Hamburg. Seit acht Jahren führt Oke Göttlich den Verein als Präsident. Trotz hohen Aufwands blieb der Ertrag zu oft aus. Die Bilanz.
Das kann einem Fußballfan und St.-Pauli-Anhänger doch keinen Spaß machen: Trainerentlassung. Schon wieder. Und dann auch noch bei einem „verdienten und echten St. Paulianer“ wie Timo Schultz. Oke Göttlich wird natürlich geahnt haben, was da auf ihn zukommen würde, nachdem die Entscheidung gefallen war, auf der Position des Cheftrainers eine Änderung herbeizuführen.
An diesem Dienstag ab 19.10 Uhr tritt der Vereinspräsident erstmals nach der unpopulären Entscheidung gegen Schultz öffentlich im „Ballsaal“ des Millerntor-Stadions auf, um einen Podcast vorzustellen. Man wird sehen, wie die Stimmung ist. Vor allem aber auf der Mitgliederversammlung am 17. Dezember könnte es hoch hergehen. Wohl noch nie in seiner inzwischen achtjährigen Tätigkeit war der 47-Jährige derart harter Kritik ausgesetzt wie in diesen Tagen nach der Freistellung des allseits beliebten „Schulle“.
FC St. Pauli: Viel Kritik an Göttlich im Internet
In den mehr oder weniger sozialen Netzwerken machen vor allem Kritiker und Krawallmacher von sich reden, das liegt in der Natur dieser Medien. Die große Anzahl der „Göttlich-raus“-Forderungen ist dennoch bemerkenswert. Und Göttlich wundert sich, dass einer der Vorwürfe jetzt lautet, ihm (und Sportchef Andreas Bornemann) fehle es an „Menschlichkeit“, während die Kritik sonst häufig lautete, „der Verein sei nicht ambitioniert.“ Beides ist offensichtlich nicht richtig.
Am 16. November 2014 wurde der Hamburger Musikunternehmer und ehemalige Sportjournalist auf der Mitgliederversammlung von 831 der 1064 Anwesenden Mitglieder in das höchste Vereinsamt gewählt. Sein Vorgänger Stefan Orth war nach viereinhalb Jahre vom Aufsichtsrat nicht erneut zur Wahl vorgeschlagen worden. Das Gremium suchte stattdessen „eine Persönlichkeit an der Spitze, die strategische und kommunikative Kompetenz mit Führungsstärke in herausragender Weise verbindet“.
Profifußball ist immer auch Geschäft
Diese Person hat der Club mit Göttlich bekommen. Vor allem bei wirtschaftlichen Entscheidungen setzte er seine Erfahrungen als Unternehmer aus dem Bereich digitaler Musikvermarktung um. Das ist Marktwirtschaft, aber Profifußball ist Geschäft – und da ist der Kiezclub in den vergangenen Jahren außerordentlich erfolgreich.
Der Rückkauf der Merchandisingrechte zum 1. Januar 2016 von der Upsolut Merchandising GmbH Co.KG, vertreten durch die Gesellschafter Lagardère und Miles, ist dabei ein Meilenstein. Bis dahin lagen die Rechte lediglich zu zehn Prozent beim FC St. Pauli. Seit dem 1. Juli 2019 vermarktet der Club seine Sponsoring- und Hospitality-Angebote zudem selbst, vorher war U! Sports der Vermarkter. Seit 2020 produziert und vermarktet der Verein über die Marke DIIY auch seine Ausrüstung selbst und hat sich auch in diesem Geschäftsfeld unabhängig gemacht.
Nutzungsvertrag fürs Stadion verlängert
Die wirtschaftlichen Erfolge ermöglichten auch eine Reduzierung des Stadion-Darlehens auf 30 Millionen Euro. Der Nutzungsvertrag fürs Stadion mit der Stadt wurde zudem 2020 bis 2110 verlängert. Das ist alles eine Erfolgsgeschichte – wenn da nur der Fußball nicht wäre.
