Hamburg. Lange Zeit war das Schultz-Team die bessere Mannschaft, sah dann aber wie der Verlierer aus. Bis Abwehrspieler Nemeth kam.
Timo Schultz hatte ein richtig gutes Fußballspiel versprochen. Und genau das bekamen die 29.269 Zuschauer im Millerntor-Stadion. Ein völlig verrücktes sogar. Eines mit zwei Treffern in der Nachspielzeit, das keinen Sieger verdient hatte und auch keinen fand: 2:2 (0:1) trennte sich der FC St. Pauli vom erstplatzierten SC Paderborn. Damit kommen die Hamburger zwar nicht aus dem Mittelfeld der Tabelle heraus, zeigten sich im Vergleich zur Vorwoche aber stark verbessert. "Es war ein Wechselbad der Gefühle. Für mich und die Mannschaft. Ich wäre einiges mehr drin gewesen, aber wenn man so spät trifft, muss man mit dem Punkt zufrieden sein", sagte Kapitän Leart Paqarada.
FC St. Pauli: Otto feiert Startelfpremiere
Der größte Star auf dem Feld befand sich weder im einen, noch im anderen Kader. Mit Deniz Aytekin leitete Deutschlands bester und prominentester Schiedsrichter die Partie. Von dessen Starfaktor etwas entfernt ist St. Paulis David Otto, der erwartungsgemäß das kriselnde Talent Igor Matanovic im Sturm ersetzte. Ansonsten vertraute Schultz der gleichen Mannschaft, die sechs Tage zuvor in Rostock noch saft- und kraftlos wirkte.
Die Einzelkritik zum Spiel gegen Paderborn:
Dreifachretter Smarsch – Paqarada mit bitterem Arbeitstag
Daran, dass dieser „Auftritt“ möglichst schnell in Vergessenheit geraten soll, ließen die Gastgeber von Beginn an keine Zweifel. Sie gingen viel engagierter in die Zweikämpfe, und das Risiko eines hohen Pressens gegen den außerordentlich spielstarken Gegner wurde nicht gescheut. Der Spitzenreiter musste dem Tabellenelften das Feld und rund zwei Drittel des Ballbesitzes überlassen. Allein, es fehlte das Resultat, das zählbare zumindest. Einen Kopfball von Eggestein klärte Uwe Hünemeier kurz vor der Linie (16.). Die Aufregung darüber war jedoch umsonst – der Angreifer stand deutlich im Abseits.
St. Pauli kontrolliert starke Paderborner Offensive
Dennoch: Die Anfangsphase sollte die Anhänger des Kiezclubs optimistisch stimmen, denn die beste Offensive der Liga kam ausgerechnet gegen St. Paulis Wackelverteidigung zunächst überhaupt nicht in die Gänge. Paderborn wurde bedrängt wie ein Boxer, der permanent in den Seilen hängt. Allerdings konnten die Hamburger, um im Sprachbild zu bleiben, nur Jabs verteilen.
Einen Fehlschuss von Lukas Daschner beispielsweise (33.), der aus rund 13 Metern nur knapp rechts am Tor vorbeiging. Auffällig am Stil von St. Paulis Offensivbemühungen war, dass weder einer Rechts- noch Linksauslage folgten und regelmäßig zwischen Kapitän Leart Paqarada und Manos Saliakas alternierten.
Wirkungstreffer landete keiner der Kontrahenten, von echten Treffern ganz zu schweigen. Die Ostwestfalen bekamen zum Ende der ersten Hälfte zwar mehr Kontrolle und besaßen nun sogar leichte Vorteile im Ballbesitz, Schultz` Mannschaft verstand es aber sehr gut, die Ideen des SCP im Vorhinein zu lesen.
Bitterer Nackenschlag kurz vor der Pause für St. Pauli
Was alles änderte, war dann auch keineswegs ein Formationsfehler, sondern ein individueller. Der ansonsten starke David Nemeth führte auf Höhe der Mittellinie ein Kopfballduell, das er verlor. Folglich fehlte er hinten. Paqarada grätschte beim Versuch, einen Pass von Felix Platte in die Spitze zu klären, am Ball vorbei. In seinem Rücken hatte Nutznießer Marvin Pieringer allein vorm Tor von Keeper Dennis Smarsch leichtes Spiel (44.). Mit diesem Nackenschlag ging es in die Pause.
Aus dieser torkelte St. Pauli nur heraus. Pieringer hatte nach seinem Lupfer über Smarsch bereits zum Jubeln abgedreht, ehe ihm beim Schulterblick auffiel, dass der Ball doch nur an die Unterkante der Latte ging. Und es kam noch schlimmer. Zwar zeigte Aytekin nach Foul am enorm einsatzbereiten Saliakas auf den Elfmeterpunkt, doch Paqarada setzte seinem bis dato gebrauchten Tag mit einem unplatzierten und schwachen Schuss ins rechte, untere Ecke noch einen drauf. Torwart Jannik Huth parierte.
