Hamburg. Strafrechtler äußert Kritik an der Polizei: Verletzungen wurden in Kauf genommen. Was von dem Ermittlungsverfahren zu erwarten ist.
Dieser Polizeieinsatz wird Hamburg noch länger beschäftigen. Es waren erschütternde Bilder, die kurz vor dem Stadtderby FC St. Pauli gegen den HSV im Netz kursierten.
In einem knapp einminütigen Video vor dem Millerntor-Stadion ist zu sehen, wie ein Polizist einen am Boden fixierten Fußballfan des Kiezclubs mehrmals in die Rippen schlägt. Anschließend versetzt er ihm Schläge mit dem Ellenbogen gegen den Hinterkopf. Im weiteren Verlauf des Videos kniet einer der Polizisten auf dem Nacken eines Mannes.
Polizeigewalt bei St. Pauli – HSV? Experte klärt auf
In Aufruhr versetzte Fans beider Clubs verurteilten das Verhalten der Polizisten aufs Schärfte, der FC St. Pauli schloss sich der Kritik an. Die Polizei rechtfertigte den gewaltsamen Einsatz damit, dass die in Gewahrsam genommenen St.-Pauli-Fans zuvor versucht hatten, den friedlichen Derbymarch der HSV-Anhänger zu stürmen.
Aber ist das Vorgehen der Beamten damit zu rechtfertigen? Das Abendblatt hat Sascha Böttner, Hamburger Fachanwalt für Strafrecht zu der Thematik befragt.
Hamburger Abendblatt: Herr Böttner, wie bewerten Sie das Verhalten der Polizei?
Sascha Böttner: Selbst wenn man davon ausgeht, die Ingewahrsamnahme basiere auf einem berechtigten Anlass, wären die Schläge mit der Faust in die Rippenregion und mit dem Ellenbogen auf den Hinterkopf dennoch nicht gerechtfertigt.
Experte: Schläge der Polizei nicht gerechtfertigt
Warum?
Böttner: Aus einem einfachen Grund: Die Polizei und die am Boden festgesetzte Person sprechen miteinander. Ich nehme an, der Polizist fordert den Mann auf, den Arm auf den Rücken zu legen. Das scheint der Mann zu verweigern. Zuvor wehrte er sich aber nicht dagegen, auf den Bauch gedreht zu werden. Es geht keine Gefahr von ihm aus, und gleich zwei Polizisten sind an ihm dran. Es ist auch nicht mit akuter körperlicher Gegenwehr zu rechnen. Der Polizist sieht, dass der Mann keine Waffe bei sich führt. Es liegt keine Bedrohung für die Polizei vor.
Die Polizei rechtfertigt die Gewalt mit sogenanntem Zwang.
Böttner: Man muss differenzieren zwischen dem Einsatz von unmittelbarem Zwang zur direkten Herbeiführung einer Handlung, beispielsweise das Drehen des Arms auf den Rücken, und dem Einsatz von Gewalt zum Brechen des unmittelbaren Willens. Letzteres ist nicht verhältnismäßig. Möglicherweise platzte dem Polizisten wegen der Vorgeschehnisse die Hutschnur.
Ellenbogenschläge gegen Kopf: Polizisten nimmt Verletzung in Kauf
Es ist auch zu sehen, wie ein Polizist mit dem Ellenbogen auf den Hinterkopf des am Boden liegenden Mannes einschlägt. Ist ein solches Vorgehen gesundheitsgefährdend?
Böttner: Der Polizist nimmt die Gefahr in Kauf, dass der Kopf mit Wucht auf den Boden schlägt und es zu nicht unerheblichen Verletzungen kommt. Solche Schläge sind nicht verhältnismäßig. Es handelt sich dabei um massive Gewalt. Das hätte man anders lösen müssen.
Polizist kniet auf Fan – wie in den USA?
Einer der Polizisten kniet auf dem Kopf eines am Boden liegenden Mannes.
Böttner: Grundsätzlich kann das Knien auf den Kopf-/Oberkörperbereich dazu dienen, die Person zu fixieren, und wird meines Wissens nach auch so gelehrt. Der Beamte muss beide Hände freihaben, um den Arm gegebenenfalls auf dem Rücken zu fixieren. Wichtig ist, dass die Luftzufuhr dabei nicht beeinträchtigt wird. Das scheint in dem Fall berücksichtigt worden zu sein, wobei man das nur anhand des Videos nicht eindeutig bewerten kann. Es ist zu berücksichtigen, dass auf der festgesetzten Person nur von kurzer Dauer gekniet wurde.
Man denkt bei solchen Bildern schnell an Fälle wie den von Georg Floyd („I can’t breathe“) in den USA.
Böttner: Solche Bilder sehen immer martialisch aus, die Optik kann aber schnell täuschen. Am Boden liegende Personen mit dem Knie zu fixieren, ist generell erlaubt, weil der Druck genau dosiert werden kann. Die Polizei hat dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum. Das Video vom Derby zeigt, wie der Beamte langsam und kontrolliert kniet. Dadurch besteht keine Verletzungsgefahr, weil keine Beschleunigungskräfte wirken. Ein solcher Einsatz kann verhältnismäßig sein.
HSV bei St. Pauli: Ermittlungen gegen Polizei
Inzwischen wurde bekannt, dass ein Strafverfahren gegen die Polizisten eingeleitet wurde.
Böttner: Ein solcher Vorgang ist Routine, da eine Anzeige gestellt wurde. Die Innenbehörde will somit nicht den Anschein erwecken, etwas unter den Teppich zu kehren.
Wie vermuten Sie, wird dieses Verfahren ausgehen?
Böttner: Um das einschätzen zu können, müsste ich die Stellungnahme der angezeigten Polizisten kennen. Deren Polizeiakte spielt in der Bewertung ebenfalls eine Rolle – zum Beispiel, wie sie in früheren Einsätzen agiert haben und ob sie schon einmal durch Gewalt auffällig wurden. Relevant ist auch die Schwere der Verletzungen der Geschädigten. Meistens werden solche Verfahren eingestellt.