Hamburg. Einen Tag vor dem ersten Saisonspiel bei Arminia Bielefeld rastet der Trainer des FC St. Pauli aus und zerlegt seinen eigenen Club.
So richtig Vorfreude auf die neue Saison weckte das, was Jos Luhukay am Sonntagvormittag von sich gab, nicht. Einen Tag vor dem ersten Pflichtspiel bei Arminia Bielefeld (20.30 Uhr, Sky live), holte der niederländische Trainer des FC St. Pauli zum Rundumschlag gegen den eigenen Verein aus. "Meine Erfahrung aus den Wochen seit April ist, dass bei St. Pauli zu viel Bequemlichkeit herrscht, zu viel in der Komfortzone gearbeitet wird und es zu viel darum geht, miteinander befreundet zu sein", polterte der 56-Jährige, der sich in Rage redete: "Das sind für mich drei Aspekte, die nicht akzeptabel sind. Die Komfortzone und die Bequemlichkeit sollte man besser in die Mülltonne werfen. Das gilt in allen Bereichen. Das erfordert eine Mentalitätsveränderung. Ich will das Bestmögliche für St. Pauli. Es kostet aber viel Energie, die Bequemlichkeit und Komfortzone herauszuholen."
Luhukay will realistischere Erwartungshaltung im Club
Noch bei seiner Vorstellung im April hatte der Niederländer davon gesprochen, in zwei Jahren aufsteigen zu wollen. Doch von derart mutigen Tönen ist der erfahrene Übungsleiter abgerückt. Es wirkt immer mehr so, als könne Luhukay selbst nicht glauben, in welch einem Fußballclub er gelandet ist. Der ehemalige Trainer von Mönchengladbach und Stuttgart zerlegte in einer Wut-Pressekonferenz den eigenen Club. "Dieser Kader gibt die Erwartungshaltung nicht her. Wir haben viel zu viele Spieler, die körperlich nicht in der Lage sind, 34 Spiele in der Zweiten Liga zu bestreiten. Normalerweise braucht man vier Transferperioden, um einen Kader zusammenzustellen, der in der Lage ist, dass 15 Spieler auf 25 und mehr Spiele kommen", echauffierte sich Luhukay über die Personalprobleme.
Gegen Bielefeld werden mit Philipp Ziereis, Henk Veerman (Aufbau nach Kreuzbandriss), Boris Tashchy (Muskelbündelriss), Rico Benatelli (Muskelverletzung), Leo Östigard (Muskelfaserriss), Luca Zander (Aufbau nach Schulter-OP), Johannes Flum (Aufbau nach Knie-OP) und Luis Coordes (Bänderriss) gleich acht Spieler ausfallen.
St. Paulis hat eine undurchsichtige Transferpolitik
Die Transferpolitik des Clubs ist bisher nur schwer zu durchschauen. Mit Benatelli und Tashchy kamen zwei Spieler mit Zweitligaerfahrung. Darüber hinaus wurden mit Leo Östigard und Viktor Gyökeres, der in Bielefeld zum Kader gehören wird, Talente verpflichtet, die nahezu keine Erfahrungen im Herrenbereich haben. "Ich sage ganz deutlich, dass es für St. Pauli in dieser Saison unmöglich ist, unter die ersten Vier zu kommen. Natürlich wünsche ich mir, dass wir die Überraschungsmannschaft sind. Aber meine Erkenntnisse sind jetzt andere nach den fünf Wochen", polterte Luhukay, der die Probleme aber nicht nur in der Mannschaft sieht: "Es geht um eine Professionalisierung in allen Bereichen. Wenn man das erreicht, kann man vielleicht auch mal Ziele nennen."
Für die am Montag beginnende Spielzeit malt Luhukay in jedem Fall schwarz: "Alle hier im Verein, die Mannschaft, aber vor allem auch das Umfeld, müssen wissen, dass St. Pauli in dieser Saison absolut keine Mannschaft hat, um unter den ersten Vier mitzuspielen. St. Pauli muss froh sein, wenn man zwischen Platz fünf und neun landet."
Vor allem für die Fans dürfte diese Prognose ernüchternd sein. Schließlich ist es keine drei Monate her, als Präsident Oke Göttlich ankündigte, dass der Fußball wieder im Vordergrund stehen müsse und man künftig nicht nur als gut geölte PR-Maschinerie mit angeschlossener Fußballabteilung wahrgenommen werden will.
St.-Pauli-Trainer prangert fehlende Professionalität an und blickt neidisch zum HSV
Danach sieht es laut Trainer Luhukay aber überhaupt nicht aus. "Der ganz Club muss in der Professionalisierung eine höhere Bereitschaft an den Tag legen. Das gilt in allen Bereichen, ob im Scoutingbereich oder beim NLZ oder dem Profibereich. Es kann nicht sein, dass die Realität weit von dem entfernt ist, wie man sich nach außen äußert und was man dafür einsetzt."
Fast schon neidisch blickt Luhukay auf den HSV, der gerade seinen elften Neuzugang verpflichten konnte. "Was unser Nachbar in dieser Woche noch verpflichtet hat, davon können wir nur träumen. Davon sind wir meilenweit entfernt. Es ist deutlich, dass Stuttgart, Nürnberg, Hannover und der HSV andere Möglichkeiten haben", sagte Luhukay.