„Nur wenn wir im Sport erfolgreich sind, können wir unsere Werte in eine breite Öffentlichkeit transportieren“, hat Göttlich mehrmals sein Credo formuliert. Die bekannten gesellschaftlichen Werte der meisten Anhänger und Mitglieder des Vereins vertritt Göttlich natürlich, er ist mittlerweile auch einer der prominentesten Kritiker an den Auswüchsen im Profifußball, setzt sich eindeutig für den Erhalt der 50+1-Regel ein und die Interessen der „kleineren“ Vereine ein – auch im Präsidium der deutschen Fußball-Liga (DFL), dem er seit 2019 angehört.
Sportlicher Erfolg blieb auf der Strecke
Aus den wirtschaftlichen Erfolgen auch sportlichen Erfolg abzuleiten, das hat bislang nicht funktioniert. Das wurmt einen Macher wie Oke Göttlich. „Dauerhaft einen Platz unter den Top 25 in Deutschland“ ist das Ziel. Mit einer Bilanzsumme von 56 Millionen Euro belegte St. Pauli im Geschäftsjahr 2020/21 Platz zwei in der Zweiten Liga hinter dem HSV. Und der Personaletat von 21 Millionen Euro wurde nur von Nürnberg, Bielefeld, Hannover und dem Stadtnachbarn übertroffen.
Seit Göttlich im Amt ist, holte St. Pauli in acht Saisons jedoch nur zweimal mehr als 50 Punkte, im Durchschnitt waren es 46 Zähler. Das ist grauestes Mittelmaß. Aufwand und Ertrag stimmen einfach nicht. „Der FC St. Pauli gehört mit seinen Rahmenbedingungen ins obere Drittel der Zweiten Liga. Wenn das nicht der Fall ist, muss hinterfragt werden, woran das liegt“, sagte Göttlich kürzlich.
„Aber Kontinuität ist kein Selbstzweck"
Eine grundsätzliche Antwort darauf ist allerdings noch nicht gefunden. So hat sich der Club seit Göttlichs Amtsantritt bereits von drei Sportchefs (Rachid Azzouzi, Thomas Meggle und Uwe Stöver) getrennt, von denen Azzouzi mit Fürth vor zwei Jahren in die Bundesliga aufgestiegen ist. Und sechs Trainer mussten ebenfalls bereits gehen.
Der Wunsch nach Kontinuität, nach Trainern die über Jahre einen Verein prägen wie in Heidenheim Frank Schmidt oder Christian Streich in Freiburg, den hatte auch Oke Göttlich einmal. Vielleicht hat er ihn auch immer noch. „Diese Modelle sind erstrebenswert“, sagt er einmal. „Aber Kontinuität ist kein Selbstzweck. Es kann nicht sein, dass wir Kontinuität vor einen möglichen Erfolg stellen.“
FC St. Pauli: Oke Göttlich im Amt bestätigt
2017 und 2021 wurde Oke Göttlich von der Mitgliederversammlung im Amt bestätigt. Im vergangenen Jahr wurde er zudem als hauptamtlicher Präsident installiert, im Ehrenamt war der Job nicht mehr zu leisten. Auffallend ist, dass in Göttlichs ehrenamtlichen Präsidien bislang nie ein ausgesprochener Profifußball-Fachmann saß, wie Jens Duve einst bei Stefan Orth.
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Seit 2019 ist nun Sportchef Andreas Bornemann sein wohl wichtigster sportlicher Berater. Der 51-Jährige gehört seit dem Sommer als „Besonderer Vertreter“ dem Präsidium an. „Wir haben einen extrem ambitionierten Sportdirektor. Er möchte den Verein im oberen Drittel der Zweiten Liga etablieren. Und jeder ist angehalten, dabei zu helfen“, sagt Göttlich.
Er weiß: Spaß macht das nicht immer.