Hamburg. Der Zweitligaclub verzichtet auf einen schnellen Trainerwechsel. Doch Präsident Göttlich und Sportchef Bornemann gehen auf Distanz.

Am Donnerstagnachmittag deutete auf der Trainingsanlage an der Kollaustraße kaum etwas auf eine Krisensituation hin. Überpünktlich kurz vor 15 Uhr betraten die Spieler des FC St. Pauli das frisch gemähte, saftige Grün, hörten sich eine nur sechseinhalb Minuten lange Ansprache von Trainer Jos Luhukay an und spulten ihr Programm ab.

Einzig die Tatsache, dass sich Kapitän Daniel Buballa nach dem rund 40-minütigen Regenerationsprogramm der Startelfspieler noch mehr als eine halbe Stunde allein mit Luhukay auf dem Platz unterhielt, deutete darauf hin, dass es nach dem 0:4-Debakel am Abend zuvor bei Hannover 96 und vor den beiden letzten Spielen der Punktspielsaison am Sonntag gegen Jahn Regensburg und eine Woche später beim SV Wehen Wiesbaden doch noch einiges zu besprechen gab.

Gesprochen wurde derweil auch auf höchster Ebene. Der sportliche Abwärtstrend der vergangenen Wochen, die schwachen, erfolglosen Auswärtsspiele, die ständigen Personal- und Systemwechsel und noch mehr Luhukays fragwürdige Verhaltensweisen und Aussagen dazu haben im Verein zu erheblichen Diskussionen um den Trainer geführt.

Luhukay vertieft Riss zwischen sich und dem Team

Allein in den vergangenen Tagen hatte Luhukay mit drei Vorgängen für Irritationen gesorgt. Erstens seine deutlich vernehmbare Schimpftirade gegen Stürmer Henk Veerman in der Halbzeitpause des Heimspiels gegen Erzgebirge Aue (2:1) am vergangenen Sonntag beim Gang über den Rasen Richtung Kabine, zweitens mit dem Abstand von zwei Tagen seine Uneinsichtigkeit, dieses mög­licherweise von Emotionen gesteuerte Verhalten vom Sonntag nicht als nicht sozialverträglich und damit als Fehler einzustufen, und schließlich drittens seine ziemlich unverhohlene Aufforderung auf der Pressekonferenz direkt nach dem 0:4 in Hannover an die Journalisten, sie sollen doch weniger ihn als vielmehr die Mannschaft kritisieren.

„Was ich hier erlebe, ist, dass die Mannschaft immer geschützt wird und dass es immer um den Trainer geht“, hatte er dort gesagt. Und weiter: „Ich glaube, dass ihr es schon fünf, sechs Jahre hinbekommen habt, den Druck immer auf den Trainer zu legen. Die Mannschaft kommt dabei gut weg. Das ist die Situation bei St. Pauli.“ Die Reporter würden „mit zweierlei Maß“ messen.

Mit diesen Sätzen sorgte Luhukay dafür, dass der ohnehin schon festzustellende Riss zwischen ihm und zumindest einer Reihe von Spielern noch ein Stück größer geworden ist. Dies entging auch dem Präsidium nicht. Am Nachmittag nahm denn auch Präsident Oke Göttlich Stellung. „Es gibt keinen Trainer ohne Team und kein Team ohne Trainer. Das wissen alle Beteiligten sehr genau. Ich weiß, dass Trainer und Team gemeinsam in dieser Saison schon besser agiert haben. Daran gilt es für jeden Einzelnen anzuknüpfen“, hieß es in dem Statement.

Göttlich und Bornemann gehen zu Luhukay auf Distanz

Was sich zunächst anhören mag wie eine eher allgemeine Aussage, war denn doch eine Missfallensbekundung des Präsidenten über den reichlich plumpen Versuch des Trainers, von sich und seinen eigenen Fehlern und fragwürdigen Entscheidungen abzulenken und mit dem Finger auf seine Spieler zu zeigen.

