Hamburg. Mittelfeldspieler Carlo Bukhalfa ist der dritte neue Spieler beim Kiezclub. Doch was macht einen guten Transfer eigentlich aus?

Natürlich spielt er Managerspiele. Seit jeher, und immer noch. Nur hat er das mittlerweile zu seinem Beruf gemacht. Dustin Böttger ist Geschäftsführer des Global Soccer Networks (GSN), einem Unternehmen, das weltweit rund 500.000 Fußballer von der U 17 aufwärts in seiner Datenbank führt. Jedem Spieler sind bis zu 15.000 relevante Datenpunkte zugeordnet, jeder Schuss, jeder Zweikampf erhalten Einzug darin. Positionsbezogene Unterschiede werden ebenso berücksichtigt und entsprechend gewichtet wie das Spielniveau des Gegners und der Liga sowie sogenannte „advanced“ Statistiken wie die „expected Goals“, also die angesichts der Schussposition und Schussabsender zu erwartenden Tore.

Spielstärke, Potenzial und Leistungsvergleiche lassen sich daraus ableiten. Viel mehr aber: Welcher Akteur passt zu welchem Club? Wer harmoniert am besten mit welchem Mitspieler? Kurz: Ein Realität gewordenes Fußballmanagerspiel, bei dem sich Entscheider der renommiertesten Vereine bedienen, wenn sie ihre Transferaktivitäten planen.

Mehr als 100 Vereine weltweit berät das in Sandhausen ansässige GSN. Darunter den FC Bayern München, Manchester City und Paris St. Germain. Der FC St. Pauli befindet sich nicht unter den Klienten. Und muss das vielleicht auch gar nicht, denn Sportchef Andreas Bornemann leiste bereits gute Arbeit auf dem Transfermarkt, so Böttger. Die Verpflichtungen von Connor Metcalfe und Manos Saliakas produzieren verheißungsvolle Zahlen. „Da hat man sich getraut, über den Tellerrand in kleinere Ligen zu schauen und langfristig zu denken“, sagt Böttger, der früher als Scout bei der TSG Hoffenheim und dem SV Sandhausen gearbeitet hat. Der Australier Metcalfe sei ein durchschnittlicher Zweitligaspieler, kratze potenziell aber am Bundesliganiveau. Über dieses verfüge der Grieche Saliakas schon jetzt.

Global Soccer Network: So schätzen Experten Neuzugang Boukhalfa ein

Zurückhaltender bewertet der GSN-Index den neuesten Erwerb des Kiezclubs, der am Freitag bekanntgegeben wurde: Mittelfeldspieler Carlo Boukhalfa, der vom SC Freiburg kommt. Über die Vertragsmodalitäten wurde Stillschweigen vereinbart. Der 23-Jährige war in der abgelaufenen Saison an den SSV Jahn Regensburg ausgeliehen, wo ihm in 33 Einsätzen vier Tore gelangen. „Carlo hat ein gutes Gesamtpaket. Er verfügt über eine gewisse Physis, Laufstärke und Grundaggressivität, sucht aber auch gerne den Weg in den Strafraum und wird dort torgefährlich“, beschreibt Bornemann den Neuzugang. Böttger analysiert seine Daten wie folgt: „Ordentliches Passspiel, aggressive Spielweise. Von der Qualität her ein leicht unterdurchschnittlicher Zweitligaspieler, der sich aber zum Bundesligaspieler entwickeln kann, wenn man ihm Zeit gibt.“

Kaum Zeit hat hingegen St. Pauli bei der Zusammenstellung des Kaders, der in einem Monat weitgehend stehen soll. Höchste Priorität sollte dabei ein neuer Innenverteidiger besitzen, verrät die Datenanalyse. Jakov Medic sollte gesetzt sein. Die Zahlen deuten aber darauf hin, dass der Kroate leicht überschätzt wird. „Er hatte eine gute Saison, aber der Hype ist nicht gerechtfertigt“, sagt Böttger. Der junge Marcel Beifus brauche noch Zeit, die zurückkehrende Leihgabe Marvin Senger sollte St. Pauli verkaufen.

