Hamburg. Im Prozess bedienen sich die Anwälte des HSV-Profis eines Dokuments, das die Widersprüche der Wada aufdecken soll.

Mario Vuskovic befindet sich gerade in der wohl schwierigsten Phase seit seinem positiven Doping-Test. Der HSV-Profi wird jeden Tag von der Ungewissheit gequält, wie sein Berufungsverfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) ausgeht. Bis Ende Juli wollen die Richter um den dänischen Vorsitzenden Lars Hilliger ein Urteil fällen.

Die Antidoping-Agenturen Wada und Nada fordern eine Verdopplung der vom DFB-Sportgericht verhängten Zweijahressperre bis November 2026 – so wie es die verbandseigenen Richtlinien vorsehen. Vuskovic beteuert dagegen weiterhin seine Unschuld und hofft auf Freispruch.

Mario Vuskovic: Läuft es wie bei Peter Bol?

Seine Gutachter um den Kanadier David Chen sind von einem falsch-positiven Epo-Test überzeugt. Der Proteinchemiker lag schon einmal richtig, als er Fehler in der Analyse der Dopingprobe von Peter Bol aufdeckte. Der australische Mittelstreckenläufer war im Oktober 2022 zunächst positiv auf Epo getestet worden war, ehe seine Sperre nach einer „atypischen“ B-Probe aufgehoben wurde.

Vuskovic, dessen B-Probe positiv ausfiel, hofft nun auf ein ähnliches Schicksal. Um zu belegen, dass die Wada nicht fehlerfrei in ihrer Arbeit ist, zog die Verteidigung des HSV-Profis viele Parallelen zum Fall Bol.

Hilft Vuskovic interner Wada-Brief?

Dabei könnte vor allem ein vor dem Cas hervorgeholtes Dokument die Argumentationsstrategie der Antidoping-Kämpfer ins Wanken bringen. Nachdem die Wissenschaftler der Wada beim Vuskovic-Prozess in Lausanne den Eindruck erweckt hatten, Bol habe sehr wohl gedopt, er sei lediglich zum falschen Zeitpunkt getestet worden, deckte die Verteidigung einen brisanten Brief auf.

In diesem Schreiben teilte der für Vuskovics A- und B-Probe verantwortliche Kreischaer Laborchef Sven Voss seinem österreichischen Kollegen Christian Reichel mit, dass die B-Probe Bols negativ zu interpretieren sei. Konkret schrieb Voss, der um eine Zweitmeinung befragt wurde: „Die Probe (von Peter Bol; d. Red.) sieht normal aus, ohne irgendwelche Anzeichen auf körperfremdes Epo.“

Irrt die Wada auch bei Vuskovic?

Bei der Vuskovic-Verhandlung stritten sowohl Voss als auch Reichel dagegen ab, dass es sich bei Bols B-Probe um einen falsch-positiven Befund gehandelt hatte. „Ich habe nie gesagt, dass die B-Probe negativ war“, sagte beispielsweise die Vorsitzende der achtköpfigen Epo-Expertengruppe der Wada, Yvette Dehnes aus Norwegen.

Und das, obwohl die australische Anti-Dopingagentur (SIA) sogar das Ergebnis der A-Probe acht Monate später von positiv auf negativ änderte. Ein Beleg, dass sich die Experten der Wada widersprechen und auch bei Vuskovic irren könnten?

Der wegen Dopings gesperrte HSV-Profi Mario Vuskovic (l.) traf gemeinsam mit seinen Anwälten Paul Greene (2.v.l.) und Tomislav Kasalo (r.) sowie Mutter Sanja beim Cas ein.
Der wegen Dopings gesperrte HSV-Profi Mario Vuskovic (l.) traf gemeinsam mit seinen Anwälten Paul Greene (2.v.l.) und Tomislav Kasalo (r.) sowie Mutter Sanja beim Cas ein. © Stefan Walther

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass die A-Probe Bols acht Monate später erneut analysiert wurde, um Klarheit über die „atypische“ B-Probe zu schaffen. Bei dem wiederholten Analyseverfahren, bei dem es keine Grenzwerte gibt, sondern Bilder verglichen werden, konnte dem Australier kein Epo-Verstoß nachgewiesen werden.

Wie die Wada das Bol-Mysterium erklärt

Ein Fakt, für den die Wada eine gesichtswahrende Erklärung zu haben scheint. „Die Epo-Moleküle der A-Probe hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits zersetzt“, sagte Reichel vor dem Cas. Vuskovics Anwalt Paul Greene, der auch schon Bol vertrat, wollte es genauer wissen und hakte nach. „Gibt es dafür einen Beweis?“, fragte der Jurist. „Ja, die Signalstärke wurde schwächer“, antwortete Reichel, der sich auf die als Indikator für Epo geltende Schattierung auf dem Teststreifen bezog.

Doch auch mit dieser Reaktion gab sich Greene nicht zufrieden. „Wurde das dokumentiert?“, fragte der US-Anwalt, der Reichel nun sichtbar ins Schwimmen brachte. Der Wada-Experte überlegte für einige Sekunden, ehe er einräumte: „Nein.“ Wie viel ist diese (nachträgliche) Sichtweise der Wada also wert?

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Wissenschaftlerin Dehnes versuchte den Cas davon zu überzeugen, dass beide Dopingfälle ohnehin nicht zu vergleichen seien. „Bei Bol lag ein sehr schwaches Epo-Signal in der A-Probe vor. Bei der B-Probe drei Monate später fiel dieses Signal noch schwächer aus. Es war ein Zeitpro­blem, denn mit der Zeit werden die Epo-Moleküle der Probe abgebaut. Bei Vuskovic liegt dagegen ein gleichstarkes Epo-Signal bei der A- und B-Probe vor. Daher sind beide Fälle grundverschieden“, sagte die Norwegerin, die bei Vuskovic eine Zweitmeinung abgab.

Mario Vuskovic: Punktsieg seiner Experten?

Mit dieser Argumentation gab sich Wada-Kritiker Chen allerdings nicht zufrieden. Vuskovics Gutachter verwies darauf, dass die B-Probe umgehend bei minus 37 Grad eingefroren worden sein muss, da ansonsten gegen die Regularien der Wada verstoßen worden wäre. „Woher wollen Sie wissen, dass Bols B-Probe wegen des Abbaus der Epo-Moleküle negativ war? Welchen Beweis haben Sie dafür?“, fragte Chen. Doch die vier Epo-Experten der Wada, Dehnes, Voss, Reichel und Jean-Francois Naud (Kanada), schwiegen.

Selbst Voss wollte seine schriftliche Einschätzung von damals, dass Bols B-Probe negativ zu interpretieren sei, plötzlich nicht mehr allzu hoch hängen – ohne jedoch zu erklären, warum er seine Meinung inzwischen geändert habe.

Es war ein spannender und zugleich für neue Fragezeichen sorgender Schlagabtausch im sogenannten „Whirlpool“-Verhör. Eine vom Cas angewandte Befragung, bei der mehrere Experten beider Lager gleichzeitig gehört werden, um einen wissenschaftlichen Diskurs zu fördern. Damit verfolgen die Richter das Ziel, die Argumente besser beurteilen zu können. Zumindest für diesen Teil des Verhörs darf sich Vuskovic als Punktsieger sehen.