieser Situation umgehen zu können, ist dann auch ein Teil von Selbstvertrauen“, sagt er weiter. Wie sehr dies im St.-Pauli-Team inzwischen wirklich verankert ist, wird sich am Sonntag zeigen.

Neben den Langzeitverletzten David Nemeth, Etienne Amenyido und Christopher Avevor nahmen am Donnerstag auch Luca Zander und Afeez Aremu nicht am Training teil.