Böttgers Modell, das auf künstlicher Intelligenz basiert, spuckt direkt zwei geeignete Kandidaten für die Position aus, deren Verträge auslaufen und die zur Elf von Trainer Timo Schultz passen: den Dänen Stefan Gartenmann (25/SönderjyskE/Dänemark) sowie als erfahreneren Akteur den 1,92 Meter großen, kopfballstarken, venezolanischen Linksfuß Mikel Villanueva (29/CD Santa Clara/Portugal), der über einen spanischen Pass verfügt. „Beide Akteure haben jetzt schon Bundesliganiveau. Ich würde als Aufstiegskandidat möglichst Spieler holen, die gleich eine Liga überspringen können“, sagt Böttger.

Wer könnte Nachfolger von Paqarada werden?

Sollte Linksverteidiger Leart Paqarada noch verkauft werden, stehen laut GSN-Daten zwei weitere, eher exotische Kandidaten als Alternative bereit. Der surinamische Nationalspieler Kenneth Paal (24/PEC Zwolle/Niederlande), der auch die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt, sowie als routiniertere Option der Kroate Marko Pajac (28/Brescia Calcio/Italien). „Pajac ist noch stärker als Paal und wäre auch finanziell machbar für St. Pauli“, so Böttger.

Der Lieblingsspieler des GSN-Index ist übrigens Marcel Hartel. „Er fliegt verglichen mit seiner Performance unter dem Radar. Hartel kommt an Werte heran, die Spieler von Clubs aufweisen, die im Mittelfeld der Bundesliga spielen.“ Bei Star Daniel-Kofi Kyereh sei es dagegen umgekehrt. „Er bringt zweifellos Qualität mit, aber die Öffentlichkeit schaut nur auf die Tore und Vorlagen. Darüber hinaus produziert er nur Durchschnittswerte. Daher rate ich dem FC St. Pauli auch dazu, ihn jetzt zu verkaufen, wenn sich gutes Geld damit machen lässt.“

Möglicher Ersatz: Omar Govea (26/Zulte Waregem/Belgien). Der Mexikaner wurde in der Jugend des FC Porto ausgebildet, ist sehr kreativ, und der Potenzialindex gibt sogar aus, dass er internationale Klasse erreichen könne. Die etwas teurere Variante als Kyereh-Vertreter wäre der Schwede Simon Gustafson (27/FC Utrecht/Niederlande), der laut GSN-Daten direkt in der Bundesliga spielen könnte.

Grundsätzlich schlummern vor allem in Belgien und der zweiten französischen wahre Diamanten für deutsche Zweitligisten, deren Niveau angemessen und Gehälter bezahlbar seien. Böttgers Geheimtipp: die italienische Serie B. „Dort gibt es viele, talentierte Italiener, die taktisch überragend ausgebildet sind.“ Das Preis-Leistungs-Verhältnis im europäischen Ausland sei zumeist besser als in Deutschland. Bleibt nur das Integrationsproblem. „Doch das dürfte bei einem Verein wie St. Pauli ja keines sein“, mutmaßt Böttger.

Matanovic hat das größte Potenzial bei St. Pauli

Auch intern stehen Verstärkungen bereit. Aus dem aktuellen Kader besitze Stürmer Igor Matanovic, der noch für eine Saison von Bundesligist Eintracht Frankfurt ausgeliehen ist, laut Daten das höchste Potenzial. Im Auge behalten sollte man Mittelstürmer Eric da Silva Moreira aus der U 17: „Der könnte durch die Decke gehen.“ Perspektivisch soll der 16-Jährige auch bei den Profis eingebunden werden. Dort ist ein Platz frei geworden, da der Vertrag von Angreifer Maximilian Dittgen nicht verlängert wird, wie St. Pauli am Freitag vermeldete.

Selbst Trainer lassen sich anhand der endlose Flut von Daten beurteilen. Schultz sei demnach ein Übungsleiter mit gehobenem Zweitliganiveau. Am besten schneiden Werder Bremens Ole Werner und HSV-Coach Tim Walter ab, die beide Bundesligaklasse besitzen. Eine Zahl können aber selbst Böttgers Zahlen nicht beeinflussen: 40. „40 Prozent im Fußball sind Zufall, daher lässt sich nichts exakt berechnen.“ Und deshalb machen Managerspiele auch so viel Spaß.

Michael Thomsen, Geschäftsleiter der Bereiche CSR sowie Personal, verlässt den FC St. Pauli auf eigenen Wunsch. Seine Aufgaben übernehmen kommissarisch Vizepräsidentin Esin Rager (CSR) und Finanzgeschäftsführer Martin Urban (Personal).