Hamburg. Vor dem Spiel in Hannover verteidigt St. Paulis Trainer Luhukay seine Kritik an Veerman. “Ich bin direkt und ehrlich.“

Eine gute Nachricht durfte der FC St. Pauli am Dienstagabend verbuchen. Durch die 0:6-Niederlage von Wehen Wiesbaden gegen den 1. FC Nürnberg können die Hamburger in dieser Saison nicht mehr direkt aus der Zweiten Liga absteigen. Zum Minimalziel, die Abstiegsgefahr gänzlich zu bannen, könnte die Mannschaft an diesem Mittwoch (18.30 Uhr, Sky und Liveticker abendblatt.de) aber ganz viel selbst beisteuern – einen Sieg im Auswärtsspiel bei Hannover 96. Es ist die vorletzte Gelegenheit in dieser Punktspielsaison, außerhalb Hamburgs einen Drei-Punkte-Erfolg zu erringen. „Wie zuletzt gegen Aue geht es auch in Hannover um alles“, sagte Trainer Jos Luhukay am Dienstag vor dem Abschlusstraining.

Heiß diskutiertes Thema ist weiter die harte Kritik, die St. Paulis Trainer in der Halbzeitpause an Stürmer und Torschütze Henk Veerman auf dem Weg in die Kabine laut und für die im Stadion Anwesenden hörbar losgelassen hatte. Am Dienstag nahm Luhukay mit einem gewissen Abstand und nach einem Gespräch mit Sportchef Andreas Bornemann Stellung zu diesem ungewöhnlichen Vorgang und machte deutlich, dass er nichts von seinem Handeln bereut.

Grundproblem des gesamten Teams

„Warum sollte ich die Kritik an Henk anders machen? Ich bin, wie ich bin. Ich bin offen, ich bin direkt, und ich bin ehrlich. Ich verbiege mich nicht. Jeder weiß, auch Henk, was ich damit meine. Und für mich ist das dann erledigt“, sagte er unmissverständlich. „Die Medien machen daraus, was sie wollen. Aber für mich ist das Thema schon erledigt. Ich gucke nur nach vorn.“

Es bleibt die Frage, ob für den so offen und öffentlich gescholtenen Veerman die Sache auch erledigt ist. Die Antwort könnte der Niederländer an diesem Mittwoch auf dem Rasen in Hannover mit einer entsprechend engagierten Vorstellung geben, die er zuletzt hatte vermissen lassen – wenn er denn überhaupt spielt. Dies ließ sein Landsmann Luhukay offen, obwohl der Einsatz von Sturmkollege Dimitrios Diamantakos wegen muskulärer Wadenprobleme höchst fraglich ist.

Die im Spiel gegen Aue explizit an Veerman gerichtete Kritik Luhukays – das stellte der Trainer klar – habe ihre Ursache in einem Grundproblem des nahezu gesamten Teams. „Ich habe schon häufiger gesagt: Das größte Problem, das in dieser Mannschaft steckt, ist, dass wir keine Verantwortlichkeit auf dem Platz haben. Wir haben zu wenig Spieler, die die Führung übernehmen, wenn es darauf ankommt. Das aber erwarte und verlange ich. Nur so kann man etwas erreichen“, sagte Luhukay.

Gibt es künftig Rangeleien um den Ball?

Für ihn habe sich in der Strafstoßsituation kurz vor der Halbzeitpause diese Grundproblematik wieder einmal deutlich gezeigt. „Das ärgert mich am meisten. Es stand nicht 0:0, und es war nicht die Nachspielzeit. Es stand 2:0. Wenn man da nicht Verantwortung übernimmt, dann verstehe ich das nicht“, sagte er. Nur Diamantakos, der sich trotz seines jüngsten Fehlschusses den Ball schnappte und wiederum scheiterte, nahm Luhukay von dieser Kritik aus: „Ich bin total nicht böse auf Dimi. Er hat Verantwortung übernommen.“

In seinen jetzt 26 Jahren als Trainer habe er noch nie vor dem Spiel einen Elfmeterschützen bestimmt, sagte er. Und das werde auch jetzt so bleiben. „Wenn wir morgen einen Elfmeter bekommen, soll der schießen, der sich gut dabei fühlt. Aber hoffentlich ist dahinter auch jemand, der Verantwortung übernehmen will“, sagte Luhukay weiter. Man darf gespannt sein, ob es nach dieser Ansage plötzlich Rangeleien um den Ball geben wird und der Trainer dann Freudentänze bei dieser Szene aufführen wird.

Weitere „vier, fünf Änderungen“ im Kader

Nüchtern festzuhalten ist, dass St. Pauli in Hannover auf einen Bundesliga-Absteiger trifft, der sich nach einer enttäuschenden ersten Saisonphase sportlich stabilisiert hat, auch wenn es zuletzt mit dem 2:3 in Darmstadt einen leichten Rückschlag gab. „Die Mannschaft hat die Qualität, um normalerweise unter den ersten fünf zu stehen. Sie hat viel Qualität und Erfahrung“, lobte Luhukay den Nordrivalen. Dessen Trainer Kenan Kocak ist mit dem Saisonverlauf und gerade dem jüngsten Spiel, als ein Gegentor in der Nachspielzeit die Niederlage besiegelte, nicht wirklich zufrieden. „Wir sind Tabellenführer im Geschenkeverteilen“, sagte er vor dem Spiel gegen St. Pauli. Im Hinspiel allerdings hatte sein Team das Geschenk, durch einen Fehler von Jan-Philipp Kalla zum 1:0-Sieg zu kommen, aber auch gern angenommen.

Bei St. Pauli wird in Hannover und am Sonntag gegen Regensburg Außenstürmer Ryo Miyaichi definitiv verletzt ausfallen. Dazu kündigte Luhukay weitere „vier, fünf Änderungen“ im Kader an. „Anhand der Daten haben wir einige Spieler, die nicht nach zwei Tagen regeneriert sind und dann ein großes Risiko darstellen, sich zu verletzen“, sagte er. Die zweite englische Woche nach der Corona-Pause hinterlässt ihre Spuren – ob mit oder ohne Verantwortungsbewusstsein auf dem Platz.