Paqarada scheitert vom Elfmeterpunkt
Der Elfmeterkiller parierte damit bereits den fünften von neun Strafstößen gegen ihn, darunter den dritten in Folge. Nun hatte Paderborn endgültig Oberwasser. Robert Leipertz brachte Smarsch mit einem Fernschuss erst in Bedrängnis, die beiden Nachschüsse parierte der Torhüter aber sicher.
Was fiel St. Pauli noch ein? Dem läuferischen Aufwand vor dem Seitenwechsel zollten die Hausherren nun Tribut. Frische Kräfte mussten her, und kamen in Form von Matanovic und Etienne Amenyido, die für die wenig auffälligen Eggestein und Otto eingewechselt wurden. Zwar belagerten die „Boys in Brown“ nun wieder häufiger das letzte gegnerische Drittel und feuerten auch ihre Schüsschensalven ab. Für die stabile Gästeabwehr jedoch kein Problem.
Es wird immer offensichtlicher, dass St. Pauli ein verlässlicher und durchschlagkräftiger Stürmer fehlt. Immerhin soll der Franzose Aurélien Scheidler im Anflug sein. Ob er angesichts seiner zwölf Treffer in der zweiten französischen Liga in der vergangenen Jahr die Lösung aller Probleme darstellt, bleibt abzusehen.
St. Pauli mit viel Leidenschaft aber ohne große Durchschlagskraft
Ein Kopfball von Jackson Irvine nach einem Eckball direkt auf Huth, eine heraushebenswerte Szene wohlgemerkt, löste jedenfalls gar nichts (72.). Auch die Hereinnahmen von Carlo Boukhalfa für Eric Smith und Luca Zander für Saliakas hatten eine Viertelstunde vor Ende der Begegnung zunächst nur überschaubare Wirkung (75.), doch gerade Zander spielte noch eine wichtige Rolle in der Schlussphase.
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Machte aber nichts, denn Schultz` Idee nach einer Stunde zahlte sich nun doch noch aus. Nach schöner Verlagerung auf rechts bediente Joker Zander direkt Joker Amenyido, der seinerseits eine Direktabnahme auf und ins Tor feuerte. Ausgleich, wieder alles offen (84.). Gelingt nun noch der Lucky Punch? Zunächst wirkte es, als würde St. Pauli ausgeknockt. Denn postwendend traf Sirlord Conteh gegen seinen Ex-Club wieder zur Paderborner Führung. Aytekin ließ die Szene jedoch auf eine Abseitsstellung überprüfen. Ergebnis: Gewaltiger Jubel im Millerntor-Stadion und die Hoffnung auf den Sieg.
Nemeth rettet FC St. Pauli einen Punkt in der Nachspielzeit
Den glaubte der SC Paderborn auch noch zu feiern. Denn ein weiteres Mal stand Conteh nicht im Abseits. Im Gegenteil: Der blitzschnelle Angreifer überlief nach einem Steilpass Jakov Medic und Nemeth und hatte ein weiteres Mal keine Mühe gegen Smarsch (90.+2). Immer noch war’s das nicht. Denn Nemeth machte seinen Fehler direkt wieder gut, indem er nach einer Ecke von Marcel Hartel zum abermaligen Ausgleich einköpfe (90.+3). Was. Für. Ein. Verrücktes. Spiel. "Wir haben richtig gut gearbeitet und sehr unnötige Tore kassiert. Trotzdem sind wir am Ende froh, dass wir nach zwei Mal Rückstand wieder zurück ins Spiel gekommen sind", sagte Nemeth.
- FC St. Pauli: Smarsch – Saliakas (75. Zander), Nemeth, Medic, Paqarada – Irvine, Smith (75. Boukhalfa) – Daschner, Hartel – Otto (58. Matanovic), Eggestein (58. Amenyido).
- SC Paderborn: Huth – Heuer, Hünemeier (80. van der Werff), Hoffmeier – Leipertz (58. Conteh), Schallenberg, Obermair – Justvan (75. Tachie), Muslija (80. Srbeny) – Platte, Pieringer (58. Schuster).
- Tore: 0:1 Pieringer (44.), 1:1 Amenyido (84.), 1:2 Conteh (90.+2), 2:2 Nemeth (90.+3). Bes. Vork.: Huth hält Foulelfmeter von Paqarada (51.).
- Schiedsrichter: Aytekin (Oberasbach).
- Zuschauer: 29.269. Gelbe Karten: Otto (1), Nemeth (1) – Justvan (1).
- Mannschaftsstatistiken: Torschüsse: 15:8. Ecken: 7:2. Ballbesitz 49:51 Prozent. Zweikämpfe: 89:93. Laufleistung: 118,7:118,2.