Hamburg. Der 3:0-Triumph gegen den HSV hat mehr Erleichterung als Euphorie ausgelöst. Doch es gibt Sorgen um drei Verteidiger.

Es war schon eine skurrile Szenerie am Vormittag nach dem berauschenden 3:0-Sieg des FC St. Pauli im Stadtderby gegen den HSV. Als die Siegermannschaft wie üblich am Tag nach einem Spiel vom Trainingszentrum auf den Mountainbikes zur rund halbstündigen Regenerationstour losradelte, hatten sich vor Ort gerade einmal vier Reporter und ein Kameramann eingefunden, um vielleicht ein paar Ringe unter den Augen der Derbyhelden zu entdecken.

Von Fans aber war nichts, rein gar nichts, zu sehen. Keine Plakate, keine Jubelstürme, kein Applaus. Und so gingen dann die Stammspieler auch ziemlich emotionslos auf ihre Tour. Gleichgewichtsprobleme hatte dabei ganz offensichtlich keiner.

St.-Pauli-Trainer Schultz: Spieler sollten Derbysieg gegen HSV genießen

Das galt auch für Trainer Timo Schultz, der sich wie üblich an die Spitze des Kiezkicker-Pelotons gesetzt hatte. Dabei hatte er noch am Freitagabend nach all den vielen Jubelarien auf dem Rasen des Millerntor-Stadions im letzten von ungezählten Interviews auf eine Frage nach dem kommenden Pokalgegner SC Freiburg gesagt: „Es ist zwölf Stunden und fünf Bier zu früh, um an Freiburg zu denken.“

St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich (l.) gratulierte Trainer Timo Schultz.
St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich (l.) gratulierte Trainer Timo Schultz. © WITTERS | Leonie Horky

Ein Feierverbot hatte er seinen Spielern nicht auferlegt – ganz im Gegenteil: „Man sollte solche Siege wie heute genießen. Das habe ich den Jungs auch gesagt. Das gehört zum Fußball dazu und passiert heutzutage viel zu wenig. Bis Mittwoch ist genug Zeit. Ich hoffe, dass die Jungs ein Plätzchen für sich finden, ob zu Hause oder noch mit ein paar Spielern zusammen. Dass da keiner über die Stränge schlägt, versteht sich von selbst.“

Er ahnte aber schon, dass die Aufforderung kaum Gehör finden würde. „Die meisten sind so professionell und jetzt erst mal dabei, ihre Kohlenhydratspeicher aufzufüllen. Das war früher auch anders. Da haben wir ganz andere Speicher aufgefüllt“, sagte er und erntete ordentlich Gelächter.

Trotz Derbysieg keine Euphorie beim FC St. Pauli

„Es wird nur eine kleine Feier“, sagte denn auch Jackson Irvine, der die Ehre hatte, sein Team in diesem Stadtderby als Kapitän anzuführen. Und Eric Smith, Torschütze des 1:0, pflichtete bei: „Heute Abend können wir den Sieg genießen, aber schon morgen müssen wir regenerieren, weil es ein wichtiges Pokalspiel ist und ein schwieriges dazu.“

Auch die Stimmung bei den anderen St.-Pauli-Spielern war nach dem Abpfiff als Mischung aus Freude und einer großen Portion Erleichterung zu identifizieren. Von einer totalen Euphorie und kompletten Ausgelassenheit, wie sie etwa im Februar 2011 nach dem 1:0 im bislang letzten Bundesligaduell beider Hamburger Teams im Volksparkstadion zu erleben war, konnte keine Rede sein.

Zu angespannt war die Tabellensituation jetzt vor dem Derby nach sieben sieglosen Spielen nacheinander und den Niederlagen bei den schwächer eingeschätzten Teams wie Regensburg und zuletzt Braunschweig. Und so entscheidend hat sich die Lage auch durch den in dieser Deutlichkeit kaum erwarteten Triumph über den HSV nicht verändert. Als Tabellenzwölfter steht St. Pauli noch längst nicht dort, wo man sich selbst sehen will, nämlich mindestens im ersten Drittel der Liga.

FC St. Pauli bangt vor Pokalspiel um drei Verteidiger

Der nun wieder zurückeroberte „Titel“ des Stadtmeisters ist so auch eher ein Geschenk für die Fans, die sich in ihren Familien, im Freundeskreis und am Arbeitsplatz damit mindestens bis zum vorletzten April-Wochenende gegenüber denen brüsten können, die zum HSV halten. Zusätzliche Punkte bringt es bekanntlich nicht, die „Nummer eins der Stadt“ zu sein.

„Wir wollten den Fans etwas zurückgeben. Besser als mit diesem Sieg heute konnte uns das nicht gelingen“, sagte ganz in diesem Sinn der eingewechselte Stürmer David Otto, der mit dem Kopfballtor zum 3:0-Endstand sein ganz persönliches Erfolgserlebnis hatte und seinen ersten Ligatreffer für St. Pauli erzielte. „Das darf jetzt auch gern öfter so klappen“, sagte er.

Stürmer David Otto jubelt nach seinem ersten Ligator für St. Pauli.
Stürmer David Otto jubelt nach seinem ersten Ligator für St. Pauli. © WITTERS | Valeria Witters

Getrübt wurde die Freude über den Derbysieg auch noch durch die Verletzungen von Innenverteidiger Jakov Medic und Außenverteidiger Luca Zander, die zwar beide bis zum Schluss auf dem Feld blieben, am Sonnabend aber nicht mittrainieren konnten. Medic war unglücklich auf der rechten Schulter gelandet. Am Sonnabend fuhr ihn Teamarzt Volker Carrero zu einer Untersuchung. Zander hatte kurz nach seiner Einwechslung laut Trainer Schultz einen Schlag auf den Solarplexus bekommen, sodass ihm die Luft wegblieb. Er musste sich sogar übergeben und kam schon direkt nach dem Spiel zur Untersuchung ins Krankenhaus.

„Ich baue doch in Freiburg auf ihn“, sagte Schultz. Im Pokalspiel wäre er als logischer Ersatz für den gesperrten Manolis Saliakas vorgesehen. Und da auch Innenverteidiger David Nemeth wegen seiner Adduktorenprobleme sowohl im Derby als auch beim Training tags darauf fehlte, droht im Pokalspiel in Freiburg eine Notbesetzung in der Defensive.

Wichtiger erscheint ohnehin das nächste Ligaspiel am kommenden Sonnabend zur Primetime 20.30 Uhr bei Arminia Bielefeld. Beim Bundesligaabsteiger und Tabellenschlusslicht scheint es eine realistische Chance zu geben, nach der Wiedereroberung der Stadtmeisterschaft auch die Sieglosserie in fremden Stadien seit Ende Februar zu beenden. „Wir müssen einen Weg finden, dieses Level wie heute auch in den anderen Spielen zu erreichen“, hatte Irvine schon direkt nach dem Derbysieg angemahnt. „Wenn wir das schaffen, sind wir ein Topteam.“

Trainer Schultz setzt nun darauf, dass der Derbytriumph kein singuläres Ereignis bleibt und seine Mannschaft nicht wieder in alte Muster zurückfällt. „Wir können daraus ganz viel Energie ziehen für die nächsten Partien, um den Weg so weiterzugehen. Wir können jede Mannschaft schlagen, müssen dafür aber am Anschlag sein“, sagte er und mahnte zugleich: „Wir können auch gegen jeden Gegner verlieren.“ Auch dies hat sein Team in dieser Saison schon (zu) oft bewiesen.