Auch Sportchef Andreas Bornemann wollte sich mit Luhukays Sätzen nicht so recht identifizieren: „Jos ist ein erfahrener Trainer. Er muss selbst entscheiden, was er sagt. Er wird seine Gründe dafür gehabt haben“, sagte Bornemann dem Abendblatt. Eine Solidaritätsbekundung für den Cheftrainer hört sich gewiss anders an.

Eine schnelle Trennung von Luhukay wird es allerdings voraussichtlich nicht geben. „Es ist nicht der richtige Moment, um darüber zu reden. Und ich möchte auch nicht in Aktionismus verfallen und die Mannschaft aus der Verantwortung lassen“, sagte Sportchef Bornemann zu diesem Thema. Der Trainer genießt also noch eine Schonfrist.

Corona erschwert sofortigen Trainerwechsel

Bornemann sagte aber auch: „Zu gegebener Zeit werden wir diese Saison aufarbeiten.“ Und genau dieser Satz bietet viel Interpretationsspielraum. Es deutet derzeit viel darauf hin, dass nach Abschluss der Saison die Amtszeit von Jos Luhukay am Millerntor beendet und in der Sommerpause ein neues Kapitel aufgeschlagen wird. Im Übrigen lässt das Hygienekonzept der DFL für den Rest dieser Saison auch gar nicht zu, dass die Vereine vor dem Saisonende einen neuen Trainer von außen verpflichten. In der unmittelbaren Nähe der Mannschaft dürfen sich bekanntlich nur Personen aufhalten, die in den vergangenen Wochen an den regelmäßigen Tests auf das Coronavirus teilgenommen haben.

Im Fall von St. Pauli könnte also nur Markus Gellhaus das Amt des Cheftrainers übernehmen, wenn sich das Präsidium doch noch entschließen würde, sich früher von Luhukay zu trennen.

Zunächst gilt es für die St. Paulianer also, die jetzt schon völlig verkorkste Saison noch halbwegs erträglich zu Ende zu bringen und auf jeden Fall zu vermeiden, doch noch vom derzeit 16. Karlsruher SC überholt und auf den Abstiegsrelegationsplatz verdrängt zu werden.

St. Paulis Angst vor einem Endspiel in Wiesbaden

„Jeder Einzelne im Verein hat in dieser Situation eine hohe Verantwortung und muss sich dieser bewusst sein. Es ist das A und O, dass jetzt alles für die beiden letzten Spiele mobilisiert wird und alles andere links und rechts ausgeblendet wird“, appellierte Bornemann am Donnerstag und stellte bezüglich des noch verbliebenen sport­lichen Ziels klar: „Es geht nicht nur darum, die Relegation zu vermeiden, sondern darum, auch im Hinblick auf das TV-Ranking den noch bestmöglichen Platz zu ergattern.“

Präsident Oke Göttlich sagte in diesem Zusammenhang: „Der FC St. Pauli hat in dieser Saison sportlich schon souveräner und stärker dagestanden und agiert. Allen Beteiligten ist bewusst, dass sie engagiert allen Widrigkeiten entgegentreten und an erfolgreichere Momente in dieser Saison anschließen müssen. Dieses Ziel zu erreichen ist ständiger Begleiter unserer internen und kritischen Gespräche.“

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An das Heimspiel gegen Regensburg hatte Luhukay auch schon angesichts des offenkundig aussichtslosen Spielverlaufs in Hannover gedacht und in Person von Sebastian Ohlsson einen der in den vergangenen Wochen stabilsten Spieler als ersten vom Rasen geholt. Die zweite Halbzeit war da gerade einmal acht Minuten alt, es stand „nur“ 0:2. „Ich wollte nicht, dass er uns noch für Sonntag ausfällt. Er ist unglaublich wertvoll für uns, und da brauchen wir ihn“, sagte der Trainer. „Wir müssen es gegen Regensburg hinbekommen“, sagte er. Die Angst vor einem „Endspiel“ in Wiesbaden am 28. Juni ist allgegenwärtig.