Benidorm. Der Australier blickt im Trainingslager im spanischen Benidorm auf seine ganz besonderen WM-Erfahrungen in Katar zurück.
Ein kühles Bad für die müden Beine gönnte sich Jackson Irvine nach dem Vormittagstraining dann doch noch in der großzügigen Badelandschaft der Hotelanlage Melia Villaitana in Benidorm an der Costa Blanca. Ein paar Minuten blieb der Australier in Diensten des FC St. Pauli bis zur Hüfte einsam im Becken. „Ja, es ist ziemlich kalt“, sagte er ziemlich fröhlich, während seine Teamkollegen schon im Hotelkomplex verschwunden waren.
FC St. Pauli: Irvine soll nach der WM behutsam aufgebaut werden
Zuvor hatte der Co-Kapitän und Mittelfeldspieler, der nach seiner WM-Teilnahme und dem verlängerten Urlaub danach erst am 29. Dezember wieder seine erste Trainingseinheit mit St. Pauli absolviert hatte, rund 90 Minuten auf dem Platz gestanden und alle Inhalte mitgemacht. Nur die restlichen rund 15 Minuten beobachtete er von außen, erst locker joggend, dann vom Radergometer aus. Der angekündigte, behutsame Wiederaufbau Irvines nach WM-Pause und Reisestress scheint schon jetzt annähernd beendet.
Nach dem Mittagessen mit der Mannschaft nahm sich Irvine Zeit, über seine intensiven Erlebnisse der vergangenen zwei Monate zu sprechen. Vor allem die Teilnahme an der WM in Katar mit den „Socceroos“ war für ihn der sportliche Höhepunkt seiner bisherigen Profikarriere – und wird dies aller Wahrscheinlichkeit auch bis zum Ende der Laufbahn bleiben.
Duell mit Lionel Messi war für Irvine ein prägendes Erlebnis
Die Siege über Tunesien und Dänemark (je 1:0), das damit verbundene, in der Heimat umjubelte Erreichen des Achtelfinales, sowie die Spiele gegen den Finalisten Frankreich (1:4 in der Gruppenphase) und den späteren Weltmeister Argentinien (1:2 im Achtelfinale) inklusive einiger direkter Duelle mit Weltstar Lionel Messi – all das waren prägende Ereignisse für Irvine, der in allen vier WM-Spielen in der Startformation stand.
„Es ist wirklich schwierig, das alles zu verarbeiten. Ich hatte noch nicht einmal die Gelegenheit, mir unsere WM-Spiele noch einmal anzuschauen. Direkt nach der WM habe ich ein paar Wochen bei meiner Familie in Australien und danach noch eine Woche bei der Familie meiner Freundin verbracht“ erzählt er. „Ich habe auch viele Freude getroffen, aber noch keine Zeit gefunden, das Ganze zu realisieren und nachzudenken, was wir als Team für Australien erreicht haben.“
Dann aber gerät Irvine ins Schwärmen über das Erlebte. „Die Momente auf dem Rasen waren sehr speziell und absolut unglaublich. Wir alle können sehr stolz darauf sein, was wir erreicht und auf welch hohem Level wir als ganzes Team gespielt haben“, sagt er und streicht ganz besonders den speziellen Teamgeist heraus, den er schon immer in der australischen Nationalmannschaft gespürt hat.
Irvine schwärmt von Weltmeister Lionel Messi
„In Australien ist Fußball eine kleine Welt. Wir Spieler haben uns schon lange gekannt, bevor wir ins Nationalteam berufen wurden, teilweise seit wir zehn oder elf Jahre alt waren. Heute spielen wir in allen Ecken der Welt“, berichtet er. Für eine Sportart zu werben, die im eigenen Land längst nicht die Nummer eins ist, schweißt zusammen.
Aber wie ist es nun, speziell für einen Zweitligaspieler, wenn einem plötzlich wirklich Lionel Messi auf dem Rasen gegenübersteht? Wie geht man damit um, gegen den zu spielen, den man selbst immer als Idol angesehen, ja vielleicht sogar angehimmelt hat? „Er ist der Größte, der dieses Spiel jemals gespielt hat. Doch wenn man auf dem Rasen zu viel darüber nachdenkt, lenkt das viel zu sehr vom eigenen Spielplan ab“, sagt er.
Man müsse sich zwingen, es als ein „ganz normales Match“ anzusehen. „Im Nachhinein aber ist es für mich, der nicht die Chance hat, im Vereinsfußball gegen ihn zu spielen, immer noch unglaublich, es auf der größtmöglichen Bühne getan zu haben“, sagt er und berichtet, wie er Messis Spielweise hautnah erlebt hat. „Manchmal geht er nur über den Platz oder spielt den Ball zurück. Dabei wartet er auf den Moment, sein zweites Gesicht zu zeigen, wenn man ihn gerade nicht unter Kontrolle hat. Das hat er schon tausendfach so gemacht“, beschreibt er.
FC St. Pauli: Kapitän Irvine steht wieder der Zweitliga-Alltag bevor
Doch nun ist für Irvine wieder schnöder Alltag in der Zweiten Liga mit dem FC St. Pauli angesagt. Wird es eine mentale Herausforderung sein, sich von der Weltbühne wieder in den Abstiegskampf zu begeben? Mühling statt Messi, Dumic statt Di Maria und Mees statt Mbappé heißen nun wieder die Gegner. „Ich denke nicht, dass es für mich so schwierig wird, mich wieder auf den Clubfußball umzustellen. Wir haben hier auch eine hohe Qualität im Team. 2018 war ich auch bei der WM in Russland und habe danach wieder in England in der Zweiten Liga gespielt“, sagt er.
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In seiner Abwesenheit wurde Irvine von Präsident Oke Göttlich persönlich vorab darüber informiert, dass Trainer Timo Schultz freigestellt wird. Danach hat er Schultz selbst kontaktiert. „Es war eine Überraschung für mich, aber ich habe auch Verständnis, dass sich der Club in der Situation sah, etwas verändern zu müssen. Das ist leider die Realität im Fußball“, sagt Irvine, der schon vor der WM seinen Vertrag langfristig verlängert hatte. „Ich habe mich noch bei keinem Verein so zu Hause gefühlt wie beim FC St. Pauli“, beteuert er, will sich aber nicht festlegen, ob es sein letzter Verein sein wird. „Wahrscheinlich entscheide das nicht ich“, sagt er vielsagend – im Gegensatz zu seinem Abkühlungsbad im Pool.